Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Austausch mit Hindernissen
Ein Auslandsaufenthalt ist auch in Zeiten von Corona möglich. Eine Schülerin berichtet, wie sie trotz Einschränkungen die Highschool in Michigan besucht und ihren amerikanischen Traum lebt.
Line hat immer von einem Austauschjahr geträumt, das anders ist. „Das habe ich jetzt“, sagt sie. Mitten in der Pandemie hat sie den atlantischen Ozean überquert und lebt seit August vergangenen Jahres in Michigan. Sie wohnt bei einer Gastfamilie und geht zur Schule – wie ein normaler amerikanischer Teenager. Eigentlich wollte sie nach Alaska, aber wegen Corona musste sie ihre Pläne umwerfen. „Niemand konnte in diesem Jahr seinen ursprünglichen Plänen nachgehen, auch ich nicht“, sagt sie.
Line ist eine von vielen, die zurzeit im Ausland zur Schule gehen. Denn trotz Corona ist ein Austausch in Ländern wie Kanada, den USA, Großbritannien, Irland, Frankreich, Italien, Norwegen und Schweden möglich. Nur in Australien und Neuseeland sind die Grenzen dicht. „Das wird in diesem Jahr auch nichts mehr“, sagt Marco Jarosch, Berater beim Austauschprogramm DFSR. Viele, die nach Ozeanien wollten, haben sich alternativ für Nordamerika entschieden. „Die Nachfrage für einen Austausch in den USA und Kanada ist exorbitant gestiegen“, sagt er.
Eigentlich läuft alles so wie immer – und doch irgendwie anders. Die Schüler werden wie sonst auch auf ihr Auslandsjahr vorbereitet. Allerdings nicht durch Vor-Ort-Veranstaltungen, sondern in Online-Seminaren. Dort wird erklärt, wie sich das Land in seiner Kultur unterscheidet, wie die Menschen dort ticken und wie das Leben in den Gastfamilien funktioniert. Einen großen Teil der Vorbereitung nimmt jetzt Corona ein. „Wir informieren sehr detailliert, wie sich Corona auf den Schulbesuch, die Gastfamilie und das Gemeindeleben auswirkt und mit welchen Einschränkungen sie zu rechnen haben“, sagt Jarosch. Die sind zurzeit nicht unbeträchtlich. Denn viele möchten nach
Nordamerika, weil dort das Sportangebot an den Highschools so breit ist. „Das fällt jetzt weg“, sagt Jarosch. Freunde finden, Hobbys nachgehen, Partys feiern – auch das ist im Moment nicht ganz so einfach.
In dieser Hinsicht hatte Line Glück. In ihrer Gastfamilie lebt sie mit einer weiteren Austauschschülerin aus Spanien. Am Anfang seien beide sehr schüchtern gewesen, doch jetzt verstehen sie sich super. Den Start in ihrer neuen Heimat hatte sie sich dann aber doch anders vorgestellt. „Dem Motto ‚Land of the free‘ konnte das Land dieses Jahr keine Ehre machen“, sagt sie. Die ersten zwei Wochen war Homeschooling angesagt. „Ich war frustriert, so habe ich mir mein großes aufregendes Jahr nicht vorgestellt“, sagt sie. Doch dann öffneten die Schulen wieder, Line konnte endlich raus. Von ihrem ersten Tag war sie überwältigt, und danach wurde es immer besser. Mittlerweile hat sie trotz Corona ein paar Freunde gefunden. „Es ist so, als wäre ich eine richtige amerikanische Schülerin und nicht mehr die Neue aus Deutschland. Ich bin angekommen“, sagt sie.
Trotz der vielen Einschränkungen steige die Nachfrage nach einem Austauschjahr langsam wieder, berichtet Alexandra Kaal-Massmann vom Austauschprogramm EF. „Durch die Impfungen und die Fortschritte sieht alles wieder positiver aus”, sagt sie. Zurzeit befinden sich etwa 100 deutsche Schüler in den Gastländern USA, Großbritannien und Irland. Das sei im vergangenen Jahr anders gewesen, da habe es eine Menge Zurückhaltung gegeben. In die USA konnte zeitweise kein Austausch stattfinden, Schüler, die sich in dem Land befanden, mussten wieder nach Hause fliegen. Erst seit Mitte 2020 kann wieder nach Kanada und in die USA vermittelt werden.
Der Aufwand eines Austauschs ist im Moment für alle etwas höher: Die Mitarbeiter der Austauschprogramme, die nur wenige Flüge zur Verfügung stehen haben; die Eltern, die sich um die Sicherheit ihres Kindes sorgen – und die Schüler, die im Wunschland mit Einschränkungen leben müssen. „Wir versuchen trotzdem, es so unvergesslich zu gestalten, wie möglich“, sagt Kaal-Massmann. Dazu gehören auch regelmäßige Netzwerkveranstaltungen über Zoom, bei denen dann zum Beispiel Bingo gespielt wird.
Trotz der vielen Einschränkungen würde Line Mommsen an ihrem Austauschjahr nichts ändern wollen. „Ich habe auch so eine unvergessliche Zeit“, sagt sie. Bis jetzt hat sie trotz Corona schon viel erlebt: Sie ist bei hohen Wellen im Lake Michigan geschwommen, wohnt in einem amerikanischen Haus und joggt durch eine typisch amerikanische Vorstadt, wie man sie aus Filmen kennt. Auch ihre Freunde kann sie wieder treffen, letztens besuchten sie sogar zusammen ein Basketballspiel. „Es ist zwar anders, aber wer sagt, dass anders nicht besser sein kann?“