Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Was ist Trumpf?
Politisches und Privates: Die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) im Porträt.
Profil Er ist der Erfahrene. Olaf Scholz hat schon so ziemlich alle Partei- und Regierungsämter innegehabt, bis auf Kanzler. Jedenfalls präsentiert er sich gern so, mit diesem Attribut des ausgebufften Haudegens wurde er von der SPD trotz interner Imageprobleme als Kanzlerkandidat aufgestellt. Einst war Scholz Innensenator Hamburgs, Generalsekretär seiner Partei, Bundesarbeitsminister, Erster Bürgermeister Hamburgs, stellvertretender Parteichef, heute Vizekanzler und Bundesfinanzminister. Der nüchterne, der faktenverliebte, der geschickte Taktierer ist ein politisches Schwergewicht und muss doch mit einem schweren Stand im Wahlkampf rechnen.
Partei Dass es der 62-jährige Olaf Scholz nicht leicht hat im Wettbewerb mit Armin Laschet und Annalena Baerbock, liegt maßgeblich an den schlechten Zustimmungswerten seiner Partei. Und mit der hat er selbst so seine Probleme. Scholz spaltet die Genossen, das wurde im Rennen um den Parteivorsitz besonders deutlich. Besonders die Jusos und Parteilinke werfen ihm vor, als Architekt der „Agenda 2010“die Hartz-Gesetz und damit den Niedergang der SPD zu verantworten. Als Generalsekretär war er als „Scholzomat“verschrien, weil er die Positionen roboterhaft, emotionslos, teils umständlich zu verkaufen versuchte. Dass der frühere Juso-Vizechef aber auch sehr linke Positionen vertritt, beispielsweise schon früh für einen Mindestlohn von zwölf Euro stritt, ist weniger bekannt. Als Scholz gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans unterlag und sie Parteivorsitzende wurden, machte er keinen Rückzieher und blieb im Amt als Vizekanzler. Dass er später zum Kanzlerkandidaten ernannt werden sollte – einvernehmlich –, war da noch nicht absehbar. Heute behauptet die SPD-Spitze, dass sie geschlossen und harmonisch zusammenarbeite mit Scholz.
Prägung Geboren wurde Scholz in Osnabrück, wuchs jedoch als ältestes von drei Kindern im einwohnerstärksten Hamburger Stadtteil Rahlstedt auf. Seine Eltern waren in der Textilbranche tätig, Scholz selbst zog es an die Uni, wo er Jura studierte. Bevor er Berufspolitiker wurde, arbeitete Scholz als Anwalt für Arbeitsrecht. Doch bereits als Gymnasiast trat er bei den Sozialdemokraten ein, schrieb als Mitglied der Jusos Artikel zur Überwindung des Kapitalismus. Scholz ist von linker Politik geprägt, gilt aber als Pragmatiker mit starkem Machtwillen. Als Spitzenpolitiker mit viel Erfahrung hat er auch mehrere Skandale und Tiefen überwinden müssen. Dazu gehören die Pleite der HSH-Nordbank, die eskalierende Gewalt beim G20-Gipfel in Hamburg, als Scholz verschreckt wirkte, jetzt der Wirecard-Skandal, bei dem er jede Verantwortung abstreitet. Scholz ist ein beschriebenes Blatt mit beachtlichen Nehmerqualitäten.
Privates Mittlerweile lebt Scholz in Potsdam, tritt dort bei der Bundestagswahl als Kandidat an. Er ist kinderlos, verheiratet mit Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst. Zuletzt zog das Paar aus seiner Wohnung in einem Mehrfamilienhaus aus, weil binnen kurzer Zeit zweimal Einbrecher in die Räume eingedrungen waren. Scholz, der Personenschutz hat, hält sich mit Joggen und Radfahren fit. Sein Lachen, seine teils verschmitzte Art bewegten wohl Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einer der schwierigen Ministerpräsidentenkonferenz dazu, ihm im Ärger ein „schlumpfiges Grinsen“zu attestieren. Scholz nahm es mit Humor und konterte beim Kurznachrichtendienst Twitter, Schlümpfe seien klein, listig – und sie „gewinnen immer“.
Programm Im Wahlkampf will Scholz mit sozial und wirtschaftlich verträglichem Klimaschutz punkten, er setzt mit dem Schlagwort „Respekt“auf mehr Gerechtigkeit bei Löhnen, im Wahlprogramm steht ein Ende der Hartz-IV-Sanktionen. Scholz will zudem massiv investieren und die Bundesrepublik so aus der Corona-Krise führen, dabei setzt er auch auf höhere Steuern für Vermögende. Außerdem will er die Einbindung Deutschlands in Europa vorantreiben. Jan Drebes
Profil Zähigkeit und Beharrungsvermögen hat Armin Laschet wiederholt unter Beweis gestellt. 2017 löste er allen Umfragen zum Trotz die amtsmüde Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Herzkammer der SPD ab, regiert seitdem mit nur einer Stimme über den Durst das bevölkerungsreichste Bundesland. Zunächst ging das still und effizient. Doch die Corona-Pandemie hat die Karten neu gemischt, und Laschet, der sich einen Ruf als Vermittler und Einer erarbeitet hat, gerät immer stärker unter den Öffnungs-Druck des Koalitionspartners FDP. Gegen alle Widerstände hat er sich gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen im Kampf um die CDU-Spitze durchgesetzt und zuletzt Markus Söder im Rennen um die Kanzlerkandidatur geschlagen. Als oberster Pandemiebekämpfer von NRW, als von der Basis nicht geliebter Unions-Spitzenkandidat mit katastrophalen Umfragewerten und CDU-Vorsitzender so kurz vor der Wahl in Sachsen-Anhalt ist er nun dreifach gefordert.
Partei Zum Eintritt in die CDU von einem Freund gedrängt, entdeckte Laschet früh seine Lust am politischen Auftritt. Vom Rat seiner Heimatstadt Aachen wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter ins Büro von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, war Bundestagsund Europaabgeordneter. Laschet gehört zu den Gründungsmitgliedern der Pizza-Connection, des berühmten und berüchtigten Bonner Gesprächskreises junger CDU- und Grünen-Politiker. Sein wohl wichtigster Mentor war der langjährige Merkel-Vertraute Peter Hintze. Laschet ist bekennender rheinischer Katholik und Wertkonservativer. Jürgen Rüttgers holte ihn als Integrationsminister aus Brüssel nach Düsseldorf. „Türken-Armin“war lange sein Rufname in der Partei.
Prägung Beim CDU-Bundesparteitag im Januar 2021 hielt Armin Laschet medienwirksam die Bergmanns-Münze seines Vaters in die Kamera, der als Mikätzchen aufs Lehramt umschulte. Die Mutter war in der katholischen Kirchengemeinde engagiert. Das Aufwachsen
in Grenznähe ist bis heute für ihn prägend geblieben. Europa gilt dem späteren Europa-Abgeordneten Laschet als Herzensanliegen. Am meisten politischen Einfluss nahm in den Anfangsjahren auf ihn neben Peter Hintze wohl Rita Süssmuth; von ihr lernte er auch, für die Union unbequeme Positionen zu übernehmen. Lange Zeit vertrat Laschet mit Begeisterung die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel – etwa in der Flüchtlingskrise. Diese Bande sind aber brüchig geworden, seit Laschet sich in der Corona-Pandemie zum Meinungsführer der Lockerer aufgeschwungen hat.
Privates Laschet gilt als fest verwurzelt im Aachener Stadtteil Burtscheid. Hier lebt er mit Frau Susanne, einer gelernten Buchhändlerin, im Reihenhaus. Schlagzeilen machte sie in einer WDR-Talkshow. Dort deutete sie an, dass das Eheversprechen sehr liberal ausgelegt werde. Die beiden haben drei erwachsene Kinder. Der älteste Sohn Johannes, genannt Jo, hat als Mode-Influencer einige Bekanntheit erreicht und brachte den Vater wegen der Weitergabe der Handynummer seines Auftraggebers, Christian von Daniels, Chef des Modeherstellers Van Laack, in Erklärungsnöte. In für ihn ungewöhnlicher Schärfe wies der Vater die scharfen Angriffe der Opposition auf seine Familie zurück.
Programm Schwer zu sagen. Für den Bundestagswahlkampf ist CDUChef Laschet ein echtes Wahlkampfprogramm bislang schuldig geblieben. In NRW war es zuletzt die Politik von „Maß und Mitte“, die er nicht müde wurde zu verkünden. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich der Wunsch nach einem Ende der Corona-Maßnahmen. Schon früh legte er sich fest, dass Grundrechtseingriffe schnell wieder zurückgenommen werden müssten. Laschets Kurs ist oft nicht ganz klar zu erkennen. Nachdem er zuletzt etwa die Notbremse im Handel bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht hatte, verlangte er kurz darauf einen „Brückenlockdown“. Seine Vor-Corona-Politik zeichnete sich durch Wirtschaftsfreundlichkeit und eine Härte gegenüber kriminellen Clans aus. Maximilian Plück
Profil Zu ihren männlichen Mitbewerbern ist Annalena Baerbock gewissermaßen der Gegenentwurf. Jung, weiblich, ohne jahrzehntelange Erfahrung in Regierungs- und Parteiämtern. Die Mutter von zwei Kindern verweist gerne darauf, mit beiden Beinen im „echten Leben“zu stehen, zu wissen, was in den Schulen derzeit los ist. Sie will aber nicht darauf reduziert werden, Mutter zu sein. Die Vereinbarkeit von Familie und Spitzenpolitik sieht sie nicht als Problem. Baerbock gilt als zielstrebig, ihr wird ein ausgeprägter Machtinstinkt nachgesagt. Eine, die sich in Themen reinfressen kann, Dinge strukturiert und taktisch angeht. Die 40-Jährige verfügt über ein breites Netzwerk bei den Grünen, ist vor allem mit den wichtigen Strippenziehern gut verdrahtet. Als Pragmatikerin steht sie nicht für einen der Parteiflügel, kann die komplette Klaviatur der Partei spielen.
Partei Ihren großen Moment hatte Baerbock beim Grünen-Parteitag 2018 in Hannover, als sie einen furiosen Wahlsieg gegen die ebenfalls aus Niedersachsen stammende Parteilinke Anja Piel hinlegte. Mit ihr gewählt: Robert Habeck, der damals schon in der Öffentlichkeit große Beliebtheit genoss, teils gar als künftiger Kanzler gehandelt wurde. Doch Baerbock ließ sich davon nicht beirren, machte deutlich, dass sie nicht nur die Frau an Roberts Seite ist. Sie besuchte Talkshows, stellte ihr rhetorisches Talent zur Schau, ließ sich nicht einschüchtern von politischen Gegnern mit weitaus mehr Sternen auf den Schulterklappen. Intern verschaffte ihr das großen Respekt und Anerkennung, ihr gelang mit Habeck der Umbau der Grünen zur Bündnispartei. Zugleich wirkt sie auf Parteifreunde verbissener, weniger locker als Habeck. Mit Blick auf das Kanzleramt legt ihr das aber niemand kritisch aus.
Prägung Annalena Baerbock kommt vom Dorf und erzählt das bei jeder Gelegenheit. Aufgewachsen in der Nähe von Hannover, betrieb sie in ihrer Jugend Trampolinspringen als Leistungssport, spielte auch Fußball. Baerbock ist eine Kämpfernatur, engagierte sich als Tochter einer Sozialpädagogin und eines Maschinenbauingenieurs
früh bei den Grünen, nahm an Demos gegen Atomkraft teil. Nachdem sie ein Jahr als Austauschschülerin im US-Bundesstaat Florida verbracht und das Abitur gemacht hatte, studierte sie Politikwissenschaft, später Völkerrecht. Sie hält einen Master als Abschluss und stieg nach dem Studium als Mitarbeiterin einer Europaabgeordneten in die Politik ein. Sie kennt die Abläufe in den Büros der Abgeordneten, parlamentarische Verfahren, weiß um die Einflussmöglichkeiten als Mitglied des Bundestages. Baerbock hatte jedoch nie ein Amt in einer Regierung inne, leitete keine Behörde, der Sprung ins Kanzleramt wäre eine katapultartige Karriere.
Privates Annalena Baerbock ist verheiratet. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Politikberater Daniel Holefleisch, in Brandenburg. Ihre beiden gemeinsamen Töchter sind im Grundschulalter. Baerbock sagt von sich, dass sie nicht gläubig sei. Mitglied der evangelischen Kirche ist sie trotzdem, das Miteinander sei ihr wichtig. Baerbock spricht fließend Englisch, in Reden fällt ihre Nervosität hin und wieder auf. Dann verhaspelt sie sich, deswegen redet sie nicht immer frei. In sozialen Netzwerken wurde sie auch deswegen immer wieder mit Hasskommentaren beleidigt.
Programm Wie es von der grünen Kanzlerkandidatin nicht anders zu erwarten ist, steht Baerbock für konsequenten Klimaschutz. Ein Tempolimit ist dabei genauso selbstverständlich wie eine Reduzierung der Treibhausgase um 70 Prozent bis 2030, ein Ende des Verbrennungsmotors bei den Neuzulassungen. Doch die Grünen haben sich unter Baerbock und Habeck auch ein linkes, sehr soziales Programm gegeben. Hartz-IV-Sanktionen wollen sie abschaffen, sie wollen den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, die Grünen setzen auf eine höhere Besteuerung von Vermögenden. Die Krise will Baerbock mit massiven Investitionen bekämpfen, insbesondere in der Bildung. Ihr Leitbild: Sich aus dem Schatten bis an die Spitze arbeiten, dabei den Wandel und nicht den Status quo verkörpern. Jan Drebes