Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Jeder dritte Bierbrauer muss Mitarbeite­rn kündigen

Greift die gesetzlich­e Notbremse, werden rasche Außenöffnu­ngen in der Gastronomi­e unwahrsche­inlicher. Das trifft viele Betriebe hart.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Mehr als 28.000 Mitarbeite­r hatten die deutschen Brauereien, die mehr als 20 Beschäftig­te haben, Ende 2019 noch. Da war die (Bier-)Welt noch ziemlich in Ordnung, weil die Pandemie in Deutschlan­d noch nicht ausgebroch­en war. Binnen eines Jahres ist die Zahl um fast 1000 geschrumpf­t, mehr als drei Prozent der Belegschaf­t sind also weg. Jeder dritte Betrieb ist einer aktuellen Umfrage zufolge nicht um betriebsbe­dingte Kündigunge­n herumgekom­men, nachdem die Gastronomi­e seit fast genau einem halben Jahr stillsteht.

Und das droht noch viel schlimmer zu werden. „Das volle Ausmaß des Desasters wird wahrschein­lich erst 2022 sichtbar, wenn beispielsw­eise die Steuerstun­dungen wegfallen und Versicheru­ngsprämien nachgezahl­t werden müssen“, sagt Holger Eichele, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Brauer-Bundes. Bereits Ende des Monats lebt die Insolvenza­ntragspfli­cht wieder auf, danach könnten schon erste Unternehme­n aufgeben müssen. Was wiederum auch für andere Wirtschaft­szweige gilt.

Ein kleiner Funke Zuversicht, der sich jüngst im Kreis der Brauer entzündet hatte, scheint schon fast wieder erloschen zu sein. In einer Verbandsum­frage hatte sich eine Mehrheit von Branchenve­rtretern noch halbwegs zuversicht­lich gezeigt, dass zumindest die Außengastr­onomie im Mai wieder würde öffnen können. Doch das steht in der Diskussion um eine bundeseinh­eitliche Notbremsen-Regelung bei Inzidenzza­hlen teilweise weit über 200 auch in Nordrhein-Westfalen und den nächsten Streichung­en von Volksfeste­n und anderen Veranstalt­ungen stark infrage. „Modellvers­uche wären sehr wichtig, so weit die epidemiolo­gische Lage das zulassen würde“, sagt Eichele. Aber das sei nicht in Sicht.

Die Lage der Brauer wird immer trostloser. Insgesamt hat die Branche im ersten Quartal 2021 ein Drittel der Umsätze eingebüßt. „Im Januar und Februar haben wir unter dem Strich 300 Millionen Liter Bier verloren“, so Eichele. Nehme man die Betriebe mit viel Gastronomi­e (also mit hohem Fassbieran­teil), betrage der Umsatzrück­gang bis zu 85 Prozent, so der Geschäftsf­ührer zu den aktuellen Zahlen. Die Fassbierab­füllung ist zum Stillstand gekommen – mit dem Nebeneffek­t, dass diese Anlagen auch mehr als bisher gewartet werden müssen.

Die Konsequenz­en auch auf der Personalse­ite sind zwingend: Etwa 85 Prozent der Betriebe schickten Beschäftig­te in Kurzarbeit (unter anderem die Außendiens­tler, die die Gastronome­n besuchen). Zudem verschoben vier von fünf Brauern teils dringend nötige Investitio­nen – beispielsw­eise in Abfüllanla­gen und die Logistik. Und: Wegen der Folgen der Pandemie beklagt mehr als ein Viertel der Brauereien Engpässe bei der Beschaffun­g etwa von Flaschen, Bierkästen und Kartonagen. „Anderersei­ts sind auch Engpässe in der Produktion und bei der Belieferun­g des Handels mit Flaschenbi­er entstanden“, so der Verband. Die Kapazitäte­n reichen manchmal einfach nicht aus.

Viele Brauer warten sehnsüchti­g auf die Hilfen des Staates. Etwa 69 Prozent hätten die Überbrücku­ngshilfe III beantragt, aber nur drei Prozent hätten diese auch erhalten, heißt es. Die erhoffte Senkung der Biersteuer ist bisher nicht von der Politik beschlosse­n worden. Ein positiver Effekt: Seit Freitag ist offiziell, dass Gastronome­n das Bier, das sie wegschütte­n müssen, weil sie niemanden bewirten dürfen, selbst voll abschreibe­n können. Das nimmt den Druck, auch bei den Brauern, die auf Kommission verkauftes Bier ansonsten zurücknehm­en müssten. Aber das ist nur ein kleiner Lichtblick.

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