Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Sober Bars“entwickeln sich zum Trend
Bars ohne Alkohol gibt es in vielen Ländern. Die Wirte bereiten sich auf die Zeit nach dem Lockdown vor.
NEW YORK (ap) Durch die weltweite Kneipenszene schwappt ein Trend, der auf den ersten Blick überrascht. Viele Bars setzen inzwischen auf den Ausschank alkoholfreier Drinks. Im futuristischen „0% Non-Alcohol Experience“in Tokio können Gäste an einem Cocktail aus alkoholfreiem Weißwein, Sake und Cranberries nippen – ganz ohne Schwips versteht sich. Und ein Abend in der „Sans Bar“im texanischen Austin sah vor Kurzem so aus: Gäste scharten sich um die Tische im Freien, genossen Live-Musik, alkoholfreie Indian Pale Ales und sogenannte Mockaritas mit Wassermelone, die mit Tequila-Ersatz gemixt werden.
Die Welle der „Sober Bars“zielt auf jene, die auch mal nüchtern ausgehen wollen. Ganz neu ist das Phänomen aber nicht. Die ersten „nüchternen Kneipen“sprossen schon Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Abstinenzbewegung aus dem Boden. Doch galten die ersten Angebote vor allem überzeugten Nichttrinkern und trockenen Alkoholikern, sind in den Sober Bars sowohl Nüchterne als auch Neugierige willkommen. „Viele Leute wollen einfach weniger trinken“, sagt Chris Marshall, Gründer der „Sans Bars“in Austin.
Er muss es wissen. Seit 14 Jahren ist Marshall trocken. Seine „Sans Bar“eröffnete er, nachdem er zuvor als Suchtberater gearbeitet hatte. Er schätzt, dass 75 Prozent seiner Gäste abseits seiner Kneipe zu alkoholischen Getränken greifen. Stammgast Sondra Prineaux kommt in die
„Sans Bar“, weil ein paar Probleme eines herkömmlichen Barbesuchs schlicht wegfallen. „Ich muss mir keine Sorgen darüber machen, mein Auto hierzulassen und per Uber heimzukommen. Ich wache ohne Kopfschmerzen auf.“
Angetrieben wird der Verkauf von Alkoholfreiem durch eine wahre Explosion neuer Produkte. Da gibt es Getränke von Ritual Zero Proof – das Werk in Chicago brennt alkoholfreien Whiskey, Gin und Tequila. Und natürlich große Unternehmen wie Anheuser-Busch, das vergangenes Jahr Budweiser Zero auf den Markt brachte. „Ich habe das wunderbare Problem, zu viele großartige Optionen zu haben“, sagt Lokalbesitzer Douglas Watters. Erst im November eröffnete er in New York das „Spirited Away“, das alkoholfreie Biere, Wein und Spirituosen anbietet.
Der Lockdown habe ihn veranlasst, seine Gewohnheit zu überdenken, jeden Tag mit einem Cocktail zu beenden, erzählt Watters. Er habe angefangen, mit alkoholfreien Getränken zu experimentieren – und sich im August entschieden, dass daraus eine Geschäftsidee werden solle. Viele seiner Gäste seien trocken, andere schwanger oder hätten gesundheitliche Probleme. Einige trainierten für einen Marathon, andere wollten einfach nur ihren Alkoholkonsum einschränken. Es gebe eine Menge Leute, die sich mehr als jemals zuvor kritisch mit ihrem Trinkverhalten und den Folgen für ihr Befinden auseinandersetzten, sagt Watters.
Joshua James, langjähriger Barkeeper, hatte in der Pandemie eine ähnliche Erkenntnis. Nach einem Intermezzo in einem Suchtbehandlungszentrum eröffnete er kürzlich in San Francisco das „Ocean Beach Cafe“, eine alkoholfreie Bar. Ihm sei es darum gegangen, die Worte Sucht, Heilung und Nüchternheit vom Stigma zu befreien, sagte er: „Es gibt 1000 Gründe, nicht so viel zu trinken.“Das Coronavirus habe bei vielen Menschen den Gesinnungswandel rund um Trinkgewohnheiten mit „Warp-Geschwindigkeit“befördert, wie James sagt. Doch hat es die aufstrebende alkoholfreie Barszene auch gebremst.
Denn einige Lokale, etwa die bekannte „The Virgin Mary Bar“in Dublin oder das „Zeroliq“in Berlin-Friedrichshain, mussten ihre Türen wegen der Corona-Auflagen vorübergehend schließen. Die New Yorker Bar „Getaway“verwandelte sich kurzerhand in ein Café, um den Folgen der Pandemie zu trotzen. Besitzer Sam Thonis hofft aber auf eine Rückkehr zum Bar-Format im Frühling und hat schon Stühle in den Außenbereich gestellt.
Billy Wynne, Mitbesitzer des „Awake“in Denver, bringt auch Kaffee und alkoholfreie Spirituosen per Fensterverkauf unters Volk. Er setzt darauf, dass die Türen im April wieder aufgehen. Der Preis für seine Drinks seien mit herkömmlichen Bars vergleichbar, sagt Wynne. Alkohol sei günstig, und der Prozess von dessen Extraktion aus Getränken mache das Ganze teurer. Seine Gäste seien in ihren Dreißigern und Vierzigern, meist Frauen. Einige sagten, dass sie schon ihr ganzes Leben darauf warteten, dass so eine Bar aufmache. Eine Modeerscheinung seien „Sober Bars“also nicht.