Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die EZB hält die Füße still
Die Europäische Zentralbank hält an ihrem Kurs fest. Die Zinsen bleiben niedrig, die Inflation steigt.
FRANKFURT Der Bundesfinanzminister kann sich freuen. Denn für das Schuldenmachen konnte der Bund eine Summe von rund zwei Milliarden Euro einstreichen – allein im ersten Quartal des Jahres. Das geht aus der Antwort einer Anfrage des Linken-Abgeordneten Fabio De Masi an das Finanzministerium hervor. Der Grund hierfür ist die Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Denn für viele Bundesanleihen mit Renditen im negativen Bereich muss der Bund für die Aufnahme von Schulden keine Zinsen bezahlen, sondern kassiert sie faktisch. Kurz gesagt: Investoren leihen dem Bund Geld und bekommen dafür am Ende weniger Geld zurück.
Und diese paradoxe Situation wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Denn am Donnerstag hat die EZB beschlossen, ihren geldpolitischen Krisenkurs beizubehalten. Das heißt: Die Leitzinsen bleiben weiter bei null Prozent; Banken, die Gelder bei der EZB parken, müssen dafür auch in Zukunft einen „Minuszins“von 0,5 Prozent bezahlen, eine Art „Strafgebühr“. Das soll sie dazu anhalten, das Geld in Form von Krediten an Verbraucher und
Unternehmen auszugeben, um die Finanzierungsbedingungen zu verbessern, die Wirtschaft ankurbeln und die Inflation in die gewünschte Richtung zu lenken.
Zwar sind die Preise in den vergangenen Monaten bereits vergleichsweise kräftig gestiegen. In der Eurozone lag die Inflation im März bei 1,3 Prozent – die EZB sieht eine Preisstabilität bei knapp zwei Prozent gegeben. Zudem hängt die aktuell anziehende Inflation an allerlei „Sonderfaktoren“. Preistreiber sind zum Beispiel die gestiegenen Energie- und Ölpreise und gestiegene Kosten für Container im globalen Logistikmarkt. Auch etwaige Preiserhöhungen durch die zu Beginn des Jahres wieder auf 16 Prozent normalisierte Mehrwertsteuer haben – zumindest hierzulande – einen Einfluss.
„Die höhere Inflation ist definitiv eine Belastung der Verbraucher“, sagte der Chefvolkswirt der ING, Carsten Brzeski, dieser Zeitung. „Aber sie ist nichts, worauf die EZB reagieren könnte oder reagieren sollte. Denn eine Zinserhöhung würde beispielsweise die Benzinpreise nicht wieder nach unten drücken. Deswegen handelt es sich um eine Inflation, durch die die Zentralbanker ‚hindurchschauen‘ müssen, weil sie gar nichts dagegen tun können“, so Brzeski.
Entsprechend abwartend verhält sich die EZB denn auch bei einem weiteren wichtigen Baustein ihrer Geldpolitik: dem Krisen-Anleihen-Kaufprogramm PEPP. Es soll bis mindestens Ende März 2022 laufen und hat ein Volumen von 1,8 Billionen Euro. Auch das drückt die Zinsen an den Märkten für Staats- und Unternehmensanleihen Richtung Null, weil mit der EZB ein machtvoller Käufer auftritt und permanent für hohe Nachfrage sorgt. „Einen Ausstieg haben wir nicht diskutiert, das wäre verfrüht. Wir müssen noch einen langen Weg gehen, bis wir die Brücke dieser Pandemie überquert haben und die Ökonomien Europas wieder auf stabilem Boden stehen“, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde nach der EZB-Ratssitzung.
Zugute kommen die Nullzinsen den Verbrauchern, wenn sie einen Kredit aufnehmen wollen. Zum Problem könnte hier die „gefühlte Inflation“werden. Denn dass die Preise gestiegen sind, merken Verbraucher an der Tankstelle ebenso wie im Supermarkt. Laut Umfragen der EU-Kommission zur Sicht der Verbraucher liegt die „gefühlte Inflation“beständig über der offiziell ausgewiesenen Teuerungsrate, aktuell bei knapp fünf Prozent. Zusammen mit einer drohenden Insolvenzwelle und der Angst vor einem Arbeitsplatzverlust könnte das den Verbrauchern künftig die Konsumlaune vermiesen. „All das wird eher dazu führen, dass die Verbraucher insgesamt Kaufzurückhaltung walten lassen werden“, befürchtet Bezeski. „Und das heißt auch, dass der Konsum im bevorstehenden Aufschwung definitiv nicht so stark anziehen wird, wie das noch nach dem ersten Lockdown der Fall gewesen ist.“