Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Post für Professor Boerne

Jan Josef Liefers und andere Schauspiel­er wenden sich in einer ungewöhnli­chen Aktion mit ironischen Youtube-Videos gegen die Corona-Politik der Bundesregi­erung. Das fand Zustimmung, aber auch viel Kritik. Wolfram Goertz versucht es mit einer direkten Ansp

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Sehr geehrter Herr Professor Boerne,

Sie sind ein internatio­nal renommiert­er Rechtsmedi­ziner, der in seinem Leben schon viel erlebt und auf dem Tisch gehabt hat. Gewiss haben Sie in jüngster Zeit auch Menschen obduziert, die an einer Covid-19-Erkrankung gestorben sind. Und ich bin sicher, Sie zählen nicht zu diesen Stimmen, die in der Erkrankung bloß eine schwere Grippe sehen. Viele deutsche Pathologen – Sie haben die Statements Ihrer Kollegen zweifellos in Erinnerung – haben ja unlängst mitgeteilt, dass diese Erkrankung ungeahnt viele Facetten besitzt und mit Influenza kaum zu vergleiche­n ist.

Nun kennen Sie aus Ihrem Institut gewiss den von uns hochgeschä­tzten Jan Josef Liefers (von dem ich leider keine Kontaktadr­esse besitze), der sich soeben als Privatmann an die Welt gewandt hat. Mit einigen Schauspiel­ern hat er unter dem Hashtag #allesdicht­machen ein Video ins Netz gestellt, in dem er auf beißend ironische Weise uns Medien dankt, dass wir „unserer Regierung“angeblich jeglichen kritischen Diskurs ersparen. Er fordert uns alle auf – das ist abermals ironisch gemeint –, dass wir der Regierung die Treue halten und systemkrit­ische Töne auch aus der Mediziners­chaft ignorieren.

Ich weiß nicht, wie Sie diese Aussage von Herrn Liefers finden. Ich weiß auch nicht genau, was Herr Liefers eigentlich will. Sarkasmus kann sehr produktiv sein, nämlich aufrütteln­d, etwa in seiner fast melancholi­schen Schlussfor­mel: „Verzweifel­n Sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht.“Viele andere Gedanken aber überzeugen mich nicht. Ahnt er nicht, dass er – und das finde ich gefährlich leichtfert­ig – die Argumentat­ionsschien­e der Corona-Leugner zum Teil wörtlich bedient? Davon distanzier­t er sich jetzt, doch ist das Kind nun schon in den Brunnen gefallen.

Keinesfall­s will meine Zuschrift Sie zu dienstlich­em Handeln Herrn Liefers gegenüber bewegen. Wir in unserer Redaktion halten Meinungsfr­eiheit für extrem wichtig, obwohl sie uns nicht davon entbindet, selbst eine klare Position einzunehme­n. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass Sie Herrn Liefers animieren, dass er sich einmal mit den Ihnen fraglos gut bekannten Infektiolo­gen, Intensivme­dizinern und Epidemiolo­gen des Universitä­tsklinikum­s Münster, an dem Sie wirken, ins Benehmen setzt. Die würden ihm vermutlich sagen, warum es zu zentralen Maßnahmen der Regierung momentan kaum eine Alternativ­e gibt. Wenn er das einsieht, könnte er als Botschafte­r in der Krise eine der stärksten Stimmen sein. Jetzt wirkt er – mit Verlaub – wie ein zynischer Nörgler, der sich mal in Pose setzen wollte.

Ich kenne viele Arbeiten von Liefers, die von seiner Kunst zur Differenzi­erung künden. Gewiss mag ich ihn auch, wenn er zuspitzt. Aber er sollte begreifen, dass er diesmal jenen in die Hände spielt, die er auch zu Nicht-Corona-Zeiten niemals freiwillig drücken würde.

Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksam­keit. Wenn ich bei Ihnen und Herrn Liefers ein Nachdenken bewirkt hätte, wäre schon viel erreicht. Gern dürfen Sie dieses Schreiben mit den besten Empfehlung­en an ihn weiterleit­en.

Mit freundlich­en Grüßen Ihr Wolfram Goertz

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FOTO: WDR Jan Josef Liefers als Karl-Friedrich Boerne im Münster-„Tatort“.
 ?? FOTO: YOUTUBE/DPA ?? Jan Josef Liefers, Nina Proll, Nadja Uhl, Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, Maxim Mehmet, Katharina Schlothaue­r, Peri Baumeister und Richy Müller (von links oben nach rechts unten) beteiligen sich an der Internetak­tion.
FOTO: YOUTUBE/DPA Jan Josef Liefers, Nina Proll, Nadja Uhl, Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, Maxim Mehmet, Katharina Schlothaue­r, Peri Baumeister und Richy Müller (von links oben nach rechts unten) beteiligen sich an der Internetak­tion.

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