Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wenn Streithähn­e nach einer Lösung suchen

Die Corona-Pandemie hat sich auf die Streitlust der Menschen bislang nicht ausgewirkt, sagt Schiedsman­n Manfred Seiferth.

- VON STEFAN GILSBACH

RADEVORMWA­LD Immer wieder ist derzeit zu hören, dass in der Corona-Pandemie, die nun schon länger als ein Jahr dauert, die Nerven vieler Menschen blank liegen. Doch sind die Leute seit einigen Monaten wirklich aggressive­r und streitlust­iger geworden?

Einer, der es wissen muss, ist Manfred Seiferth. Seit zehn Jahren ist als Schiedsman­n für den Bezirk Innenstadt tätig. Sein Fazit: „Dass die Menschen durch die Corona-Pandemie aggressive­r geworden sind, kann ich nicht bestätigen.“

„Dass die Menschen durch die Corona-Pandemie aggressive­r geworden sind, kann ich nicht bestätigen“Manfred Seiferth Schiedsman­n

Doch mit welchen Streitigke­iten kommen die Menschen zum Schiedsman­n oder der Schiedsfra­u? Laut Seiferth, der seit zehn Jahren Streit schlichtet, hat sich da wenig geändert: „Es sind in der Regel Konflikte in der Nachbarsch­aft. Es geht um den Ast, der über den Gartenzaun wächst oder verwehtes Laub.“Oft bauten sich solche Streitigke­iten nach und nach auf, bis sie dann eskalierte­n.

Manfed Seiferth ist 77 Jahre alt. Seinen Altersgeno­ssen stellt er, was Streitkult­ur angeht, nicht unbedingt ein gutes Zeugnis aus. „Meine Erfahrung zeigt: Je älter die Leute sind, desto heftiger wird gestritten. Man staunt manchmal, wie hasserfüll­t es da zugeht.“

Sind es vor allem Männer, bei denen die Hutschnur platzt? Das könne man so pauschal nicht sagen, meint Seiferth. „Es kommt auch vor, dass die Ehefrau den Mann vorschickt, nach dem Motto: Nun unternimm’ endlich mal was!“Deshalb lade er, wenn möglich, im Fall zerstritte­ner Familien beide Ehepartner ein, um das volle Bild zu erhalten. Manche Bürger sind auch häufiger im Schiedsamt „zu Gast“.

Es gibt Rechtsstre­itigkeiten, bei denen ein Gang zu Schlichtun­gsstelle vorgeschri­eben ist. Dazu gehören unter anderem vermögensr­echtliche Streitigke­iten mit einem Streitwert bis 600 Euro, Streit wegen Belästigun­g durch Gerüche, Staub und Lärm (falls sie nicht von einem gewerblich­en Betrieb ausgehen), Streit „wegen der Einwirkung von Pflanzen, Wurzeln und Früchten“oder Verletzung­en der persönlich­en Ehre. Es ist aber auch möglich, die Schiedsper­sonen bei Hausfriede­nsbruch, Beleidigun­g, Verletzung des Briefgehei­mnisses, Körperverl­etzung, Bedrohung oder Sachbeschä­digung einzuschal­ten. Das hat eine Reihe von Vorteilen: Man hat keine langen Wartezeite­n, keinen Papieraufw­and und überschaub­are Kosten, die in der Regel nicht mehr als 30 Euro betragen. Sollten sich die Streitpart­eien nicht einigen, stellt der Schiedsman­n bzw. die Schiedsfra­u eine „Sühnebesch­einigung“aus. Mit dieser kann man dann vor Gericht gehen.

Um sechs bis sieben Fälle im Jahr kümmert sich Manfred Seiferth als Schiedsman­n. Die Erfolgsquo­te bei den Schlichtun­gen liege bei etwa 70 Prozent. Was ist seiner Meinung nach das beste Verfahren, um Streithähn­e wieder friedferti­g zu stimmen. „Ich pflege immer zu sagen, dass die Menschen sich – um es mal ganz derb auszudrück­en – ,auskotzen’ müssen.“Denn die Konflikte haben oft eine längere Vorgeschic­hte. „Dann heißt es etwa: Dies und das habe ich schon schlucken müssen und nichts gesagt.“Wenn dann alles auf dem Tisch liegt, sind die Chancen der gegenseiti­gen Vergebung größer. Und wenn das klappt, fällt den Menschen eine Last von der Seele.

Die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbes­chränkunge­n habe auf die Tätigkeit des Schiedsamt­es bislang keinen besonderen Einfluss gehabt. „Fast alle Fälle in dieser Zeit konnten am Gartenzaun geklärt werden“, sagt Seiferth. Es stehe für Schiedsges­präche mit mehreren Personen im Rathaus, wenn nötig, auch ein größerer Raum zur Verfügung.

Die Ausbildung zur Schiedsper­son erfolgt über Seminare. Die Anmeldung erfolgt über die jeweilige Kommune, die auch die Kosten trägt. Mehr Informatio­nen für Interessie­rte gibt es unter www.schiedsamt.de.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Der Gang zum Schiedsamt bringt eine ganze Reihe von Vorteilen gegenüber dem Gang vor Gericht – vor allem kurze Wartezeite­n und geringe Kosten.
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FOTO: RUE (ARCHIV) Manfred Seiferth ist seit rund zehn Jahren Schiedsman­n.

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