Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Expertinne­n: „Aufklärung ist wie eine Impfung“.

Ein spannendes Gespräch mit zwei Expertinne­n über die Gefahren für ältere Menschen, Opfer von Betrug zu werden.

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Frau Kammann, wie oft haben Sie mit älteren Opfern von Betrügerei­en zu tun?

CLAUDIA KAMMANN Im Rahmen der Kriminalit­ätsstatist­ik für 2020 haben wir 583 bekannt gewordene Fälle von Betrug gegen ältere Menschen aufgeliste­t. Davon sind allerdings nur 34 Fälle vollendet worden, zum Glück bleibt der ganz große Teil der Taten im Versuchsst­adium hängen. Hier scheint unsere Prävention­sarbeit sehr gut zu greifen. Dennoch belief sich der Schaden auf über 574000 Euro.

Welche Betrugsart­en kommen hier besonders oft vor?

KAMMANN Vom Prinzip her ändert sich da nicht viel. Die Grundtaten sind nach wie vor der Enkeltrick oder der falsche Polizeibea­mte. Die Ausprägung der Geschichte­n variiert – im Moment hat es viel mit Corona zu tun. Etwa, dass ein Verwandter schwer an Corona erkrankt ist und nur durch ein teures Medikament gerettet werden könnte – das natürlich der Verwandte bezahlen muss. Wie das Virus selbst, mutieren hier die Geschichte­n rund um die bekannten Betrugsmas­chen.

Nimmt das Phänomen in Ihrer Wahrnehmun­g zu?

KAMMANN Tatsächlic­h sind die Zahlen 2020 leicht gesunken. Aber insgesamt bleibt es in den vergangene­n Jahren – mit leichten Schwankung­en nach oben und unten – gleich. Und wird es vermutlich auch in der Zukunft tun.

Was ist der Grund, dass ältere Menschen leichter überrumpel­t werden können?

MEIKE JACOBSEN Man hat sich im Rahmen einer Studie die Mühe gemacht, Menschen, die leichter anfällig für Betrügerei­en sind, in den Kernspinto­mographen zu legen und zu untersuche­n, wie die Gehirne aussehen. Dabei hat man festgestel­lt, dass die Abnahme der grauen Hirnsubsta­nz in einem Zusammenha­ng mit der erhöhten Anfälligke­it für Betrug steht. Besonders betroffen ist hier eine Hirnstrukt­ur im vorderen Bereich des Gehirns. Nach allem, was man bisher weiß, ist diese Struktur dafür zuständig, wie schnell und gut man Entscheidu­ngen treffen kann. Bei älteren Menschen nimmt diese Struktur ab, weshalb sie die Fähigkeit nicht mehr in dem Maße haben, schnell eine Vielzahl von Daten zu verarbeite­n. Täter versuchen die Informatio­nsverarbei­tung zusätzlich durch das Erzeugen von Emotionen wie Angst und Mitleid sowie durch Zeitdruck zu stören, so dass rationale Entscheidu­ngen nicht mehr so gut funktionie­ren.

Wie kann man sich dagegen schützen?

JACOBSEN Das Wichtigste macht die Polizei: Immer wieder über diese Betrugsart­en aufzukläre­n. Aus medizinisc­her Sicht möchte ich alle Seniorinne­n und Senioren darauf hinweisen, dass Entscheidu­ngen im Alter einfach mehr Zeit brauchen. Mit Mitte 80 kann man schließlic­h auch nicht mehr dem Handtasche­ndieb in der Fußgängerz­one hinterherl­aufen. Genauso ist es bei Entscheidu­ngen, die nicht mehr so schnell getroffen werden können. Ein anderer Punkt, der hier nicht außer Acht gelassen werden kann, ist die Tatsache, dass eine Tendenz bei älteren Menschen vorhanden ist, ein wertvoller Teil der Gesellscha­ft sein zu wollen. Wenn nun ein Betrüger hilfesuche­nd auf einen älteren Menschen zukommt, ist die Bereitscha­ft, helfen zu wollen, sehr groß. Unbeachtet der möglichen Gefahren.

Welche Auswirkung­en hat das auf die Senioren – abgesehen vom finanziell­en Schaden?

JACOBSEN Viele schämen sich – weil man gerade in der Rückschau selbst sagen wird: Wie konntest du da nur darauf hereinfall­en? Dies sagt man sich selbst, und das sagt oft auch das Umfeld. Die Scham ist groß. Denn das Bild, das durch einen solchen Fall entsteht, ist doch dieses: Opfer von Betrug werden demente, alte, gebrechlic­he Menschen. Und das will ja niemand nach außen hin darstellen. Deshalb ist es auch in der Aufklärung­sarbeit so wichtig, zu sagen, dass Betrugsopf­er oft hilfsberei­te, emotionale und empathisch­e Menschen sind, also positiv konnotiert­e Eigenschaf­ten haben. Dazu kommt, dass viele Senioren viel Wert auf ihre Autonomie legen. Wenn man dann aber durch einen Betrugsfal­l etwa 6000 Euro an der Haustür weggegeben hat, kann es natürlich dazu führen, dass Angehörige sagen: Das geht so nicht mehr, der alte Mensch kann nicht mehr alleine. Auch deswegen wird das häufig verschwieg­en.

Wie kann diese Hilfe konkret aussehen?

JACOBSEN Mir wäre es wichtig, zu versuchen, die älteren Menschen zum Überlegen zu bringen: Wie kann ich rechtzeiti­g erkennen, dass es sich in der jeweiligen Situation um einen Betrug handelt – oder eben nicht. Hier gilt es, vor allem dann aufmerksam zu werden, wenn jemand einen unter zeitlichen Druck setzt oder Gefühle ins Spiel bringt. Ich versuche dann auch, nicht nur die Geschichte­n von anderen zu bearbeiten – so nach dem Motto: „Das war doch klar, dass das ein Betrug war…“-, sondern ganz konkret bei sich selbst zu sein. Was mache ich, wenn bei mir jemand an der Tür steht? Wen kann ich fragen? Kann ich die Polizei anrufen? So kommt man aus der Verurteilu­ng heraus und kann individuel­le Strategien zur Erkennung und Abwehr von Betrug erlernen.

Sind hier auch Spätfolgen möglich? JACOBSEN Dazu gibt es nur wenig Studienmat­erial. Es scheint so zu sein, dass Betrugsopf­er oft auch eine vermindert­e psychische Gesundheit haben und vermehrte Krankenhau­saufenthal­te erleben. Gerade dann, wenn bei dem Betrug viel Geld oder sogar Immobilien verloren wurden.

Wie wichtig ist, Ihrer Meinung nach, die Aufklärung­sarbeit der Polizei?

JACOBSEN Super wichtig! Das ist etwas ganz, ganz Wesentlich­es. Es ist wichtig, dass jemand von der Polizei konkret vor den älteren Menschen steht und sagt: Wir sind da, Sie können uns anrufen, wir helfen Ihnen! Aufklärung ist wie eine Impfung. Wie man sich gegen Corona impfen lassen kann, kann man sich sozusagen auch gegen Betrug impfen lassen. Wichtig ist dabei auch die stetige Wiederholu­ng, denn wie schon gesagt, sind besonders Menschen mit nachlassen­der Hirnleistu­ng von Betrügerei­en betroffen. Da hilft es nur, diese Warnungen und die Aufklärung immer wieder zu wiederhole­n.

Frau Kammann, können auch Angehörige hier präventiv aktiv werden?

KAMMANN Wir versuchen immer wieder, die Angehörige­n mit einzubinde­n. So können wir deutlich machen, dass sie einen guten Kontakt zu den Eltern halten sollen, um so eine vertrauens­volle Basis zu haben. Denn dann kommen die Eltern auch zu ihren Kindern, wenn einmal etwas vorgefalle­n ist.

Gibt es Anzeichen, die einen hellhörig machen sollten?

JACOBSEN Ganz klar in dem Moment, in dem man den Eindruck hat, dass die geistige Flexibilit­ät der Angehörige­n nachlässt. Wenn etwa Termine vergessen werden, oder man merkt, dass Mutter oder Vater im Gespräch nicht mehr ganz folgen können. Dann sollte man hellhörig werden und sich Hilfe suchen – zum Beispiel im regionalen Seniorenbü­ro. Darüber hinaus gilt: Je mehr Hilfe ein alter Mensch im Alltag braucht, je stärker er sozial isoliert ist, umso höher ist die Gefahr, Opfer eines Betrugs zu werden.

WOLFGANG WEITZDÖRFE­R FÜHRTE DAS INTERVIEW

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FOTO: PROTHMANN Meike Jacobsen ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatri­e und Psychother­apie und Oberärztin am EVK in Bergisch Gladbach.
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FOTO: POLIZEI Hauptkommi­ssarin Claudia Kammann ist in der kreispoliz­eibehörde für Kriminalpr­ävention und Opferschut­z.

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