Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Strafrichter setzt erst einmal alle Prozesse aus
Die Pandemie erreicht die Justiz: Bis zum Juni finden an dem auch für Hückeswagen und Radevormwald zuständigen Amtsgericht in Wipperfürth keine Strafverhandlungen mehr statt. Einen „Prozess-Stau“befürchtet der Strafrichter aber nicht.
HÜCKESWAGEN/WIPPERFÜRTH Angeklagte aus Hückeswagen, Radevormwald, Wipperfürth und Lindlar, die aktuell auf ihren Prozess vorm Amtsgericht in Wipperfürth warten, werden sich bis zum Urteil gedulden müssen: Bis auf Weiteres finden dort keine Strafverhandlungen mehr statt. Strafrichter Stefan Krieger, berufsbedingt auch ans Arbeiten zu Hause gewohnt, wird in den nächsten Wochen noch mehr Zeit im Homeoffice verbringen. „Bis mindestens 2. Juni werden alle Sitzungstermine ausgesetzt“, teilte Krieger am vorerst letzten Verhandlungstag mit.
Auch für diese Gerichtspause ist die Pandemie verantwortlich. Zwar ist der Saal 1, in dem die Strafprozesse im Regelfall verhandelt werden, groß, gut belüftet und normalerweise nur von wenigen Menschen besucht, dennoch wird die Infektionsgefahr derzeit als zu hoch eingestuft. Hinzu kommt: Während Kölner Richter bei Vergabe der Impftermine vorgezogen werden, gilt das für Richter an den Amtsgerichten im Umland nicht, obwohl auch sie dem Landgerichtsbezirk Köln angehören. Für andere Prozessbeteiligte wie die Angeklagten
und ihre Anwälte oder auch Zeugen gibt es ohnehin kein Impf-Vorrecht jenseits der Priorisierung.
Dass es zu einem Prozess-Stau im Sommer und Herbst kommt, wenn jetzt für mindestens eineinhalb Monate keine Hauptverhandlung mehr vor dem Strafrichter in Wipperfürth läuft, befürchtet Krieger nicht: „Es wird keinen Stau geben, denn wir beobachten seit längerem einen spürbaren Rückgang bei den Ermittlungsund Strafverfahren.“
Auch für diesen eigentlich erfreulichen Trend scheint die seit über einem Jahr anhaltende Pandemie mitverantwortlich zu sein: Wenn die Kneipen geschlossen sind, gibt’s auch keine Kneipen-Schlägereien. Wenn der Einzelhandel dicht machen muss, bleiben auch die Ladendiebe draußen. Delikte im Straßenverkehr wie Unfallflucht, Trunkenheitsfahrten oder fahrlässige Körperverletzungen durch Unfälle werden ebenfalls seltener, wenn allgemein weniger Verkehr auf den Straßen herrscht, weil Menschen im Homeoffice bleiben. Das alles sind Straftaten, die klassischerweise vor den Amtsgerichten verhandelt werden. Ebenso wie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, bei denen keine hohen Freiheitsstrafen zu erwarten sind. Auch in diesem Bereich sieht Stefan Krieger einen Rückgang, zumindest im Bezug auf Drogengeschäfte auf offener Straße. Die Dealer passen sich den allgemeinen Gepflogenheiten an – und verlegen auch ihre Geschäfte ins „Homeoffice“.
Aus polizeilicher Sicht scheinen die Dinge nicht ganz so klar. Führt die Pandemie zum allgemeinen Rückgang von Straftaten? Polizei-Sprecher Michael Tietze beantwortet die Frage auch mit Blick auf die jüngste Kriminalitäts-Statistik mit: „Jein!“. Er sieht es eher so, dass sich die Schwerpunkte bei der Kriminalität verlagert haben: Tatsächlich gebe es, durch die Umstände bedingt, weniger Ladendiebstähle und weniger Delikte im Straßenverkehr. Dafür steigt die Zahl der Internet-Betrügereien oder auch die der Sexualverbrechen mit Kindern als Opfern. Letzteres habe aber nichts mit der Pandemie zu tun, sondern vor allem damit, dass spätestens seit Lügde und Bergisch Gladbach mit sehr viel höherer auch personeller Intensität in diesem besonders schwer wiegenden Deliktbereich ermittelt werde.
Die im Februar veröffentlichte Kriminalitätsstatistik für 2020, das Jahr eins der Pandemie, belegt: Im Vorjahr wurden sogar mehr Straftaten statistisch erfasst als 2019 (s. Info-Kasten). Allerdings lag die Gesamtzahl der Taten im Oberbergischen, gemessen an der Bevölkerungszahl, immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Objektiv betrachtet lebt es sich vergleichsweise sicher im Landkreis.
Ob Ausgangssperren als Nebeneffekt zu einem weiteren Rückgang der Straftaten in der Pandemie führen, scheint nicht gesichert, weil es dazu kaum regionale Daten gibt. Möglicherweise werden Einbrecher zurückhaltender, wenn sie bei Fahrten in der Nacht auf sonst menschenleeren Straßen von einem deutlich höheren Entdeckungsrisiko ausgehen müssen als sonst. Gesicherte Erkenntnisse dazu dürfte es aber erst geben, wenn die seit dem vorigen Samstag für den Oberbergischen Kreis geltende Ausgangssperre über einen längeren Zeitraum Bestand haben sollte – sofern nicht auch sie von einem Gericht für rechtswidrig erklärt wird. Die dafür zuständigen Verwaltungsgerichte legen derzeit jedenfalls keine Sitzungspausen ein.