Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das großartige Debüt von Dry Cleaning
Rock Endlich mal wieder ein tolles neues Album! Das britische Quartett Dry Cleaning hat es auf dem Label 4AD veröffentlicht, es ist das Debüt der Band, und es heißt „New Long Leg“.
Die Gruppe aus Süd-London hat eine unheimliche tolle und charismatische Sängerin, und das Besondere an Florence Shaw ist, dass sie im Grunde gar nicht singt, sondern spricht. Oder, noch genauer: Sie redet so vor sich hin.
Wer diese Musik über Kopfhörer laufen lässt, während er durch die Stadt geht, fühlt sich, als habe er eine Stimme im Kopf, die den Alltag und das Leben in den Straßen kommentiert.
Eine kleine Frau im Ohr sozusagen, und Florence Shaw ist eine sarkastische Erzählerin. Eine sardonische Freundin. Unberührt wirkt sie, über den Dingen stehend, abgebrüht und cool, dabei aber dennoch intim und unmittelbar. „Do everything and feel nothing“, rät sie.
Dry Cleaning haben bereits zwei EPs veröffentlicht, aber erst auf diesem Album entfaltet sich ihr Potenzial, ihre Eigenheit. John Parish hat die Platte zwischen zwei Lockdowns in Wales produziert. Er arbeitete bisher unter anderem
Charlie Kaufman: mit PJ Harvey und Aldous Harding, und er hat diese Band in sich drin begriffen: die Gitarre, die sich wie ein fliegender Teppich unter den Sprechgesang legt! Das geduldige Schlagzeug! Der Bass, der die Vocals immer wieder mitzureißen versucht! Man erinnert sich an The Fall, an Elastica und Wire. Bandgründer und Gitarrist Tom Dowse traf Florence Shaw an der
Kunstschule, und er fragte sie, ob sie nicht in seiner Band singen wolle. Nachdem sie sich zusichern ließ, dass sie sprechen statt singen dürfe, sagte sie: Ja.
Shaw durchwirkt ihr Textgewebe gelegentlich mit fremden Zitaten, ein bisschen wie in der Cut-upTechnik der Beat Poets. Manchmal, ganz manchmal nur ergibt sich dabei fast so etwas wie Gesang. Das „Well, well, well“in „Her Hippo“etwa. Oder das „Dü, dü, dü“im Titellied.
Hört man und muss direkt schmunzeln. Philipp Holstein