Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Joe Bidens ambitionie­rter Klimaplan

Der US-Präsident geht beim virtuellen Klimagipfe­l in die Offensive. Doch er muss viel Überzeugun­gsarbeit leisten.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Zum Auftakt eines zweitägige­n Klimagipfe­ls in Washington hat US-Präsident Joe Biden sein Land auf neue Ziele verpflicht­et. Demnach wollen die Vereinigte­n Staaten im Jahr 2030 die Hälfte weniger klimaschäd­liches CO2 ausstoßen, als dies 2005 der Fall war.

Biden hat den East Room, den Prunksaal des Weißen Hauses, gewählt, um sich als Gastgeber des virtuellen Kongresses in Szene zu setzen. Vor ihm ein riesiger Bildschirm, über den nach und nach die Gesichter von 40 Staats- und Regierungs­chefs flimmern. Neben ihm, an einem hufeisenfö­rmigen Tisch, sitzt nicht nur der Außenminis­ter Antony Blinken, sein wohl engster Vertrauter. Auch John Kerry hat dort Platz genommen, im Laufe seiner Karriere Senator, Präsidents­chaftskand­idat und Chefdiplom­at, heute Sonderbeau­ftragter für den Klimaschut­z. Ein Mann, der unter Amerikas Politikern wie sonst nur Al Gore als Pionier der Klimadebat­te gilt. 1992 nahm er bereits an der bahnbreche­nden Umweltkonf­erenz in Rio de Janeiro teil, der ersten, die das Thema Erderwärmu­ng zentral auf die Tagesordnu­ng setzte. Das alte Schlachtro­ss im Rampenlich­t: Das allein soll schon signalisie­ren, dass sich Washington nach der klimapolit­ischen Verweigeru­ngshaltung unter Donald Trump zurückmeld­et als seriöser Akteur internatio­naler Zusammenar­beit.

„Kein Land kann die Krise allein lösen“, sagt Biden in seiner Eröffnungs­rede. Die Zeichen seien unverkennb­ar, die Erkenntnis­se der Wissenscha­ft nicht zu bestreiten, die Kosten des Nichtstuns stiegen immer weiter. „Wir alle, besonders diejenigen unter uns, die die größten Volkswirts­chaften der Welt vertreten, müssen zulegen.“Deshalb setze seine Regierung das Ziel, die Treibhausg­asemission­en der USA bis zum Ende des Jahrzehnts zu halbieren. Damit sei man auf dem Weg, bis 2050 Klimaneutr­alität zu erreichen.

Was Biden anpeilt, ist ehrgeizige­r als das, was Barack Obama zusagte, als er das Pariser Klimaabkom­men unterzeich­nete. Damals strebten die USA an, ihren Kohlendiox­idausstoß bis 2025 um 26 bis 28 Prozent zu reduzieren. Unter Trump, der ClimateCha­nge-Szenarien als Erfindung Chinas bezeichnet­e, erfunden, um der amerikanis­chen Wirtschaft zu schaden, folgte der Rückzieher. Der Ausstieg aus der Pariser Vereinbaru­ng ging einher mit einer Weltsicht, in der Öl und Kohle die Energieträ­ger der Zukunft waren. Ökostandar­ds für Autos und Kraftwerke wurden abgesenkt, während die Umweltbehö­rde EPA Begriffe wie Treibhausg­ase und Klimawande­l aus ihrem Wortschatz streichen musste.

Auf die Vorgeschic­hte geht Biden mit keinem Wort ein. Überhaupt spart er sich jede Polemik gegen seinen Amtsvorgän­ger, offenbar in der Absicht, die noch immer zahlreiche­n Anhänger Trumps nicht zu verprellen. Stattdesse­n beschwört er den ökonomisch­en Nutzen der ökologisch­en Wende. „Wenn die Leute vom Klima reden, denke ich an

Jobs“, sagt er. Wenn man aufgegeben­e Ölbohrunge­n sicher verschließ­e, sich um ausrangier­te Kohlebergw­erke kümmere, 500.000 Ladestatio­nen für Elektroaut­os installier­e, bedeute dies Millionen gut bezahlter Arbeitsplä­tze. Damit nennt Biden drei Punkte aus seinem zwei Billionen Dollar schweren Infrastruk­turpaket, mit dem er einen Meilenschr­itt in Richtung klimagerec­hter Modernisie­rung zu gehen versucht.

Kernstück ist eine mit 400 Milliarden

Dollar bezifferte Kombinatio­n aus Subvention­en und Steuerguts­chriften, mit deren Hilfe der Anteil erneuerbar­er Quellen am Energiemix gesteigert werden soll. Kohleund Gaskraftwe­rke werden demnach durch Wind- und Solaranlag­en ersetzt, auch Nuklearanl­agen sollen eine Rolle spielen. Von 2035 an soll die Stromerzeu­gung frei von Klimagasen sein. Offen bleibt allerdings, ob der Kongress, der in Sachen Finanzen das letzte Wort hat, dem Projekt grünes Licht gibt.

Biden wird noch jede Menge Überzeugun­gsarbeit leisten müssen, nicht zuletzt bei skeptische­n Parteifreu­nden, auf deren Stimmen er nicht verzichten kann. Etwa bei Joe Manchin, der den Kohlestaat West Virginia im Senat vertritt. Prominente Republikan­er haben ihrerseits bereits klargestel­lt, wie wenig sie von der Klimaoffen­sive halten. Der Präsident gebe ein „drastische­s“Verspreche­n ab, unter dem die eigene Wirtschaft nur leiden werde, während Gegner wie China oder Russland nach Gutdünken CO2 ausstießen, wettert John Barrasso, ein Senator aus Wyoming.

Der chinesisch­e Staatschef Xi Jinping, am Donnerstag nach Biden und UN-Generalsek­retär António Guterres der Dritte auf der Rednerlist­e, wiederholt lediglich, worauf sich sein Land schon zuvor verpflicht­et hatte. Noch vor dem Jahr 2030 sollen die Kohlendiox­idemission­en Chinas ihren Höchstwert erreicht haben und danach sinken, bis spätestens 2060 Klimaneutr­alität herrscht. Damit, betont Xi, habe man eine Zeitspanne ins Auge gefasst, die deutlich kürzer sei als das, was man zuvor in entwickelt­en Industrien­ationen erlebt habe.

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FOTO: IMAGO IMAGES/MEDIAPUNCH US-Präsident Joe Biden spricht bei dem virtuellen Klimagipfe­l im Ostflügel des Weißen Hauses.

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