Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Frühwarnsystem im Abwasserkanal
Das Corona-Virus lässt sich im Abwasser nachweisen. In anderen Ländern können Forscher das bereits nutzen, um Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen in einer Region zu ziehen. In Deutschland geht das in der Breite noch nicht.
WERMELSKIRCHEN Im Abwasser lässt sich einiges nachweisen. Medikamente, Drogen, Bakterien und offenbar auch Viren. Seit Beginn der Pandemie im letzten März, nehmen Forschende aus ganz Europa Proben aus Kläranlagen und analysieren sie im Labor. Auch eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig zeigt: SarsCov2 lässt sich im Abwasser finden und zwar bereits ab einer Inzidenz von fünf. „Die Idee für unsere Arbeit war, dass das Abwasser eine Art Frühwarnsystem sein könnte“, sagt René Kallies, der die Studie leitet. Die Menge des Virus im Abwasser, könnte also Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung in einer bestimmten Region zulassen.
Von November bis Dezember wurden dazu bundesweit Proben aus 50 Kläranlagen genommen. Darunter auch aus der Anlage Buchenhofen des Wuppperverbands. Ralf Hövermann, der Chef des Labors dort, nahm sechs Wochen lang Proben aus seiner Anlage und schickte sie per Kurier nach Leipzig. Dort wurden die Proben gereinigt und aufgearbeitet, bevor die Virus-RNA extrahiert wurde. Anschließend wurde sie anhand eines PCR-Tests nachgewiesen.
„Wir haben das Projekt unterstützt, weil wir denken, dass es sinnvoll ist, diese Methode zu etablieren“, sagt Hövermann. Er glaubt, dass sie zukünftig helfen kann, schneller auf eine steigende Viruslast zu reagieren. Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) spiegeln heute das Infektionsgeschehen bis zu zwei Wochen in der Vergangenheit wider. Das bedeutet: Abwasseranalysen könnten bereits Fälle aufdecken, lange bevor sie durch Tests in der Bevölkerung sichtbar werden.
Zwar kann die Abwasseranalyse keine genauen Zahlen zu Infizierten liefern, deckt aber den generellen Trend in einer Region auf. Und dabei ist es egal, ob die Personen
symptomatisch erkranken oder asymptomatisch infiziert sind. Beide scheiden das Virus aus, sodass es sich letztendlich im Abwasser nachweisen lässt. Ein großer Vorteil dieser Methode.
René Kallies und sein Forscherteam ist jetzt dabei, die Ergebnisse zu analysieren. Welche Konsequenzen das für die laufende Pandemie haben kann, ist noch nicht sicher.
„Wir könnten uns vorstellen, ein Ampelsystem zu etablieren“, sagt René Kallies. Dafür müssten regelmäßig Proben genommen werden. Steigt die Last über eine bestimmte Marke, springt die Ampel auf rot, verharren die Infektionen auf einem ähnlichen Level, bleibt sie auf grün.
„Das Problem ist aber, dass die Zahlen schon hoch waren, als wir im November mit den Tests angefangen haben“, erklärt Ralf Hövermann.
Daher gebe es keinen Ausgangswert, auf den sich die Testungen beziehen könnten. Jetzt müsse abgewartet werden, um die Tests zu wiederholen, wenn die Inzidenz auf niedrigem Niveau ist.
„Dann wäre es aber theoretisch möglich, die Spur der Infektionen im Kanalnetz zurückzuverfolgen“, so Hövermann. In Buchenhofen kommt beispielsweise Abwasser aus Wuppertal und einem Teil des Schwelmer Stadtgebiets an. Fäkalien aus dem Wermelskirchener Stadtgebiet fließen in die Kläranlagen Dhünn, Wermelskirchen und Burg. Durch regelmäßige Tests in der Kanalisation, kann man Infektionsherde möglicherweise eingrenzen. In Wien wurde das in dieser Pandemie beispielsweise schon gemacht.
Einige Parameter sind dabei allerdings noch nicht ausreichend erforscht. So ist nicht bekannt, wie viel Virus infizierte Personen ausscheiden. Und wie sich die Viruslast im Stuhl bei erkrankten und und infizierten, aber nicht erkrankten Personen unterscheidet. Besonders für die zweite Gruppe ist das auch in Studien kaum herauszufinden.
Was allerdings klar ist, die Viren im Abwasser sind nicht infektiös. „Wir befinden uns da weit unter der Nachweisgrenze, es wirkt ein riesiger Verdünnungseffekt von tausenden Hektolitern“, sagt der Virologe Kallies.
In einem Bereich können die Abwasseranalysen übrigens sofort helfen: Sie bilden die verschiedenen Virus-Varianten sehr gut ab. „Wir finden in unseren Proben sämtliche Mutationen“, so Kallies. Diese Möglichkeit sei bisher aber relativ wenig genutzt worden. Die sogenannte britische Variante B 1.1.7 hat mittlerweile den ursprünglichen Virus
verdrängt. Sie gilt als deutlich ansteckender. „Für ein großflächiges regelmäßiges Screening fehlen uns aber schlichtweg die Ressourcen“, erklärt Kallies. Er regt an, dass weiterführende Tests von den Kläranlagen und politischer Entscheidungsträger vor Ort durchgeführt werden müssten. „Wir können das nicht leisten“, sagt er.
Ralf Hövermann erteilt dem keine grundsätzliche Absage: „Das könnte man eventuell überlegen“, erklärt er, fügt aber an, dass das nur für große Anlagen wie Buchenhofen gilt. In kleineren Klärwerken seien große Tests logistisch nicht möglich.