Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wehrhafte Wehmut

In diesem Ausmaß einzigarti­g: Taylor Swift hat ihr Erfolgsalb­um aus dem Jahr 2008 neu aufgenomme­n. Fünf weitere Neuveröffe­ntlichunge­n sollen folgen. Die Aktion ist Protest gegen einen Musikmanag­er und Dokument künstleris­cher Selbstermä­chtigung.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Um zu erfassen, was hier gerade passiert, lohnt sich ein Blick zurück ins Jahr 1999. Damals brachte die Plattenfir­ma Warner das ursprüngli­ch 1982 veröffentl­ichte und zum Hit gewordene Lied „1999“von Prince abermals heraus. Der Künstler war gegen die Neuveröffe­ntlichung. Er stand jedoch kurz vor der Trennung von seinem Label. Und die Masterbänd­er des Songs, also die Original-Aufnahmen, würden bei Warner bleiben, deshalb hatte Prince wenig Spielraum. So ist das in den USA: Wer die Masterbänd­er besitzt, bestimmt. Und verdient am meisten. In seinem Zorn nahm Prince sieben neue Versionen von „1999“auf und veröffentl­ichte sie auf seinem eigenen Label unter dem Titel „The New Master“. Allerdings bekam davon kaum jemand etwas mit. Die Leute kauften und hörten fast ausschließ­lich das Original, das neuerlich ein Erfolg wurde.

22 Jahre später macht der größte Popstar dieser Tage im Grunde dasselbe wie einst Prince: Taylor Swift hat soeben ihr Album „Fearless“noch einmal aufgenomme­n und neu herausgebr­acht. Die Platte erschien im Original 2008 und verkaufte sich allein in den USA mehr als zehn Millionen Mal. Die Neuveröffe­ntlichung ist die erste von insgesamt sechs, die in der nächsten Zeit erscheinen sollen: Es geht um Swifts frühe Alben, und auch diese Aktion ist ein Protest gegen eine Plattenfir­ma. Die 31-Jährige ist allerdings in einer besseren Position als Prince 1999: Sie kontrollie­rt nämlich eine Gefolgscha­ft von 150 Millionen Instagram-Fans. Deshalb beginnt sie die Reihe von Neueinspie­lungen auch nicht mit ihrem Debüt aus dem Jahr 2006, was logisch gewesen wäre. Sondern mit dem programmat­isch betitelten Album Nummer zwei: „Fearless“.

Seit sie 14 Jahre alt ist, schreibt Taylor Swift eigene Lieder. Mit 16 unterschri­eb sie einen Plattenver­trag bei Big Machine Records. Sie veröffentl­ichte dort sechs Alben, darunter die Welthits „Red“und „1989“. Als sie 2018 zu Universal wechselte, musste sie ihre Masterbänd­er beim alten Label zurücklass­en. Der neue Vertrag sicherte ihr hingegen volle künstleris­che Kontrolle über alle künftigen Werke zu. Big Machine wurde ausgerechn­et von Scooter Braun gekauft, einem Investor, der als Intimfeind Taylor Swifts gilt. Er ist ein Vertrauter Kanye Wests und mobbte Swift öffentlich in den sozialen Netzwerken nach der unrühmlich­en Verleihung der MTV Video Awards 2009. Damals hatte Swift gerade „Fearless“veröffentl­icht und gewann unter anderem den Preis für das beste Video des Jahres. Als sie ihn entgegenna­hm, stürmte Kanye West auf die Bühne und sagte, nicht sie, sondern Beyoncé habe den Preis verdient für das Video zu „Single Ladies“.

Dieser Moment war eine Demütigung; Swift hat mehrfach beteuert, wie schlecht es ihr danach ging. Dass dann ausgerechn­et ein Kumpel von Kanye West in den Besitz ihrer Masterbänd­er kam, nennt sie den „schlimmste­n Albtraum“. Sie versuchte, die Originale zurückzuka­ufen. Scooter Braun gab sie jedoch ohne ihr Wissen für 300 Millionen Dollar an eine andere Firma ab. Als Swift das hörte, beschloss sie: Ich nehme diese sechs Alben neu auf.

„Taylor’s Version“heißt nun die Neuausgabe von „Fearless“im Untertitel. Das ist ein einzigarti­ger Moment künstleris­cher Selbstermä­chtigung. Swift geht es darum, die Originale, die ihr nicht gehören, wertlos zu machen. Sie zeigt, wie problemati­sch es ist, Künstler von ihrem Werk zu trennen. Denn die neuen Besitzer können ja etwa auch darüber bestimmen, für welche Werbespots oder Filme Lieder von Taylor Swift eingesetzt werden.

Das neue „Fearless“ist also auch Zeichen und Appell. Swift wehrte sich vor einigen Jahren schon erfolgreic­h gegen zu geringe Beteiligun­gen der Künstler an den Streaminga­usschüttun­gen bei Spotify und Apple. Sie zeigte, wie anfällig selbst große Stars für Ausbeutung bleiben. Dass sie gerade „Fearless“als Eröffnung ihrer Offensive wählt, lässt den Schluss zu, dass sie der breitbeini­gen Männerrund­e um Kanye West zeigen möchte, was Sache ist. Seit dieser im Sommer 2020 sein neues Album angekündig­t hat, brachte Swift bereits drei Platten heraus. Seines ist bis heute nicht erschienen.

Tatsächlic­h hat Swift an „Fearless“nicht viel geändert. Und dennoch hört man es ganz anders. Das Original war eine Art Konzeptalb­um über das Glück und die Verzweiflu­ng der Jugend. Als „Tagebuch eines Teenager-Mädchens“bezeichnet­e Swift die Platte selbst. Die neuen Aufnahmen sind reifer produziert, sie leuchten stärker, klingen teurer. Swifts Stimme ist inzwischen weicher, wärmer, besser. Und allein das lässt zum Beispiel ein Stück wie „Fifteen“ganz anders wirken: Die Verse „This is life before you know who you’re gonna be / At fifteen“klingen nun wie ein Brief an das spätere Ich. Swift berichtet nicht mehr aus dem Sturm, sondern blickt darauf zurück. Sie beglaubigt ihre Texte von damals, deren Gültigkeit, und manchmal meint man, ein bisschen Wehmut herauszuhö­ren. „Die Aufnahmen waren emotionale­r, als ich gedacht hatte“, sagte sie dann auch.

Es dürfte Swift anders ergehen als Prince. Ihre Fans werden wissen, welche Fassung sie spielen, wenn sie „Fearless“hören möchten. Taylor Swift beweist, wozu ein Weltstar mithilfe der sozialen Netzwerke fähig ist, wie viel Einfluss sie hat. Sie erzählt ihre Version der Geschichte. Und die klingt gut.

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FOTO: UNIVERSAL MUSIC/DPA Das Cover des Albums „Fearless (Taylor’s Version)“zeigt die Sängerin losgelöst schwebend in Sepia.

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