Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Saison der verspielte­n Punkte

Gladbachs Problem mit Führungen hat Symbolchar­akter in dieser Spielzeit. Dabei lief es im ersten Jahr unter Marco Rose noch ganz anders.

- VON JANNIK SORGATZ

SINSHEIM „Wir müssen es auf jeden Fall abstellen. Das kann auch kein Zufall mehr sein“, sagte Yann Sommer. Wer sich wundert, warum Borussias rotgesperr­ter Torwart nach der 2:3-Niederlage bei der TSG Hoffenheim interviewt wurde, dem sei gesagt: Das Zitat stammt vom 21. November 2020, als Borussia 1:1 gegen den FC Augsburg spielte. Das Gegentor fiel kurz vor Schluss in Überzahl. Und schon vor fünf Monaten hatten die Borussen die Nase voll davon, immer wieder Punkte nach Führungen abzugeben. Damals summierte es sich nach acht Spieltagen auf neun, nun sind es 26 Punkte nach 30, mit Abstand Liga-Höchstwert. Drei Punkte kamen in Sinsheim dazu, wo Borussia trotz einer 2:0-Pausenführ­ung verlor.

Bis November 2020 zurückzusp­ulen, das ist in dem Fall legitim, weil Borussia das Führungspr­oblem seit dem Saisonbegi­nn begleitet. Jedes Jahr hat seine spezifisch­en Defizite: Mal gibt es zu viele Verletzte, mal zu wenige Auswärtssi­ege, diesmal ist es die Saison der auf verheerend­e Art und Weise verspielte­n Führungen. Anfangs bügelte Trainer Marco Rose Nachfragen zu dem Thema ab, nach dem Augsburg-Spiel in der Hinrunde gab er erstmals zu: „Ein Muster ist jetzt schon zu erkennen.“Damals ging es um Passivität und schlechtes Verteidige­n im Strafraum.

Das Problem hätte den Klub beinahe um den historisch­en Einzug ins Champions-League-Achtelfina­le gebracht. In der Gruppenpha­se

gingen die letzten beiden Spiele – ganz ohne Führung – verloren. Es reichte für Platz zwei, obwohl Borussia zu Beginn jeweils in letzter Minute Ausgleichs­tore gegen Inter Mailand und Real Madrid kassiert hatte. Es war zu verschmerz­en, weil jede Führung gegen zwischenze­itliche Super-League-Teams ein Qualitätsm­erkmal ist. Was Gladbach mehr weh tat: ein 1:1 gegen Union Berlin, ein 1:1 gegen den VfL Wolfsburg, ein 3:4 gegen Bayer Leverkusen, besagtes 1:1 gegen Augsburg, ein 1:2 gegen Hoffenheim. Das 2:2 beim SC Freiburg und das 3:3 bei Eintracht Frankfurt sind nicht so leicht zu kategorisi­eren, weil Borussia zwar eine Führung verspielte, aber auch einen Rückstand aufholte, so wie zuletzt beim 2:2 gegen Hertha BSC.

Zwischenze­itlich schien Borussia das Problem in den Griff bekommen zu haben: Sie drehte im Januar die Topspiele gegen den FC Bayern und Borussia Dortmund. Danach gab es eine banale Lösung: In den acht sieglosen Bundesliga­spielen rund um Roses Abschieds-Ankündigun­g ging Gladbach einfach gar nicht mehr in Führung. Nur einmal gelang es noch, bei RB Leipzig, wo es genauso lief wie nun in Hoffenheim: 2:0 vorne zur Pause, 2:3 verloren.

Die Gründe haben sich über die Monate abgewechse­lt. Mal brachen Standards den Borussen das Genick, dann läppisch verteidigt­e Flanken aus dem Halbfeld. Später wurde die Chancenver­wertung zum Problem. Das immerhin ließ sich den Gladbacher­n

gegen Hoffenheim nicht vorwerfen: Die einzigen beiden Schüsse aufs Tor von Alassane Plea und Valentino Lazaro waren drin. „Die Jungs waren in der Englischen Woche am Limit“, sagte Rose. Der Trainer wechselte direkt nach dem 2:3 dreifach, die Joker konnten wenig bewegen. Körperlich scheint Gladbach den Herausford­erungen auch nicht immer gewachsen zu sein.

Torwart Tobias Sippel sprach ein anderes Defizit schonungsl­os an. „Wir haben alles so ein bisschen über uns ergehen lassen“, sagte der Sommer-Ersatz. „Es ist Endspurt in der Liga, jeder kämpft um seine Punkte. Dafür haben wir auf jeden Fall nicht die richtige Einstellun­g gehabt.“Ein vernichten­des Fazit, wenn die Chance bestand, den Abstand auf Platz sechs auf einen Punkt zu verkleiner­n. So steht Borussia weiter dort, wo sie am häufigsten stand in dieser Saison: auf Platz sieben. Das ist symbolisch.

Die verspielte­n Punkte einfach draufzurec­hnen, mag sinnlos erscheinen, weil kein Team jede Führung ins Ziel bringt. Oder doch? Roses Borussen führten vergangene Saison ebenfalls 22-mal und verspielte­n nur vier Punkte statt wie jetzt 26. Mit der gleichen Effizienz, Griffigkei­t und natürlich auch mit dem nötigen Spielglück – und analog dazu 22 Punkten mehr – wäre Gladbach jetzt Zweiter.

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Nach diesem Gegentor hatte Borussia wenigstens noch einen Punkt: Hoffenheim­s Ihlas Bebou und Robert Skov bejubeln das 2:2. Am Ende gewannen sie 3:2 gegen Gladbach.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Nach diesem Gegentor hatte Borussia wenigstens noch einen Punkt: Hoffenheim­s Ihlas Bebou und Robert Skov bejubeln das 2:2. Am Ende gewannen sie 3:2 gegen Gladbach.

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