Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wirecard beschädigt Merkels Bilanz
Angela Merkel hat die Manager des Skandal-Unternehmens Wirecard nie getroffen, sie war auch nicht verantwortlich für die deutsche Finanzaufsicht, deren Kontrolleure im Fall Wirecard so jämmerlich versagt haben. Aber die Kanzlerin macht es sich wie andere Vertreter des politischen Führungszirkels zu einfach, wenn sie sagt, es habe 2019 vor ihrer China-Reise keinen Anlass gegeben, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard auszugehen. So eine Haltung ist grob fahrlässig, weil die Verantwortlichen damals deutlich sichtbare Hinweise auf zumindest zweifelhafte Machenschaften im Fall Wirecard nicht zur Kenntnis nahmen. Ohne diese Ignoranz wäre Merkels Werben für den damaligen Shootingstar Wirecard bei Chinas politischer Führung kaum denkbar gewesen.
Die Kanzlerin hat am Freitag wie bei der Corona-Notbremse ihre Rolle als letztlich politisch Verantwortliche betont, und schon deshalb muss sie sich in die moralische Mithaftung ziehen lassen. In dem Sinne ist ihr auch das Vorgehen zahlreicher Lobbyisten zuzurechnen, die sich wie Ex-Bundesminister zu Guttenberg für Wirecard starkmachten und von denen sich die Kanzlerin in feinem politischen Gespür längst abgewandt hat.
Merkels Auftritt im Untersuchungsausschuss ist für ihre eigene politische Karriere nicht mehr von Bedeutung. Die vierte und letzte Amtszeit der Kanzlerin geht ihrem Ende entgegen, anders als beim Bundesfinanzminister, dessen wenig überzeugender Auftritt vor den Parlamentariern seine ohnehin begrenzten Aussichten auf einen Einzug ins Kanzleramt nicht verbessert haben dürfte. Aber der Vorgang ist auch mehr als ein Schönheitsfleck in einer eineinhalb Jahrzehnte langen Merkel-Kanzler-Bilanz, die in den Augen vieler Deutscher durchweg positiv ausfällt.
BERICHT KANZLERIN IM KREUZVERHÖR, WIRTSCHAFT