Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Corona-Krise verschärft die Not

Die Beratungss­telle „Frauenzimm­er“hilft Mädchen und Frauen, die von sexualisie­rter Gewalt betroffen sind.

- VON THERESA DEMSKI

WERMELSKIR­CHEN Manchmal klingelt in der Beratungss­telle das Telefon, und am anderen Ende herrscht erstmal Schweigen, bevor eine Frau zu erzählen beginnt – von ihrer Not, von Vergewalti­gung und Qual. „In den vergangene­n Monaten kommt es immer öfter vor, dass dann plötzlich eine Stimme im Hintergrun­d zu hören ist und die Frau plötzlich auflegt“, erzählt Christine Warning von der Beratungss­telle „Frauenzimm­er“.

Männer sind ins Homeoffice umgezogen. „Dadurch erleben betroffene Frauen häufig noch mehr Kontrolle als vor der Krise“, sagt die Beraterin. Es ist nur eines von vielen Indizien, die darauf hinweisen, dass die Not betroffene­r Frauen

„In den vergangene­n Monaten kommt es immer öfter vor, dass dann plötzlich eine Stimme im Hintergrun­d zu hören ist und die Frau plötzlich auflegt“

Christine Warning Beratungss­telle „Frauenzimm­er“

auch in Wermelskir­chen in der Corona-Pandemie noch weiter gewachsen ist. Noch so ein Hinweis ist die hohe Nachfrage in der Beratungss­telle: „Der Beratungsb­edarf ist groß“, sagt auch Anja Haussels und erzählt vom vergangene­n Jahr.

Im ersten Lockdown sei es beängstige­nd ruhig gewesen: „Da haben wir uns richtig Sorgen um die Frauen gemacht“, erzählt Anja Haussels. Viele Gespräche und Beratungsr­eihen seien damals erstmal abgerissen. Die beiden Fachfrauen ahnten, dass hinter verschloss­enen Türen sexualisie­rte Gewalt an Partnerinn­en oder Ehefrauen zunahm. Die Beratungss­telle reagierte mit vermehrter Werbung und einer Kampagne: „Überlassen Sie das Schweigen uns“appelliert­en sie an die Frauen – und tun es noch. Nach dem ersten Lockdown stieg die Beratungsn­achfrage sprunghaft.

„Es gab Frauen, die hatten Zuhause Nischen gefunden“, erzählt Christine Warning. Andere wurden weit zurückgewo­rfen: Im Lockdown zeige sich oft, wie stark das Gerüst sei, das einen halte, wissen die Beraterinn­en. Wer mit Erfahrunge­n sexueller Gewalt oder Erinnerung­en daran lebe, werde in großen Krisenzeit­en oft eingeholt von der Not. „Und dann gab es auch jene Fälle, in denen Frauen in der Corona-Krise

die Kraft für eine Trennung fanden“, sagt Christine Warning.

Für jede der Frauen – egal, an welchem Punkt sie sich befindet – bringen die Beraterin Rückendeck­ung mit. „Wir sind parteiisch“, betont Christine Warning, „wir beziehen Partei für die Frau.“Wer sich an die Beratungss­telle „Frauenzimm­er“wende, dem wird geglaubt. „Wir hören zu, drängen zu nichts, stellen nichts ins Frage“, sagen die Beraterinn­en.

Frauen, die den Weg per Telefon, E-Mail oder auch persönlich zur Beratungss­telle direkt an der Autobahn in Burscheid findet, dürfen anonym bleiben. „Wir bieten dann Beratung an“, erklären die Beraterinn­en, „so regelmäßig, wie die Frauen sich das wünschen.“Ziele benennen die

Betroffene­n selbst. Wollen sie eine Trennung? Wollen sie eine Anzeige? Oder brauchen sie einfach jemanden, der zuhört? Die Frauen treffen die Entscheidu­ng. „Oft hat sexualisie­rte Gewalt eine lange Geschichte“, weiß Anja Haussels. Betroffen kann jede sein. Das sei keine Frage des Alters, des Bildungsst­andes oder des sozialen Status. Die Scham der Frauen, sich an Freunde oder die Beratungss­telle zu wenden, sei oft groß. „Die emotionale Abhängigke­it von den Tätern ist nicht zu unterschät­zen“, sagt Christine Warning. Es sei schon ein Wegabschni­tt geschafft, wenn die Frauen beim „Frauenzimm­er“anklopfen.

Nach dem ersten Lockdown hat die Beratungss­telle aufgerüste­t. „Wir wurden damals überrascht und mussten auch neue Wege finden“, erzählen sie. Die Türen seien immer geöffnet geblieben, aber in der Corona-Pandemie sei die Zurückhalt­ung der Frauen, in die Beratungss­telle zu

„Wir erleben, dass sie einen Ort brauchen, an dem sie nicht angezweife­lt werden, und genau den wollen wir ihnen bieten. Künftig auch im Einzelchat“

Anja Haussels Beratungss­telle „Frauenzimm­er“

kommen, gewachsen. „Inzwischen haben wir technisch aufgerüste­t“, erzählen die Beraterinn­en.

Außerdem hat das Team die Beratungss­telle umgebaut – für die Atmosphäre, aber auch um Hygienereg­eln einhalten zu können. Persönlich­e Besuche sind weiterhin möglich – mit einer Tasse Tee auf einem der gemütliche­n Sitzmöbel. Aber auch Beratungen per Telefon oder Video-Konferenz sind möglich.

Für Mädchen ab 14 Jahren haben die Beraterinn­en einen Chat eingericht­et. „Ein niederschw­elliges Angebot“, erklärt Anja Haussels. Jeden Dienstag von 15 bis 16 Uhr können Mädchen anonym im Gruppencha­t 45 Minuten lang von ihren Erfahrunge­n berichten. Das Angebot wird angenommen. „Das sind junge Mädchen, die Zuhause sexualisie­rte Gewalt erleben“, erklärt Christine Warning. Oft geht es dann um den Lebenspart­ner der Mutter. Mädchen machen sich Sorgen um die Geschwiste­r und die Zukunft. „Wir erleben, dass sie einen Ort brauchen, an dem sie nicht angezweife­lt werden“, sagen die Beraterinn­en, „und genau den wollen wir ihnen bieten. Künftig auch im Einzelchat.“

Ohnehin gehe es in ihrer täglichen Arbeit immer um die eine zentrale Frage: Was brauchen die Mädchen und Frauen?

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„Die Krise verschärft die Situation für betroffene Frauen“: Christine Warning von der Beratungss­telle „Frauenzimm­er“berichtet von einem großen Beratungsb­edarf.

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