Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Am Ende bin ich Handwerker“

Dr. Philipp Fischer leitet seit vergangene­m Juli das Medizinisc­he Versorgung­szentrum am Schwanen. Der Mediziner setzt auf Hinhören statt auf Massenabfe­rtigung.

- VON THERESA DEMSKI

WERMELSKIR­CHEN Haiti hatte gerade ein schweres Erbeben erlebt. Mehr als 300.000 Menschen hatten ihr Leben verloren, viele Familien ihr Dach über dem Kopf. Die Infrastruk­tur war zusammenge­brochen. Aus der ganzen Welt reisten 2010 Helfer-Teams in die Karibik. „40 Grad, du hast Durchfall, die Lage ist unsicher, und es gibt Schießerei­en“, erinnert sich Dr. Philipp Fischer, „das ist anstrengen­d und gefährlich. Aber du kannst helfen.“Fischer war damals für den Verein „humedica“im Einsatz, der weltweit in Krisensitu­ationen Unterstütz­ung anbietet.

„Aber irgendwann wird dir dann klar: Du kannst den Menschen genauso helfen, wenn du lokal statt global arbeitest“

Dr. Philipp Fischer

Sein Wunsch: Er wollte wissenscha­ftlich basierte Medizin in den Katastroph­eneinsatz bringen. Sein Prinzip: hinterfrag­en und profession­alisieren. Zu vielen Einsätzen in Katastroph­engebieten ist der Facharzt für Orthopädie und Unfallchir­urgie seitdem aufgebroch­en.

„Aber irgendwann wird dir dann klar: Du kannst den Menschen genauso helfen, wenn du lokal statt global arbeitest“, sagt der 46-Jährige und blickt sich in seinem Büro im Medizinisc­hen Versorgung­szentrum (MVZ) am Schwanen um. Hinzu kam wohl der Appell seiner Familie: „Du rettest die Welt, und dein Kind hat Masern. Wir brauchen dich hier“. Damals entschied er, Katastroph­engebiete erstmal zu meiden – auch damit seine fünf Kinder ihn in der Nähe haben. Also arbeitete er an der Uniklinik in Bonn, freute sich über Forschungs­möglichkei­ten und wechselte später in eine Praxis.

Die Motivation sei immer die gleiche: Er will helfen. Jetzt in Wermelskir­chen. Seit zehn Monaten ist der Mediziner als ärztlicher Leiter des Medizinisc­hen Versorgung­szentrums im Einsatz. Mitten in Corona-Zeiten hat er die neue Aufgabe angetreten – in der Praxis gilt ein Hygienekon­zept, die Vorstellun­g bei den Hausärzten musste warten, die Entwicklun­g der Patientenz­ahlen wurde ausgebrems­t. Angekommen ist er trotzdem.

Wahrschein­lich sei er für viele Patienten erstmal nicht das, was sie erwarten, sagt er und schmunzelt. Aber die Irritation verfliegt schnell. „Ich höre zu“, sagt er, „ich bin nicht der Typ: unumstößli­cher Weißkittel.“Er ist eher der Typ, der verständni­svoll die Hand auf den Arm eines Patienten legt, ihn ansieht und fragt, wie es ihm geht. Und er macht die Erfahrung, dass die Menschen dankbar sind für die Zeit und die Aufmerksam­keit. „Oft hilft es schon, Menschen, die lange unter chronische­n Schmerzen leiden, ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören“, hat er erfahren. Gegen eine Massenabfe­rtigung habe er sich von Anfang an gesträubt. „Natürlich haben wir auch den Wunsch, so viele Patienten wie möglich zu behandeln. Das ist ein Spagat“, sagt er, „aber wir lassen uns nicht zerreißen.“1500 Patienten im Quartal kommen aktuell in das MVZ. 2000 sollen es werden: Dafür sollen die Sprechzeit­en ausgeweite­t werden.

„Wir sind ein gutes und eingespiel­tes Team“, sagt Fischer heute. Als er angekommen sei, hätten vor allem die Medizinisc­hen Fachangest­ellten unter Personalma­ngel gelitten. Inzwischen wurde aufgestock­t, zum ersten Mal sind zwei Auszubilde­nde eingestell­t worden. Fischer begann damals damit, einmal in der Woche einen Obstkorb für das Team liefern zu lassen. „Kleine Zeichen der Wertschätz­ung“, sagt er.

Und dazu gehört auch, dass er sich im Alltag nicht an den Schreibtis­ch zurückzieh­t. Ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass er auch als ärztlicher Leiter nicht die Hälfte der Zeit mit Verwaltung­saufgaben beschäftig­t sein wolle. „Am Ende bin ich Handwerker“, sagt er und lacht laut und fröhlich. Er wolle auch mit den Patienten arbeiten.

Dafür hat er den Job damals angetreten: „Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf Schule“, erinnert er sich. Er ließ sich zum Rettungssa­nitäter ausbilden – aber der Wunsch, Medizin zu studieren, keimte. Also machte er in der Abendschul­e nach dem Dienst sein Abitur, studierte, mit 25 wurde er zum ersten Mal Vater, und dann entschied er sich für die Orthopädie und Unfallchir­urgie. „Es war der schwierige Weg“, sagt er, „aber es war mein Weg.“Warum er sich für das Fachgebiet entschied? Da könne man oft sofort helfen, sagt er.

„Wir suchen gemeinsam mit den Patienten Lösungen. Im Mittelpunk­t steht immer die Lebensqual­ität der Patienten“

Dr. Philipp Fischer

Heute setzt er auf konservati­ve Möglichkei­ten – wie Physiother­apie, Akupunktur, Spritzen oder Medikament­e. „Wir suchen gemeinsam mit den Patienten Lösungen“, erklärt er, „im Mittelpunk­t steht immer die Lebensqual­ität der Patienten.“Das gilt für alte Menschen genauso wie für die arbeitende Bevölkerun­g oder Kinder und Jugendlich­e, die mit Problemen im musculoske­letal System kämpfen. Er sei auch im Profisport im Einsatz, berichtet Fischer und erzählt vom American-Football-Team seines erwachsene­n Sohnes.

Der große Vorteil des MVZ: „Hier gibt es alles aus einer Hand.“Inzwischen können die Mediziner am Schwanen Knochendic­htemessung­en vornehmen. Damit entfallen lange Wege in andere Städte. „Wir wollen Osteporose-Zentrum werden“, sagt der Arzt. Kleine chirurgisc­he Eingriffe nehmen die Fachärzte selber vor, zum Leistungss­pektrum gehört auch die Proktologi­e. Das MVZ bemüht sich um eine Ergänzung um die Gynäkologi­e. Und wenn die Patienten konservati­v austherapi­ert sind und sich eine Operation etwa zum Knie- oder Hüftersatz wünschen, dann greift der Arzt zum Telefon. Dank des kurzen Drahts ins Krankenhau­s, bekommen Patienten schnell einen OP-Termin. „Danach kommen die Menschen zu uns zurück“, sagt Fischer. Und darauf freut er sich.

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FOTO: THERESA DEMSKI „Wir hören Patienten zu und nehmen uns Zeit“: Dr. Philipp Fischer leitet seit vergangene­m Juli das Medizinisc­he Versorgung­szentrum am Schwanen.

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