Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wirecard beschädigt Merkels Bilanz

- VON GEORG WINTERS

Angela Merkel hat die Manager des Skandal-Unternehme­ns Wirecard nie getroffen, sie war auch nicht verantwort­lich für die deutsche Finanzaufs­icht, deren Kontrolleu­re im Fall Wirecard so jämmerlich versagt haben. Aber die Kanzlerin macht es sich wie andere Vertreter des politische­n Führungszi­rkels zu einfach, wenn sie sagt, es habe 2019 vor ihrer China-Reise keinen Anlass gegeben, von schwerwieg­enden Unregelmäß­igkeiten bei Wirecard auszugehen. So eine Haltung ist grob fahrlässig, weil die Verantwort­lichen damals deutlich sichtbare Hinweise auf zumindest zweifelhaf­te Machenscha­ften im Fall Wirecard nicht zur Kenntnis nahmen. Ohne diese Ignoranz wäre Merkels Werben für den damaligen Shootingst­ar Wirecard bei Chinas politische­r Führung kaum denkbar gewesen.

Die Kanzlerin hat am Freitag wie bei der Corona-Notbremse ihre Rolle als letztlich politisch Verantwort­liche betont, und schon deshalb muss sie sich in die moralische Mithaftung ziehen lassen. In dem Sinne ist ihr auch das Vorgehen zahlreiche­r Lobbyisten zuzurechne­n, die sich wie Ex-Bundesmini­ster zu Guttenberg für Wirecard starkmacht­en und von denen sich die Kanzlerin in feinem politische­n Gespür längst abgewandt hat.

Merkels Auftritt im Untersuchu­ngsausschu­ss ist für ihre eigene politische Karriere nicht mehr von Bedeutung. Die vierte und letzte Amtszeit der Kanzlerin geht ihrem Ende entgegen, anders als beim Bundesfina­nzminister, dessen wenig überzeugen­der Auftritt vor den Parlamenta­riern seine ohnehin begrenzten Aussichten auf einen Einzug ins Kanzleramt nicht verbessert haben dürfte. Aber der Vorgang ist auch mehr als ein Schönheits­fleck in einer eineinhalb Jahrzehnte langen Merkel-Kanzler-Bilanz, die in den Augen vieler Deutscher durchweg positiv ausfällt.

BERICHT KANZLERIN IM KREUZVERHÖ­R, WIRTSCHAFT

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