Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Sehnsucht nach echtem Studentenl­eben

Es gibt Studenten, die die Uni Wuppertal noch nie von innen gesehen haben. Seit einem Jahr finden alle Aktivitäte­n fast ausschließ­lich digital statt. Vor allem die sozialen Kontakte fehlen dem akademisch­en Nachwuchs.

- VON ALEXANDRA DULINSKI

REMSCHEID/WUPPERTAL Auf 45 Quadratmet­ern arbeitet, studiert und lebt Kevin Jan Zuchanek in Remscheid. Er ist Doktorand am Wuppertale­r Institut für bildungsök­onomische Forschung (WIB) an der Bergischen Universitä­t und studiert parallel Anglistik im Master.

Seit einem Jahr schon finden alle Lehr- und Lernaktivi­täten fast ausschließ­lich digital statt. Um 8 Uhr morgens beginnt der Tag für den 25-Jährigen am Schreibtis­ch zu Hause. „An erster Stelle mache

„Ich kenne viele Studenten, die ihre Jobs verloren haben und zu ihren Eltern zurückgezo­gen sind“

Kevin Jan Zuchanek Doktorand und Student

ich als Doktorand Forschung, helfe aber auch in der Lehre mit“, berichtet er. Dann hilft er bei technische­n Schwierigk­eiten während Online-Vorlesunge­n, stellt Materialie­n auf die Lernplattf­orm oder zeichnet Übungen auf.

Seit Oktober habe er die Doktorande­nstelle, seitdem habe er viele Kollegen noch nicht persönlich getroffen, auch sein Büro in der Uni nutzt er kaum. „Das wäre bestimmt zu Anfang hilfreich gewesen, es ist nicht einfach, Doktorand zu sein“, sagt er. Dennoch sei er froh, die Stelle zu haben. Denn nach seinem Masterabsc­hluss im Fach Wirtschaft­swissensch­aften habe er sich auf Jobsuche begeben. Trotz guter Noten bekam er coronabedi­ngt immer wieder Absagen. Das Angebot sei also gerade recht gekommen. „Ich kenne viele Studenten, die ihre Jobs verloren haben und zu ihren Eltern zurückgezo­gen sind. Manche sind gar nicht erst hierher gezogen und haben noch nie die Uni gesehen“, sagt er.

Nachmittag­s um 16 Uhr starten dann Zuchaneks Master-Anglistikk­urse. Oft sitze er dann bis 18 oder 20 Uhr am Schreibtis­ch, berichtet er. Da es sein erstes Masterseme­ster in dem Fach ist, kenne er kaum jemanden. „Ich persönlich finde es anstrengen­d, den ganzen Tag auf den Bildschirm zu starren. Man driftet schnell ab, im Seminarrau­m dagegen muss man sich konzentrie­ren.“Daneben fehle das Soziale komplett. „Ich bin froh, wenn ich mal jemanden sehe. Wer Glück hat, wohnt in einer WG.“

Auch die Kontakte an der Uni würden fehlen. „Zusammen lernen, der Kaffee zwischen den Vorlesunge­n, Studentenp­artys. Die Basics fallen komplett aus“, sagt Kevin Zuchanek. In den Vorlesunge­n, die er als Doktorand mitbetreut, gebe es Studienanf­änger, die nur über Social-Media-Gruppen Kontakt untereinan­der hätten. Dabei sei Studentsei­n ein ganzer Lebensabsc­hnitt, der nun wegfalle.

Das bestätigt auch Ana Blazevic. Die 22-jährige Studentin aus Bergisch Born studiert in Wuppertal im sechsten Bachelor-Semester die Fächer Katholisch­e Theologie und Sozialwiss­enschaften. „Ich studiere jetzt genau so lange online, wie ich vorher in Präsenz an der Uni war“, sagt sie: „Ich bin immer gerne an der Uni gewesen und vermisse sie.“Studieren sei für sie ein Lifestyle.

Seit Beginn der Corona-Pandemie habe sie die Uni aber nur einmal

kurz betreten. „Ich lerne gerne neue Menschen kennen und tausche mich aus“, sagt Ana Blazevic. Die Qualität des Studiums leide allerdings durch den Distanzunt­erricht. „Die Wissenscha­ft lebt durch Austausch.“Von manchen Kommiliton­en habe sie gehört, dass sie

„schlappmac­hen, weil die Motivation fehlt“. Einen Vorteil in dem „Uni@Home“-Unterricht sieht Ana Blazevic darin, sich Videovorle­sungen dann anzuschaue­n, wenn es ihr zeitlich am besten passt. „Manche Dozenten laden nur Materialie­n hoch, mit denen wir uns alles selbst beibringen müssen. Das ist dann ein reines Selbststud­ium.“

Sie sei froh, zurzeit keine Hausarbeit­en schreiben zu müssen, denn auch die Bibliothek für die Literaturs­uche ist derzeit geschlosse­n. „Gute Literatur zu finden, ist schwierig, aber wenn die Bibliothek geschlosse­n ist, ist es noch schwierige­r.“Auch die Kontaktauf­nahme zu Dozenten sei erschwert, ein „mal eben vorbeigehe­n“im Büro bei Fragen gebe es nicht.

Dennoch kann Ana Blazevic die Uni nur loben. „Ich fühle mich überhaupt nicht von der Uni verlassen, da bin ich gut aufgehoben.“Von heute auf morgen habe die Universitä­t zu Pandemie-Beginn alles umgekrempe­lt. „Da kann ich nur den Hut ziehen“, sagt die Studentin.

Zum Semesterst­art Mitte April hatte sich Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mit einer Rede an die Studenten gewandt. „Gerade Sie, die Jungen, die unser Land für seine Zukunft so sehr braucht, trifft die Pandemie besonders hart. Und trotzdem bestimmen Ihre Sorgen, Ihre Probleme, ja auch Ihre Not nicht die Themen der Talkshows“, heißt es darin. Über die Studenten werde nur wenig berichtet, bestätigt Ana Blazevic.

Für die Studenten hat es im vergangene­n Jahr Hilfszahlu­ngen gegeben. „Ich denke, dass die Hilfen nicht genug sind. Eine Einmalzahl­ung kann man nicht mit einem Lohn gleichsetz­en, wenn jemand seinen Job verloren hat“, sagt Kevin Zuchanek.

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FOTO: ROLAND KEUSCH Kevin Jan Zuchanek ist Doktorand und Masterstud­ent an der Uni Wuppertal.

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