Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Russisches Roulette ist sicherer“
Die Lage in den Krankenhäusern verschärft sich weiter. Für Ärzte und Pflegepersonal ist die Belastung kaum noch zu stemmen. Ein Besuch auf der Intensivstation der Uniklinik Köln.
KÖLN Die Zahl der intensivpflichtigen Patienten steigt täglich weiter. Am Freitag verzeichnet das Register der Interdisziplinären Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner (Divi) bundesweit 5054 belegte Intensivbetten. Auch die Lage in NRW ist regional sehr ernst. In Köln sei die Situation „hochdramatisch“, sagt Professor Bernd Böttiger, der die Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln leitet. In der Domstadt sind 135 von 300 Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt, und das, obwohl täglich etwa zehn Patienten in andere Städte verlegt werden.
„Die Uniklinik Köln stellt sich darauf ein, am Wochenende eine zusätzliche Intensivstation für Covid-Patienten aufzumachen“, sagt Böttiger. Derzeit werden 32 CovidKranke in der Uniklinik intensivmedizinisch behandelt. Das entspricht etwa einem Drittel der hauseigenen Kapazität für Erwachsene – was nicht heißt, dass die restlichen Betten leer sind. In ihnen werden andere schwerkranke Patienten versorgt, die Auslastung liegt bei 100 Prozent. Das OP-Programm an der Uniklinik wurde bereits um 30 Prozent gesenkt und soll weiter heruntergefahren werden.
Unsere Redaktion hatte sich schon einmal im November mit Ärzten und Pflegepersonal von der Intensivstation der Kölner Uniklinik unterhalten. Nun haben wir diese Menschen erneut getroffen und sie gefragt, wie es ihnen ergangen ist, wie sie mit den enormen Belastungen umgehen und was sie am meisten besorgt. Unisono sind sie enttäuscht davon, wie die Politik mit der Krise umgeht, kritisieren das zögerliche und uneinheitliche Vorgehen. Aber auch der leichtfertige Umgang vieler Menschen mit den Regeln führt zu Frustrationen. Wobei er, sagt Böttiger, noch den Eindruck habe, dass die Bürger den Ernst der Lage eher begriffen hätten als die Politik.
Susann Böttger (38), IntensivKrankenschwester „Ich bin mittlerweile sehr dünnhäutig geworden und habe den Glauben daran verloren, dass sich die Lage für längere Zeit entspannt. Mit jeder Welle sind die Ängste gewachsen, wie wir das auf der Station pflegerisch stemmen können. Aber während mir die Unwissenheit am Anfang noch den Schlaf geraubt hat, falle ich heute nach der Arbeit nur noch k.o. ins Bett. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Station sich in der dritten Welle viel rasanter mit Covid-Kranken gefüllt hat als zuvor und die Patienten auch schneller einen schweren Verlauf entwickelten. Das macht mir Angst. Auch die Frage, wo das alles hingehen soll. Zudem ist es frustrierend zu sehen, dass man sich um einen Patienten bemüht, aber nach der Schicht nach Hause geht und denkt, das hat gar nichts gebracht. Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden. Dann fragt man sich, was man hätte besser machen können. Ich und meine Kollegen, wir arbeiten alle am Limit; die Gesichter und die Körperhaltung nach dem Dienst sprechen eine deutliche Sprache; alle sind nur noch fertig. Trotz allem würde ich mich wieder für den Beruf entscheiden.“
Bernd Böttiger (62), Direktor der Kölner Klinik für Intensivmedizin „Man kann es nicht oft genug sagen, aber was wir gerade erleben, ist eine neue Pandemie. Damit einher geht eine andere epidemiologische Dynamik, die mit den bisherigen Maßnahmen nicht gebrochen werden kann. Wir sahen gerade bei der Belegung der Intensivstationen einen leichten Ostereffekt, eine minimale Reduktion des kontinuierlichen Anstiegs. Dennoch haben wir bereits jetzt deutlich mehr Patienten als in der zweiten Welle. Und es steigt in ganz Köln weiter rapide an. Aus meiner Sicht war es ein großer politischer Fehler, die Inzidenzen davonlaufen zu lassen. Es wurde viel zu spät gehandelt, stattdessen wie auf dem Markt über viel zu hohe Inzidenzwerte verhandelt. Das ist alles nur sehr schwer erträglich. Was wir brauchen, ist ein harter Lockdown von zwei, drei Wochen, der seinen Namen verdient. Mit der neuen Virusvariante kommen wir sonst nicht zurecht. Andernfalls werden wir für lange Zeit nur herumlavieren, und jeden Tag werden viele Menschen auf den Intensivstationen versorgt werden müssen, von denen ein Drittel bis die Hälfte stirbt. Russisches Roulette ist sicherer.“
Wolfgang Wetsch (40), Oberarzt Intensivmedizin „Man kann die Situation auf den Kölner Intensivstationen vergleichen mit einem Schwamm, der zwar viel aufsaugt, aber irgendwann ist er voll und schwappt über. Das ist der Punkt, vor dem alle Angst haben, auch ich. Aber an den Punkt, an dem eine Triage notwendig wird, wollen und dürfen wir niemals kommen. Nur sind wir in einer Welle, von der wir alle gehofft haben, dass sie nicht stattfindet, genauso wie wir hoffen, dass eine vierte Welle ausbleibt. Aber das kann nicht klappen, wenn die Maßnahmen nicht greifen. Nervig ist auch das fehlende Bedrohungsbewusstsein gerade bei jungen Menschen. Am vergangenen Sonntag nach der Intensiv-Visite war ich richtig deprimiert, wie schlimm und wie langwierig die Krankheitsverläufe der Covid-Patienten sind. Auf dem Weg nach Hause habe ich dann junge Menschen in Gruppen biertrinkend im Park sitzen sehen. Diese Menschen würde ich eigentlich gerne mal über die Station führen. Der Altersschnitt unserer Patienten hat sich bei etwa 50 Jahren eingependelt, und wir haben aktuell zwei 30-Jährige in Behandlung. Das geht auch mir unter die Haut.“
Michael Groß (51), Teamleitung Intensivstation „Für mich als Teamleiter stellt sich ständig die Frage, wie lange die Kollegen auf der Station die hohen Anforderungen noch durchhalten. Alle sind extrem überlastet. Mir geht dann immer durch den Kopf, wie wir uns aufstellen müssen, wenn noch mehr Covid-Patienten kommen. Der Druck besteht auch darin, dem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht werden zu können. Das geht jetzt schon nicht mehr, weil man keine Zeit hat, sich so um die Patienten zu kümmern, wie es nötig wäre. Und je mehr Kranke wir aufnehmen, desto mehr Menschen muss eine Intensiv-Pflegekraft betreuen. Insofern habe ich nach der zweiten Welle keine Entspannung empfunden, weil mich das Wissen darum, dass eine dritte Welle kommen wird, nie hat runterkommen lassen. Zudem macht es mich fassungslos zu sehen, wie zögerlich die Politik reagiert, obwohl alle wissen müssten, worauf das hinausläuft. Mir bereitet das Sorge, auch die vielen inkonsequenten Regeln, was das Verhalten in den Schulen oder im Einzelhandel angeht. Denn in meiner täglichen Arbeit sehe ich die Konsequenz dieser Inkonsequenz.“