Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Sehnsucht nach echtem Studentenleben
Es gibt Studenten, die die Uni Wuppertal noch nie von innen gesehen haben. Seit einem Jahr finden alle Aktivitäten fast ausschließlich digital statt. Vor allem die sozialen Kontakte fehlen dem akademischen Nachwuchs.
REMSCHEID/WUPPERTAL Auf 45 Quadratmetern arbeitet, studiert und lebt Kevin Jan Zuchanek in Remscheid. Er ist Doktorand am Wuppertaler Institut für bildungsökonomische Forschung (WIB) an der Bergischen Universität und studiert parallel Anglistik im Master.
Seit einem Jahr schon finden alle Lehr- und Lernaktivitäten fast ausschließlich digital statt. Um 8 Uhr morgens beginnt der Tag für den 25-Jährigen am Schreibtisch zu Hause. „An erster Stelle mache
„Ich kenne viele Studenten, die ihre Jobs verloren haben und zu ihren Eltern zurückgezogen sind“
Kevin Jan Zuchanek Doktorand und Student
ich als Doktorand Forschung, helfe aber auch in der Lehre mit“, berichtet er. Dann hilft er bei technischen Schwierigkeiten während Online-Vorlesungen, stellt Materialien auf die Lernplattform oder zeichnet Übungen auf.
Seit Oktober habe er die Doktorandenstelle, seitdem habe er viele Kollegen noch nicht persönlich getroffen, auch sein Büro in der Uni nutzt er kaum. „Das wäre bestimmt zu Anfang hilfreich gewesen, es ist nicht einfach, Doktorand zu sein“, sagt er. Dennoch sei er froh, die Stelle zu haben. Denn nach seinem Masterabschluss im Fach Wirtschaftswissenschaften habe er sich auf Jobsuche begeben. Trotz guter Noten bekam er coronabedingt immer wieder Absagen. Das Angebot sei also gerade recht gekommen. „Ich kenne viele Studenten, die ihre Jobs verloren haben und zu ihren Eltern zurückgezogen sind. Manche sind gar nicht erst hierher gezogen und haben noch nie die Uni gesehen“, sagt er.
Nachmittags um 16 Uhr starten dann Zuchaneks Master-Anglistikkurse. Oft sitze er dann bis 18 oder 20 Uhr am Schreibtisch, berichtet er. Da es sein erstes Mastersemester in dem Fach ist, kenne er kaum jemanden. „Ich persönlich finde es anstrengend, den ganzen Tag auf den Bildschirm zu starren. Man driftet schnell ab, im Seminarraum dagegen muss man sich konzentrieren.“Daneben fehle das Soziale komplett. „Ich bin froh, wenn ich mal jemanden sehe. Wer Glück hat, wohnt in einer WG.“
Auch die Kontakte an der Uni würden fehlen. „Zusammen lernen, der Kaffee zwischen den Vorlesungen, Studentenpartys. Die Basics fallen komplett aus“, sagt Kevin Zuchanek. In den Vorlesungen, die er als Doktorand mitbetreut, gebe es Studienanfänger, die nur über Social-Media-Gruppen Kontakt untereinander hätten. Dabei sei Studentsein ein ganzer Lebensabschnitt, der nun wegfalle.
Das bestätigt auch Ana Blazevic. Die 22-jährige Studentin aus Bergisch Born studiert in Wuppertal im sechsten Bachelor-Semester die Fächer Katholische Theologie und Sozialwissenschaften. „Ich studiere jetzt genau so lange online, wie ich vorher in Präsenz an der Uni war“, sagt sie: „Ich bin immer gerne an der Uni gewesen und vermisse sie.“Studieren sei für sie ein Lifestyle.
Seit Beginn der Corona-Pandemie habe sie die Uni aber nur einmal
kurz betreten. „Ich lerne gerne neue Menschen kennen und tausche mich aus“, sagt Ana Blazevic. Die Qualität des Studiums leide allerdings durch den Distanzunterricht. „Die Wissenschaft lebt durch Austausch.“Von manchen Kommilitonen habe sie gehört, dass sie
„schlappmachen, weil die Motivation fehlt“. Einen Vorteil in dem „Uni@Home“-Unterricht sieht Ana Blazevic darin, sich Videovorlesungen dann anzuschauen, wenn es ihr zeitlich am besten passt. „Manche Dozenten laden nur Materialien hoch, mit denen wir uns alles selbst beibringen müssen. Das ist dann ein reines Selbststudium.“
Sie sei froh, zurzeit keine Hausarbeiten schreiben zu müssen, denn auch die Bibliothek für die Literatursuche ist derzeit geschlossen. „Gute Literatur zu finden, ist schwierig, aber wenn die Bibliothek geschlossen ist, ist es noch schwieriger.“Auch die Kontaktaufnahme zu Dozenten sei erschwert, ein „mal eben vorbeigehen“im Büro bei Fragen gebe es nicht.
Dennoch kann Ana Blazevic die Uni nur loben. „Ich fühle mich überhaupt nicht von der Uni verlassen, da bin ich gut aufgehoben.“Von heute auf morgen habe die Universität zu Pandemie-Beginn alles umgekrempelt. „Da kann ich nur den Hut ziehen“, sagt die Studentin.
Zum Semesterstart Mitte April hatte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einer Rede an die Studenten gewandt. „Gerade Sie, die Jungen, die unser Land für seine Zukunft so sehr braucht, trifft die Pandemie besonders hart. Und trotzdem bestimmen Ihre Sorgen, Ihre Probleme, ja auch Ihre Not nicht die Themen der Talkshows“, heißt es darin. Über die Studenten werde nur wenig berichtet, bestätigt Ana Blazevic.
Für die Studenten hat es im vergangenen Jahr Hilfszahlungen gegeben. „Ich denke, dass die Hilfen nicht genug sind. Eine Einmalzahlung kann man nicht mit einem Lohn gleichsetzen, wenn jemand seinen Job verloren hat“, sagt Kevin Zuchanek.