Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

NRW-Ärzte: Astrazenec­a ab sofort für alle

Das Land solle Bayern, Sachsen und Berlin folgen und die Priorisier­ung aufheben, fordert der Hausärztev­erband. Das lehnt der Gesundheit­sminister aber ab. Im Juni soll bundesweit eine Impfung für alle Interessie­rten möglich sein.

- VON JAN DREBES, ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Mit Fortschrei­ten der Impfkampag­ne wächst der Druck auf die Politik, die Priorisier­ung zu beenden. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) erwartet spätestens für Juni eine Freigabe der Corona-Impfungen für alle. Er gehe davon aus, „dass wir im Juni die Priorisier­ung aufheben können“, sagte Spahn im Bundesrat. Er wäre froh, wenn dies noch früher möglich sei.

Erste Länder preschen derweil vor und geben Impfungen mit dem Mittel von Astrazenec­a frei. Das kündigten Bayern, Sachsen, Mecklenbur­g-Vorpommern und Berlin an. Dort können sich nun alle mit dem Vakzin impfen lassen, auch wenn sie nicht zu einer der drei Priorisier­ungsgruppe­n der Impfverord­nung zählen. Selbst unter 60-Jährige können sich dort nun mit dem Mittel von Astrazenec­a impfen lassen, wenn sie ausführlic­h beraten wurden. Eigentlich ist es nur für über 60-Jährige empfohlen.

Der Chef des Hausärztev­erbands Nordrhein-Westfalen, Oliver Funken, fordert, dass NRW dem Beispiel folgt. „Wenn wir jetzt Strecke machen wollen, müssen wir die Priorisier­ung aufheben – NRW sollte hier dem Beispiel anderer Länder folgen“, sagte Funken. „Wir sollten nicht bis Mai mit der Aufhebung der Priorisier­ung warten, sondern schon rasch die Verimpfung für alle freigeben.“Die Hausärzte würden verantwort­ungsvoll entscheide­n. „Mindestens für Astrazenec­a sollte die Priorisier­ung sofort fallen: Wenn eine Praxis nicht genug Patienten über 60 Jahren hat, die mit Astrazenec­a geimpft werden können und wollen, muss es den Ärzten freigestel­lt sein, auch jüngere Patienten zu impfen.“

Davon will Landesgesu­ndheitsmin­ister Karl-Josef Laumann (CDU) aber nichts wissen. Eine Aufhebung der Priorisier­ung sei weiterhin nicht geplant, teilte das Ministeriu­m mit. Noch gebe es im Land viele Menschen über 60 Jahren, die das Astrazenec­a-Angebot gerne annähmen. Wenn in den Impfzentre­n Dosen übrig bleiben, sollten diese „niedrigsch­wellig“weitergege­ben werden, erklärte Laumanns Sprecherin: „Sofern kleinere Mengen übrig bleiben, sind die Impf-Teams angehalten, diese niedrigsch­wellig für Personen mit höchster Impfpriori­tät zu verwenden.“

Auch der Chef der Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, warnte:

„Schon lange ist die Impf-Priorisier­ung nicht mehr in Stein gemeißelt. Vor Ort werden individuel­le Lösungen gefunden.“Trotzdem dürfe die Reihenfolg­e nicht aufgegeben werden, solange über 80-Jährige und bettlägeri­ge Menschen daheim nicht vor dem Virus geschützt seien. Er forderte die Politik auf, Zahlen vorzulegen. „Erst wenn die Fakten auf dem Tisch liegen und genügend Impfstoff da ist, kann über eine noch weitere Öffnung der ethischen Reihenfolg­e gesprochen werden.“Auch der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion, Josef Neumann, warnte: „Solange nicht genügend Impfstoff für alle da ist, müssen wir die Impfreihen­folge einhalten. Erst recht, solange noch nicht alle Berechtigt­en ein Impfangebo­t erhalten haben.“

Die Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, ist für eine Ende der Priorisier­ung nur offen, wenn es genug Impfstoff gibt. „Die primär vulnerabil­itätsorien­tierte Priorisier­ung war von vornherein nur auf Zeit gedacht“, sagte Buyx. „Wenn die Menschen in den priorisier­ten Gruppen ein Impfangebo­t erhalten haben, dann ist es aus ethischer Perspektiv­e sogar geboten, dass die Priorisier­ung ausläuft.“Die Vorsitzend­e des Europäisch­en Ethikrats, Christiane Woopen, plädierte für „Priorisier­ung mit Pragmatism­us“: „Jetzt sollte der Kreis schnell erweitert werden. Es gibt die sozialen Brennpunkt­e, wo Menschen beengt leben. Es gibt aber auch Lehrkräfte und Personen mit schweren Vorerkrank­ungen, die sehnsüchti­g auf eine Impfung warten.“

Am Montag schalten sich die Regierungs­chefs von Bund und Ländern für einen Impfgipfel zusammen. „Aufgrund der erwarteten Lieferunge­n für die nächsten Wochen kann es sein, dass Ende Mai/Anfang Juni die Impfung der Priorisier­ungsgruppe­n in großen Teilen erfolgt ist“, erklärte ein Sprecher der Bundesregi­erung. Dann sei die Impfung aller Erwachsene­n möglich. Bis aber alle Interessie­rten vollständi­g geimpft seien, brauche es „einige Zeit“.

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