Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das Faible für Geschichte zum Beruf gemacht.
Seit März ist Tina Nötzel neue Archivarin in der Stadtverwaltung, sorgt nun dafür, dass historische Unterlagen sicher verwahrt werden.
WERMELSKIRCHEN Ein Faible für alte Autos hatte Tina Nötzel schon immer. Beim Bestaunen schicker Oldtimer hat die 29-Jährige auch ihren Lebensgefährten kennengelernt. Bis heute besitzt das Paar einen 35 Jahre alten E30 BMW. Doch für alte Geschichten hat sie erst Interesse entwickelt, „als mir Volker Ernst vom Bergischen Geschichtsverein von der alten Schule in Ketzberg erzählt hat“, erinnert sich Tina Nötzel, die in Dabringhausen aufgewachsen ist und noch immer dort wohnt und daraufhin noch mehr über alte Schulen herausfinden wollte. „Ich habe dann sogar meine Oma befragt, wo sie früher zur Schule gegangen ist, wie es da aussah und was damals ganz anders war als heute“, erzählt Tina Nötzel, die ihre neu entdeckte Leidenschaft mittlerweile zum Beruf gemacht hat: Seit dem 1. März ist sie Archivarin in der Stadtverwaltung und damit heimliche
„Für die späteren Generationen ist es spannend, wenn sie nachlesen können, wie die Menschen in der Stadt früher gelebt haben“
Tina Nötzel Stadtarchivarin
Herrscherin über alte Urkunden, Dokumente und auch die Geschichte der Stadt.
In ihrem Büro im Rathaus kann sie das Sonnenlicht genießen, in ihrer Wirkstätte im Archiv, das tief im Keller des Bürgerzentrums untergebracht ist, erhellen nur Lampen den Bereich, in dem sich wunderbare Schätze finden. „Wir haben hier die älteste Zeitung, die es aus Wermelskirchen noch gibt. Sie ist von 1862“, sagt Tina Nötzel stolz. Um mit den alten Raritäten sorgsam umgehen zu können und sie auch weiterhin für die Nachwelt zu präparieren, hat sie extra einen Lehrgang absolviert, um das kostbare Archivgut fachgerecht zu säubern. Schutzanzug, Maske, Pinsel, Schwämmchen und Desinfektionsmittel gehören dann zu ihrem Arbeitswerkzeug. „Man muss da schon sehr vorsichtig sein, weil die Seiten zum Teil schon brüchig sind und es auch durchaus sein kann, dass es Schimmelsporen zwischen den alten Seiten gibt.“Deshalb sind Gäste im Archiv der Stadt auch nicht willkommen. Zum Schutz der Besucher und vor allem zum Schutz der alten Werke: „Wir achten darauf, dass wir konstante Temperaturverhätnisse von 18 Grad haben und dass die Luftfeuchtigkeit gleich bleibt“, erklärt die Archivarin, die neugierigen Stadtforschern und anderen Interessierten an der historischen Geschichte aber gerne die gewünschten Akten und Unterlagen aus dem Archiv heraussucht. „Dann können sie sich das in Ruhe bei Tageslicht anschauen.“
Etwa zwei Anfragen pro Woche erhält die Archivarin derzeit. Während der Pandemie sei das Interesse der Menschen an der Zeit aus Wermelskirchen, wie es früher war, deutlich gestiegen. „Man hat schon bemerkt, dass die Menschen mehr Zeit hatten.“Ahnenforscher wenden sich ans Standesamt, bei ihr kamen die Fragen an, wie es wohl in einer bestimmten Straße vor 100 Jahren ausgesehen hat oder ob es noch historische Bilder von Bauten gibt. Gerade hat Tina Nötzel dabei geholfen, Unterlagen für eine geplante Kulturausstellung herauszusuchen. Ein Laie wäre damit im Archiv schlicht überfordert, „weil wir nicht nach Themen sortieren“, erklärt die Fachfrau, die aber zielsicher weiß, wo sie suchen muss.
Gesammelt werden im Archiv die Akten der Fachämter, die ohnehin bis zu 30 Jahre gelagert werden müssen. Anschließend entscheidet die Archivarin, was wichtig für die Nachwelt ist: „Wenn es um große Bauvorhaben mit stadtgeschichtlicher Bedeutung geht, bleibt das im Archiv“, sagt sie. „Weil es für die späteren Generationen
spannend ist, wenn sie nachlesen können, wie wann was entschieden und gebaut wurde“, sagt sie. Etwa 2000 zum Teil sehr alte Bücher, die sich alle um Wermelskirchen drehen, sind im Archiv ebenso zu finden, wie auch Nachlässe von bedeutenden Bürgern, die ihre gesammelten Werke der Stadt vermacht haben. Oft tauscht sich die junge Archivarin auch mit dem Bergischen Geschichtsverein aus, der bereits ein Buch für das Stadtjubiläum 2023 in Planung hat. Auf das Jubiläum freut sich Tina Nötzel schon jetzt, sammelt bereits Ideen, wie man auch junge Menschen für die alte Geschichte der Stadt, die um 1150 zum ersten Mal als „Werenboldeskirken“erwähnt wurde und die seit 1873 die Stadtrechte besitzt.
Manche Themen faszinieren Tina Nötzel selbst so sehr, dass sie am Wochenende gelegentlich mit ihrer Familie zu verschiedenen Orten fährt, von denen sie gelesen hat, „um mir das einfach mal vor Ort anzugucken.“So weckt die 29-Jährige, die jetzt gerne noch im Abendstudium den „Diplom-Archivaren“machen möchte, in ihren beiden Kindern Ben (7) und Lotti (2) ein wenig Begeisterung für die Geschichte ihrer Heimat. „Es ist faszinierend, wie andere Generationen gelebt haben und was ihnen wichtig war“, sagt sie. Erst neulich habe sie von Tauschgeschäften in der Nachkriegszeit gelesen. „Damals hatten die Menschen ein Paar Schuhe. Da fragt man sich dann schon, ob es heute ein ganzer Schrank voll sein muss.“