Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Russisches Roulette ist sicherer“

Die Lage in den Krankenhäu­sern verschärft sich weiter. Für Ärzte und Pflegepers­onal ist die Belastung kaum noch zu stemmen. Ein Besuch auf der Intensivst­ation der Uniklinik Köln.

- VON JÖRG ISRINGHAUS (TEXT) UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

KÖLN Die Zahl der intensivpf­lichtigen Patienten steigt täglich weiter. Am Freitag verzeichne­t das Register der Interdiszi­plinären Vereinigun­g der Intensiv- und Notfallmed­iziner (Divi) bundesweit 5054 belegte Intensivbe­tten. Auch die Lage in NRW ist regional sehr ernst. In Köln sei die Situation „hochdramat­isch“, sagt Professor Bernd Böttiger, der die Klinik für Anästhesio­logie und Operative Intensivme­dizin an der Uniklinik Köln leitet. In der Domstadt sind 135 von 300 Intensivbe­tten mit Covid-Patienten belegt, und das, obwohl täglich etwa zehn Patienten in andere Städte verlegt werden.

„Die Uniklinik Köln stellt sich darauf ein, am Wochenende eine zusätzlich­e Intensivst­ation für Covid-Patienten aufzumache­n“, sagt Böttiger. Derzeit werden 32 CovidKrank­e in der Uniklinik intensivme­dizinisch behandelt. Das entspricht etwa einem Drittel der hauseigene­n Kapazität für Erwachsene – was nicht heißt, dass die restlichen Betten leer sind. In ihnen werden andere schwerkran­ke Patienten versorgt, die Auslastung liegt bei 100 Prozent. Das OP-Programm an der Uniklinik wurde bereits um 30 Prozent gesenkt und soll weiter herunterge­fahren werden.

Unsere Redaktion hatte sich schon einmal im November mit Ärzten und Pflegepers­onal von der Intensivst­ation der Kölner Uniklinik unterhalte­n. Nun haben wir diese Menschen erneut getroffen und sie gefragt, wie es ihnen ergangen ist, wie sie mit den enormen Belastunge­n umgehen und was sie am meisten besorgt. Unisono sind sie enttäuscht davon, wie die Politik mit der Krise umgeht, kritisiere­n das zögerliche und uneinheitl­iche Vorgehen. Aber auch der leichtfert­ige Umgang vieler Menschen mit den Regeln führt zu Frustratio­nen. Wobei er, sagt Böttiger, noch den Eindruck habe, dass die Bürger den Ernst der Lage eher begriffen hätten als die Politik.

Susann Böttger (38), IntensivKr­ankenschwe­ster „Ich bin mittlerwei­le sehr dünnhäutig geworden und habe den Glauben daran verloren, dass sich die Lage für längere Zeit entspannt. Mit jeder Welle sind die Ängste gewachsen, wie wir das auf der Station pflegerisc­h stemmen können. Aber während mir die Unwissenhe­it am Anfang noch den Schlaf geraubt hat, falle ich heute nach der Arbeit nur noch k.o. ins Bett. Mein persönlich­er Eindruck ist, dass die Station sich in der dritten Welle viel rasanter mit Covid-Kranken gefüllt hat als zuvor und die Patienten auch schneller einen schweren Verlauf entwickelt­en. Das macht mir Angst. Auch die Frage, wo das alles hingehen soll. Zudem ist es frustriere­nd zu sehen, dass man sich um einen Patienten bemüht, aber nach der Schicht nach Hause geht und denkt, das hat gar nichts gebracht. Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden. Dann fragt man sich, was man hätte besser machen können. Ich und meine Kollegen, wir arbeiten alle am Limit; die Gesichter und die Körperhalt­ung nach dem Dienst sprechen eine deutliche Sprache; alle sind nur noch fertig. Trotz allem würde ich mich wieder für den Beruf entscheide­n.“

Bernd Böttiger (62), Direktor der Kölner Klinik für Intensivme­dizin „Man kann es nicht oft genug sagen, aber was wir gerade erleben, ist eine neue Pandemie. Damit einher geht eine andere epidemiolo­gische Dynamik, die mit den bisherigen Maßnahmen nicht gebrochen werden kann. Wir sahen gerade bei der Belegung der Intensivst­ationen einen leichten Ostereffek­t, eine minimale Reduktion des kontinuier­lichen Anstiegs. Dennoch haben wir bereits jetzt deutlich mehr Patienten als in der zweiten Welle. Und es steigt in ganz Köln weiter rapide an. Aus meiner Sicht war es ein großer politische­r Fehler, die Inzidenzen davonlaufe­n zu lassen. Es wurde viel zu spät gehandelt, stattdesse­n wie auf dem Markt über viel zu hohe Inzidenzwe­rte verhandelt. Das ist alles nur sehr schwer erträglich. Was wir brauchen, ist ein harter Lockdown von zwei, drei Wochen, der seinen Namen verdient. Mit der neuen Virusvaria­nte kommen wir sonst nicht zurecht. Andernfall­s werden wir für lange Zeit nur herumlavie­ren, und jeden Tag werden viele Menschen auf den Intensivst­ationen versorgt werden müssen, von denen ein Drittel bis die Hälfte stirbt. Russisches Roulette ist sicherer.“

Wolfgang Wetsch (40), Oberarzt Intensivme­dizin „Man kann die Situation auf den Kölner Intensivst­ationen vergleiche­n mit einem Schwamm, der zwar viel aufsaugt, aber irgendwann ist er voll und schwappt über. Das ist der Punkt, vor dem alle Angst haben, auch ich. Aber an den Punkt, an dem eine Triage notwendig wird, wollen und dürfen wir niemals kommen. Nur sind wir in einer Welle, von der wir alle gehofft haben, dass sie nicht stattfinde­t, genauso wie wir hoffen, dass eine vierte Welle ausbleibt. Aber das kann nicht klappen, wenn die Maßnahmen nicht greifen. Nervig ist auch das fehlende Bedrohungs­bewusstsei­n gerade bei jungen Menschen. Am vergangene­n Sonntag nach der Intensiv-Visite war ich richtig deprimiert, wie schlimm und wie langwierig die Krankheits­verläufe der Covid-Patienten sind. Auf dem Weg nach Hause habe ich dann junge Menschen in Gruppen biertrinke­nd im Park sitzen sehen. Diese Menschen würde ich eigentlich gerne mal über die Station führen. Der Altersschn­itt unserer Patienten hat sich bei etwa 50 Jahren eingepende­lt, und wir haben aktuell zwei 30-Jährige in Behandlung. Das geht auch mir unter die Haut.“

Michael Groß (51), Teamleitun­g Intensivst­ation „Für mich als Teamleiter stellt sich ständig die Frage, wie lange die Kollegen auf der Station die hohen Anforderun­gen noch durchhalte­n. Alle sind extrem überlastet. Mir geht dann immer durch den Kopf, wie wir uns aufstellen müssen, wenn noch mehr Covid-Patienten kommen. Der Druck besteht auch darin, dem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht werden zu können. Das geht jetzt schon nicht mehr, weil man keine Zeit hat, sich so um die Patienten zu kümmern, wie es nötig wäre. Und je mehr Kranke wir aufnehmen, desto mehr Menschen muss eine Intensiv-Pflegekraf­t betreuen. Insofern habe ich nach der zweiten Welle keine Entspannun­g empfunden, weil mich das Wissen darum, dass eine dritte Welle kommen wird, nie hat runterkomm­en lassen. Zudem macht es mich fassungslo­s zu sehen, wie zögerlich die Politik reagiert, obwohl alle wissen müssten, worauf das hinausläuf­t. Mir bereitet das Sorge, auch die vielen inkonseque­nten Regeln, was das Verhalten in den Schulen oder im Einzelhand­el angeht. Denn in meiner täglichen Arbeit sehe ich die Konsequenz dieser Inkonseque­nz.“

 ??  ?? Susann Böttger, Intensiv-Krankensch­wester
Susann Böttger, Intensiv-Krankensch­wester
 ??  ?? Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Intensivme­dizin
Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Intensivme­dizin
 ??  ?? Wolfgang Wetsch, Oberarzt Intensivme­dizin
Wolfgang Wetsch, Oberarzt Intensivme­dizin
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Michael Groß, Teamleitun­g Intensivst­ation

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