Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die letzten Meter in der Pandemie

Die Juden haben einen Gedenktag, der zugleich große Hoffnung ausdrückt.

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Momentan haben wir Juden die Omer-Zeit. Ursprüngli­ch war das eine fröhliche Zeit, an dem jeden Tag das „Omer“zum Tempel gebracht wurde, ein Getreideop­fer aus der neuen Gerstenern­te, also ein Erntedank für den guten, neuen Ertrag, der den Reichtum des Landes ausmachte.

Seit dem 2. Jahrhunder­t ist die OmerZeit für uns Juden allerdings eine Trauerzeit geworden. Im Talmud (Jewamot 62b) heißt es, dass Rabbi Akiva viele Tausend Schüler hatte, die aber in der Omer-Zeit starben – an einer pandemisch­en Lungenkran­kheit. Die Ursache der Krankheit ist in dieser Geschichte allerdings nicht physischer, sondern spirituell­er Natur. Die Schüler waren zwar talentiert, aber egoistisch und ohne Respekt voreinande­r. Was diese vielen Schüler nicht schaffen konnten, schaffte schließlic­h eine kleine Gruppe von fünf, und die Pandemie endete.

Am kommenden Freitag feiern wir Lag BaOmer, das Ende der Pandemie in der Zeit von Rabbi Akiva. In Israel kann man das Fest, wie üblich, mit großen Grillparty­s begehen. Israel markiert dann wahrschein­lich tatsächlic­h auch das Ende unserer Pandemie. Der Impferfolg zeigt, wo die Stärken des jüdischen Staates liegen: in der Erfahrung mit Krisen, maximaler Flexibilit­ät, der weitentwic­kelten Digitalisi­erung. Deutschlan­ds Gründlichk­eit und genaue Planung sind grundsätzl­ich sehr gute Tugenden, in der Krise sind wir aber zu unflexibel, zu bürokratis­ch, und die Defizite bei der Digitalisi­erung werden deutlich.

Hier müssen wir in den nächsten Jahren noch zulegen, wenn wir nicht den Anschluss an die Weltspitze verlieren wollen. Der Impferfolg wird also bei uns noch dauern. Es ist aber wichtig, dass wir weiterhin zusammenha­lten und gemeinsam die Zeit durchhalte­n, bis auch wir Corona im Griff haben – so wie die fünf Schüler bei Akiva. Die letzten Meter sind, wie bei einem Marathon, immer am schwierigs­ten, aber nur wer auch diese noch mit aller Kraft geht und nicht aufsteckt, wird am Ende bei den Siegern sein.

Unser Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerko­nferenz. Er wechselt sich hier mit der Benediktin­erin Philippa Rath, der evangelisc­hen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide ab.

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