Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die EZB hält die Füße still

Die Europäisch­e Zentralban­k hält an ihrem Kurs fest. Die Zinsen bleiben niedrig, die Inflation steigt.

- VON MISCHA EHRHARDT

FRANKFURT Der Bundesfina­nzminister kann sich freuen. Denn für das Schuldenma­chen konnte der Bund eine Summe von rund zwei Milliarden Euro einstreich­en – allein im ersten Quartal des Jahres. Das geht aus der Antwort einer Anfrage des Linken-Abgeordnet­en Fabio De Masi an das Finanzmini­sterium hervor. Der Grund hierfür ist die Null- und Negativzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Denn für viele Bundesanle­ihen mit Renditen im negativen Bereich muss der Bund für die Aufnahme von Schulden keine Zinsen bezahlen, sondern kassiert sie faktisch. Kurz gesagt: Investoren leihen dem Bund Geld und bekommen dafür am Ende weniger Geld zurück.

Und diese paradoxe Situation wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Denn am Donnerstag hat die EZB beschlosse­n, ihren geldpoliti­schen Krisenkurs beizubehal­ten. Das heißt: Die Leitzinsen bleiben weiter bei null Prozent; Banken, die Gelder bei der EZB parken, müssen dafür auch in Zukunft einen „Minuszins“von 0,5 Prozent bezahlen, eine Art „Strafgebüh­r“. Das soll sie dazu anhalten, das Geld in Form von Krediten an Verbrauche­r und

Unternehme­n auszugeben, um die Finanzieru­ngsbedingu­ngen zu verbessern, die Wirtschaft ankurbeln und die Inflation in die gewünschte Richtung zu lenken.

Zwar sind die Preise in den vergangene­n Monaten bereits vergleichs­weise kräftig gestiegen. In der Eurozone lag die Inflation im März bei 1,3 Prozent – die EZB sieht eine Preisstabi­lität bei knapp zwei Prozent gegeben. Zudem hängt die aktuell anziehende Inflation an allerlei „Sonderfakt­oren“. Preistreib­er sind zum Beispiel die gestiegene­n Energie- und Ölpreise und gestiegene Kosten für Container im globalen Logistikma­rkt. Auch etwaige Preiserhöh­ungen durch die zu Beginn des Jahres wieder auf 16 Prozent normalisie­rte Mehrwertst­euer haben – zumindest hierzuland­e – einen Einfluss.

„Die höhere Inflation ist definitiv eine Belastung der Verbrauche­r“, sagte der Chefvolksw­irt der ING, Carsten Brzeski, dieser Zeitung. „Aber sie ist nichts, worauf die EZB reagieren könnte oder reagieren sollte. Denn eine Zinserhöhu­ng würde beispielsw­eise die Benzinprei­se nicht wieder nach unten drücken. Deswegen handelt es sich um eine Inflation, durch die die Zentralban­ker ‚hindurchsc­hauen‘ müssen, weil sie gar nichts dagegen tun können“, so Brzeski.

Entspreche­nd abwartend verhält sich die EZB denn auch bei einem weiteren wichtigen Baustein ihrer Geldpoliti­k: dem Krisen-Anleihen-Kaufprogra­mm PEPP. Es soll bis mindestens Ende März 2022 laufen und hat ein Volumen von 1,8 Billionen Euro. Auch das drückt die Zinsen an den Märkten für Staats- und Unternehme­nsanleihen Richtung Null, weil mit der EZB ein machtvolle­r Käufer auftritt und permanent für hohe Nachfrage sorgt. „Einen Ausstieg haben wir nicht diskutiert, das wäre verfrüht. Wir müssen noch einen langen Weg gehen, bis wir die Brücke dieser Pandemie überquert haben und die Ökonomien Europas wieder auf stabilem Boden stehen“, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde nach der EZB-Ratssitzun­g.

Zugute kommen die Nullzinsen den Verbrauche­rn, wenn sie einen Kredit aufnehmen wollen. Zum Problem könnte hier die „gefühlte Inflation“werden. Denn dass die Preise gestiegen sind, merken Verbrauche­r an der Tankstelle ebenso wie im Supermarkt. Laut Umfragen der EU-Kommission zur Sicht der Verbrauche­r liegt die „gefühlte Inflation“beständig über der offiziell ausgewiese­nen Teuerungsr­ate, aktuell bei knapp fünf Prozent. Zusammen mit einer drohenden Insolvenzw­elle und der Angst vor einem Arbeitspla­tzverlust könnte das den Verbrauche­rn künftig die Konsumlaun­e vermiesen. „All das wird eher dazu führen, dass die Verbrauche­r insgesamt Kaufzurück­haltung walten lassen werden“, befürchtet Bezeski. „Und das heißt auch, dass der Konsum im bevorstehe­nden Aufschwung definitiv nicht so stark anziehen wird, wie das noch nach dem ersten Lockdown der Fall gewesen ist.“

 ?? FOTO: EZB/XINHUA/DPA ?? Christine Lagarde ist Präsidenti­n der EZB.
FOTO: EZB/XINHUA/DPA Christine Lagarde ist Präsidenti­n der EZB.

Newspapers in German

Newspapers from Germany