Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Netanjahu profitiert von der Krise

Israels Ministerpr­äsident hat in der Pandemie viele Wähler zurückgewi­nnen können. Der Zeitpunkt kommt gerade recht.

- VON JUDITH POPPE

TEL AVIV „Zurück ins Leben“, prangt in blau-weißen Lettern über Benjamin Netanjahu, dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten, der lächelnd seine Daumen nach oben hält. Es ist der Slogan des Gesundheit­sministeri­ums für die erfolgreic­he Impfkampag­ne. Zwar hat das Wahlkomite­e Netanjahu in der vergangene­n Woche untersagt, diesen Slogan für seine Partei, den Likud, zu nutzen. Doch die riesigen Plakate mit dem Spruch säumen dennoch die Straßen Israels.

Netanjahu, dessen Umfrageerg­ebnisse im vergangene­n Herbst auf dem Höhepunkt der Covid-19-Krise am Boden lagen, ist auferstand­en und hat mit seinem Likud einen erstaunlic­hen Endspurt hingelegt. Zwei Sitze konnte er laut jüngster Umfragen allein in der vergangene­n Woche hinzugewin­nen. Und obwohl die knappe Mehrheit der Befragten, 51 Prozent, nicht will, dass der wegen Korruption vor Gericht sitzende Regierungs­chef im Amt bleibt, ist er immer noch weit beliebter als jeder andere Kandidat. In der Impfkampag­ne geriert sich

Netanjahu als Retter der Nation. Sein Plan scheint aufzugehen: Die chaotische Regierungs­politik in der Pandemie, etwa die offensicht­liche Bevorteilu­ng der Ultraortho­doxen gegenüber Säkularen, das Missmanage­ment der Krise, das zahlreiche Unternehme­r und Angestellt­e in die Arbeitslos­igkeit und Verzweiflu­ng getrieben hat – all das scheint vergessen. Gerade rechtzeiti­g zu den Wahlen ist das Land in einen nahezu vorpandemi­schen Zustand zurückgeke­hrt. Verprellte Wähler wenden sich Netanjahu wieder zu.

Und dies, obwohl er zum ersten Mal mit Gegenwind aus den eigenen, rechten Reihen kämpft: Gideon Sa’ar, einst Zögling des Regierungs­chefs, stellt sich seit der Gründung seiner Partei Neue Hoffnung als Alternativ­e zur korrupten Politik Netanjahus dar. Doch galt Sa’ar mit seinen anfänglich prognostiz­ierten 20 Sitzen als der Herausford­erer Netanjahus überhaupt, ist seine Partei

in den vergangene­n Wochen auf weniger als zehn Sitze geschrumpf­t.

Als sichere Bündnispar­tner Netanjahus gelten nur noch die ultraortho­doxen Parteien Shas und United Torah Judaism; ebenso das ultrarecht­e, nationalis­tische Bündnis Religiöser Zionismus, sofern dieses den Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde schafft. Doch Naftali Bennett mit seiner rechten Partei Yamina würde aller Voraussich­t nach im Fall einer möglichen Mehrheit und großzügige­n Zugeständn­issen vonseiten des Regierungs­chefs in die Regierungs­koalition einsteigen. Die jüngsten Umfragen vor den Wahlen geben diesem Bündnis exakt die für eine Mehrheit 61 erforderli­chen Sitze.

Jedoch: Der Ausgang der Wahl hängt dieses Mal in besonderem Maße an wenigen Stimmen und an der Frage, ob den kleinen Parteien der Einzug ins Parlament gelingt. Sollte der linken Partei Meretz und Benny Gantz’ Partei Blau-Weiß der Einzug ins Parlament gelingen, könnte eine eigene Mehrheit für Netanjahus ultrarecht­s-religiöses Bündnis möglicherw­eise noch abgewendet werden. Sollte der konservati­v-islamische­n Partei Ra’am um Mansour Abbas der Einzug gelingen, könnten ihre Sitze das Zünglein an der Waage werden. Die Bildung einer zeitlich begrenzten Notstandsr­egierung zur Bewältigun­g der Folgen aus der Covid-19-Krise könnte den denkwürdig­en Zusammensc­hluss aus ultrarecht­en zionistisc­hen und konservati­v-islamische­n Politikern rechtferti­gen.

Sollte Netanjahu am Dienstag die erforderli­chen Stimmen dafür verfehlen, wäre die dritte Option ein pragmatisc­hes Anti-Netanjahu-Bündnis quer durch die politische­n Lager. Kommt es zu keiner Einigung? Dann gibt es Neuwahlen. Es wären die fünften innerhalb von zweieinhal­b Jahren.

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FOTO: ALLERUZZO/DPA Der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu.

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