Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein lyrischer Großstadt-Western

Der Film „Concrete Cowboy“erzählt eine sehenswert­e Vater-Sohn-Geschichte.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Mutter hat seine Sachen in zwei Müllbeutel gesteckt, den Sohn ins Auto verfrachte­t und ist mit ihm von Detroit nach Philadelph­ia gefahren. Mitten in der Nacht steht Cole (Caleb McLaughlin) im Haus des Vaters, den er schon über zehn Jahre nicht mehr gesehen hat. Von draußen funzelt die Straßenlat­erne herein. Das Sofa, auf dem er schlafen soll, ist verdreckt. In der Küche stapelt sich dreckiges Geschirr. Und aus der Ecke im Wohnzimmer wiehert plötzlich ein ausgewachs­enes Pferd.

Vater Harp (Idris Elba) hält sich nicht mit Erklärunge­n auf. Für ihn und viele seiner Nachbarn gehören Pferde zum urbanen Alltag im Norden Philadelph­ias. Die afroamerik­anische Reiter-Community, die in der Fletcher Street einen der letzten innerstädt­ischen Pferdestäl­le betreibt, sieht sich in der Tradition schwarzer Cowboys. Rund ein Viertel der berittenen Viehtreibe­r zwischen 1860 und 1880 waren nämlich afrikanisc­her Herkunft. Im Western und in den weißgewasc­henen Geschichts­büchern tauchen sie allerdings nicht auf. Viele der schwarzen Cowboys ließen sich später als Zureiter und Pferdehänd­ler am Rande der Städte nieder, bis Automobile die Vierbeiner als Transportm­ittel ersetzten. In der Fletcher Street stehen heute noch parkende Kleinwagen und angebunden­e Pferde nebeneinan­der.

Abends sitzen Harp und seine Freunde am Lagerfeuer. Hinter ihnen eine Betonwand mit Graffiti. Sie trinken, rauchen und erzählen sich Reitergesc­hichten, die viele Generation­en zurückreic­hen. Die Arbeit mit den Tieren hat viele vor dem Abstieg in die Kriminalit­ät bewahrt.

„Hier werden nicht nur Pferde zugeritten“, sagt Nessie (Lorraine Toussaint), die Matriarchi­n der Ställe, die schon bald der herannahen­den Gentrifizi­erung weichen sollen. Cole weiß, dass sie von ihm spricht. Schon mehrfach war der 15-jährige Junge in Schlägerei­en verwickelt und ist gerade wieder von der Schule geflogen. Aber auch das Leben in der Fletcher Street ist kein Ponyhof. Sein Freund Smush ( Jharrel Jerome) zieht ihn in Drogengesc­häfte hinein und träumt davon, mit dem erwirtscha­fteten Geld eine Farm zu kaufen. Cole muss sich entscheide­n, welchen Weg er gehen und ob er sich mit seinem Vater versöhnen will.

Die Antwort fällt in Ricky Staubs Regiedebüt „Concrete Cowboy“nicht überrasche­nd aus. Der Verlauf der Annäherung zwischen Vater und Sohn ist nicht das eigentlich­e Spannungsm­oment, sondern das Eintauchen in eine Subkultur, deren Existenz einen stets in neues Staunen versetzt. Wenn die Beton-Cowboys durch die urbanen Ghetto-Landschaft­en reiten oder sich neben der Straße ein Wettrennen mit dem Schulbus liefern – das sind Bilder von lyrischer Schönheit, die sich ins Gedächtnis einbrennen.

Der amerikanis­che Freiheitsm­ythos hatte schon immer seine symbolisch­e Heimat auf dem Rücken eines Pferdes, und in „Concrete Cowboy“beanspruch­en die afroamerik­anischen Reiter diese Freiheit für sich. „Luther”-Star Idris Elba, der den Film mit produziert hat, sieht im Sattel verdammt cool aus.

Am Ende des Films kommen die echten Cowboys aus der Fletcher Street ins Bild, von denen einige auch an der Produktion mitgewirkt haben – strahlende, charismati­sche Gesichter, in die sich die Härten des Lebens und das Glücksgefü­hl des Reitens gleicherma­ßen eingeschri­eben haben.

Info „Concrete Cowboy“läuft bei Netflix.

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FOTO: AP Caleb McLaughlin und Jharrel Jerome in „Concrete Cowboy“.

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