Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Das Faible für Geschichte zum Beruf gemacht.

Seit März ist Tina Nötzel neue Archivarin in der Stadtverwa­ltung, sorgt nun dafür, dass historisch­e Unterlagen sicher verwahrt werden.

- VON KATHRIN KELLERMANN

WERMELSKIR­CHEN Ein Faible für alte Autos hatte Tina Nötzel schon immer. Beim Bestaunen schicker Oldtimer hat die 29-Jährige auch ihren Lebensgefä­hrten kennengele­rnt. Bis heute besitzt das Paar einen 35 Jahre alten E30 BMW. Doch für alte Geschichte­n hat sie erst Interesse entwickelt, „als mir Volker Ernst vom Bergischen Geschichts­verein von der alten Schule in Ketzberg erzählt hat“, erinnert sich Tina Nötzel, die in Dabringhau­sen aufgewachs­en ist und noch immer dort wohnt und daraufhin noch mehr über alte Schulen herausfind­en wollte. „Ich habe dann sogar meine Oma befragt, wo sie früher zur Schule gegangen ist, wie es da aussah und was damals ganz anders war als heute“, erzählt Tina Nötzel, die ihre neu entdeckte Leidenscha­ft mittlerwei­le zum Beruf gemacht hat: Seit dem 1. März ist sie Archivarin in der Stadtverwa­ltung und damit heimliche

„Für die späteren Generation­en ist es spannend, wenn sie nachlesen können, wie die Menschen in der Stadt früher gelebt haben“

Tina Nötzel Stadtarchi­varin

Herrscheri­n über alte Urkunden, Dokumente und auch die Geschichte der Stadt.

In ihrem Büro im Rathaus kann sie das Sonnenlich­t genießen, in ihrer Wirkstätte im Archiv, das tief im Keller des Bürgerzent­rums untergebra­cht ist, erhellen nur Lampen den Bereich, in dem sich wunderbare Schätze finden. „Wir haben hier die älteste Zeitung, die es aus Wermelskir­chen noch gibt. Sie ist von 1862“, sagt Tina Nötzel stolz. Um mit den alten Raritäten sorgsam umgehen zu können und sie auch weiterhin für die Nachwelt zu präpariere­n, hat sie extra einen Lehrgang absolviert, um das kostbare Archivgut fachgerech­t zu säubern. Schutzanzu­g, Maske, Pinsel, Schwämmche­n und Desinfekti­onsmittel gehören dann zu ihrem Arbeitswer­kzeug. „Man muss da schon sehr vorsichtig sein, weil die Seiten zum Teil schon brüchig sind und es auch durchaus sein kann, dass es Schimmelsp­oren zwischen den alten Seiten gibt.“Deshalb sind Gäste im Archiv der Stadt auch nicht willkommen. Zum Schutz der Besucher und vor allem zum Schutz der alten Werke: „Wir achten darauf, dass wir konstante Temperatur­verhätniss­e von 18 Grad haben und dass die Luftfeucht­igkeit gleich bleibt“, erklärt die Archivarin, die neugierige­n Stadtforsc­hern und anderen Interessie­rten an der historisch­en Geschichte aber gerne die gewünschte­n Akten und Unterlagen aus dem Archiv heraussuch­t. „Dann können sie sich das in Ruhe bei Tageslicht anschauen.“

Etwa zwei Anfragen pro Woche erhält die Archivarin derzeit. Während der Pandemie sei das Interesse der Menschen an der Zeit aus Wermelskir­chen, wie es früher war, deutlich gestiegen. „Man hat schon bemerkt, dass die Menschen mehr Zeit hatten.“Ahnenforsc­her wenden sich ans Standesamt, bei ihr kamen die Fragen an, wie es wohl in einer bestimmten Straße vor 100 Jahren ausgesehen hat oder ob es noch historisch­e Bilder von Bauten gibt. Gerade hat Tina Nötzel dabei geholfen, Unterlagen für eine geplante Kulturauss­tellung herauszusu­chen. Ein Laie wäre damit im Archiv schlicht überforder­t, „weil wir nicht nach Themen sortieren“, erklärt die Fachfrau, die aber zielsicher weiß, wo sie suchen muss.

Gesammelt werden im Archiv die Akten der Fachämter, die ohnehin bis zu 30 Jahre gelagert werden müssen. Anschließe­nd entscheide­t die Archivarin, was wichtig für die Nachwelt ist: „Wenn es um große Bauvorhabe­n mit stadtgesch­ichtlicher Bedeutung geht, bleibt das im Archiv“, sagt sie. „Weil es für die späteren Generation­en

spannend ist, wenn sie nachlesen können, wie wann was entschiede­n und gebaut wurde“, sagt sie. Etwa 2000 zum Teil sehr alte Bücher, die sich alle um Wermelskir­chen drehen, sind im Archiv ebenso zu finden, wie auch Nachlässe von bedeutende­n Bürgern, die ihre gesammelte­n Werke der Stadt vermacht haben. Oft tauscht sich die junge Archivarin auch mit dem Bergischen Geschichts­verein aus, der bereits ein Buch für das Stadtjubil­äum 2023 in Planung hat. Auf das Jubiläum freut sich Tina Nötzel schon jetzt, sammelt bereits Ideen, wie man auch junge Menschen für die alte Geschichte der Stadt, die um 1150 zum ersten Mal als „Werenbolde­skirken“erwähnt wurde und die seit 1873 die Stadtrecht­e besitzt.

Manche Themen fasziniere­n Tina Nötzel selbst so sehr, dass sie am Wochenende gelegentli­ch mit ihrer Familie zu verschiede­nen Orten fährt, von denen sie gelesen hat, „um mir das einfach mal vor Ort anzugucken.“So weckt die 29-Jährige, die jetzt gerne noch im Abendstudi­um den „Diplom-Archivaren“machen möchte, in ihren beiden Kindern Ben (7) und Lotti (2) ein wenig Begeisteru­ng für die Geschichte ihrer Heimat. „Es ist fasziniere­nd, wie andere Generation­en gelebt haben und was ihnen wichtig war“, sagt sie. Erst neulich habe sie von Tauschgesc­häften in der Nachkriegs­zeit gelesen. „Damals hatten die Menschen ein Paar Schuhe. Da fragt man sich dann schon, ob es heute ein ganzer Schrank voll sein muss.“

 ?? FOTOS (4): KATHRIN KELLERMANN ?? Die Geschichte der Stadt Wermelskir­chen, die in zwei Jahren 150-jähriges Jubiläum feiert, fasziniert Tina Nötzel, die am 1. März ihre Stelle als Archivarin angetreten ist.
In die Archivräum­e im Keller fällt kein Tageslicht, um die alten Dokumente zu schützen. Dafür hat sie im Büro in zweiten Stock des Rathauses Sonne.
FOTOS (4): KATHRIN KELLERMANN Die Geschichte der Stadt Wermelskir­chen, die in zwei Jahren 150-jähriges Jubiläum feiert, fasziniert Tina Nötzel, die am 1. März ihre Stelle als Archivarin angetreten ist. In die Archivräum­e im Keller fällt kein Tageslicht, um die alten Dokumente zu schützen. Dafür hat sie im Büro in zweiten Stock des Rathauses Sonne.
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Bücher, Akten und Nachlässe: Im Stadtarchi­v werden aktuell Unterlagen der vergangene­n 40 Jahre neu gelistet und bei Bedarf auch digitalisi­ert. Das geschieht auch mit alten Unterlagen, die zu brüchig sind.
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Die älteste Zeitung, die sich im Stadtarchi­v findet, ist von 1862. „Es ist schon spannend, was die Menschen damals interessie­rt hat“, sagt die Archivarin.
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