Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Bitte lächeln!
Während mancher mit dem Smiley Millionen scheffelte, verdiente sein Erfinder damit nur 45 Dollar. Er nahm es gelassen. Die Geschichte eines Welterfolgs – ohne Nase.
Nasen sind überbewertet. „Punkt, Punkt, Komma, Strich” heißt die Mal-Anleitung für ein Gesicht – doch eine Nase braucht es nicht. Man denke nur an den knuffigen Gesichtsausdruck der klassischen Lego-Männchen zwischen Ritterburgen, Reiterhöfen und Raumstationen. Auch beim Tippen siegt meist die Ökonomie: Weshalb :-) nutzen, wenn :) genau so viel aussagt? Doch Smileys von Hand tippen muss ja ohnehin niemand mehr. Und das ist das vielleicht gewichtigste Indiz: Auch die 1999 in Japan erfundenen Emojis kommen bei Whatsapp und Co. ohne Nase aus. Selbst das Naseputz-Gesicht hat zwar ein Taschentuch, aber keine Nase. Die einzige Ausnahme, das Pinocchio-Pixelgesicht mit der Riesennase, gilt als missratenes Experiment. „Das Beste ist, wir ignorieren dieses Emoji, bis Apple ihm den Gnadenschuss gibt”, schrieb dazu trocken ein Reporter des Tech-Blogs „The Verge”.
All diese Smileys haben einen gemeinsamen – natürlich ebenfalls nasenlosen – Urahn, und der ist dem miesen Betriebsklima zu verdanken, das 1963 bei einer großen Versicherung in Worcester bei Boston an der US-Ostküste herrschte. Die State Mutual Life Assurance Company hatte gerade für viel Geld den Konkurrenten Guarantee Mutual übernommen; entsprechend groß war die Angst vor Sparmaßnahmen wie einer Entlassungswelle. Um die Angestellten aufzuheitern, beauftragte man den örtlichen Grafikdesigner Harvey Ross Ball. Der Legende nach brauchte der keine zehn Minuten für seinen Entwurf, der seitdem aus der Popkultur nicht wegzudenken ist: In einen herrlich sonnengelben, schwarz umrandeten Kreis malte er zwei kleine, leicht ovale Augen und dazu das ultimative, für jeden Menschen verständliche Chiffre für Freundlichkeit: ein Lächeln.
Und was für eins! In seiner minimalen Asymmetrie wirkt es natürlich, wahrhaftig, und vor allem unheimlich ansteckend. Mancher versteht den Smiley als großen Bruder der vornehm subtilen Mona Lisa. Ball stellt der Versicherung damals 45 Dollar in Rechnung, was einem heutigen Wert von etwa 300 Euro entspricht. Die Versicherung ist happy, der Zeichner ist es auch – und wendet sich dem nächsten Auftrag zu. Auf die Idee, das Design rechtlich schützen zu lassen, kommt er nicht.
Balls Geniestreich ist die Krönung eines Designprozesses, die, wenn man so will, spätestens um 1700 vor Christus begann, als Künstler vom Volk der Hethiter im heutigen Anatolien einen Krug mit einem großen, aufs Wesentliche reduzierten Gesicht bemalten. Es folgten tschechische Äbte und slowakische Notare, Star-Regisseur Ingmar Bergman und die Radio-DJs WMCA Good Guys in New York City. Die druckten schon 1962, also ein Jahr vor Ball, einen schwarzen Smiley auf gelbe Fan-T-Shirts. Doch ihm fehlte schlicht das gewisse Etwas.
Der Smiley als solcher jedenfalls traf einen Nerv: Die Brüder Bernard und Murray Spain verkauften in den nächsten Jahren 50 Millionen Buttons mit einer perfekt symmetrischen Variante, dazu T-Shirts, Tassen und so weiter. Die Punkband Dead Kennedys zierte 1979 das Cover ihrer satirischen Single „California über alles” mit dem Foto einer Nazi-Massenveranstaltung – mit Smileys anstelle von Hakenkreuzen.
1982 erfand der Informatiker Scott Fahlman, wonach unter anderem Vladimir Nabokov vergeblich gesucht hatte: die maschinelle Entsprechung des mit der Hand schnell mal hingekritzelten Smileys, eben das :-). Mit Nase. Vor gut drei Jahrzehnten hatte man noch Zeit für solchen unerhörten Luxus.
Ein Smiley ohne Nase, dafür mit X-förmigen Augen und heraushängender Zunge grinste in den 90er-Jahren von Hunderttausenden Nirvana-Fan-Shirts. Und aus der Rave-Szene ist das Symbol schon deshalb nicht wegzudenken, weil es in unzählige Partydrogenpillen geprägt wurde und wird. Bis heute wird der Smiley tagtäglich verwendet, auf unzählige Arten abgewandelt oder in neue Kontexte gestellt, etwa von Street-Art-Ikone Banksy, der damit Graffitis schwerbewaffneter Polizisten oder des Sensenmanns verziert.
In der Pandemie erfährt der Smiley eine neue Welle der Popularität. In vielen Schau-, Büro- und Küchenfenstern klebt ein Lächeln, das den erzwungenen Verzicht auf die echte Mimik unserer Mitmenschen wenigstens etwas erträglicher macht. Und knapp 400 Menschen aus aller Welt finanzierten mit insgesamt 15.000 Euro den Druck des Foto-Buchs „Sm;)e”. Darin dokumentieren die Künstler Rich Browd und DB Burkeman alias DJ DB die Geschichte des Strahlemanns, die sie in den vergangenen Jahren erforscht hatten. Das Ergebnis: 60 Seiten Sonnenschein (32 Euro inkl. Versand unter www.thesmilebookshop.com).
Doch nicht alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Das „Wall Street Journal” schreibt von einem „schockierend riesigen Geschäft” mit dem Smiley. Gemeint ist The Smiley Company, die das Logo in mehr als 100 Ländern rechtlich geschützt hat. Firmenchef Nicolas Loufrani schwärmte vor der Pandemie von knapp 300 Lizenznehmern. Der Umsatz mit Smiley-Kleidung und -Spielzeug betrage knapp 400 Millionen Dollar. Gegründet hatte die Firma sein Vater Franklin Loufrani, der seine Version des Smileys ursprünglich genutzt hatte, um auf gute Nachrichten in der Zeitung „France Soir” hinzuweisen. So viel Geld steht auf dem Spiel, dass sich die Firma mit dem US-Handelsriesen Walmart einen Rechtsstreit lieferte, der erst 2010 nach zehn Jahren endete – mit einem Vergleich, dessen Inhalt geheim blieb.
Vielen Lego-Männchen ist das für die ersten knapp 1000 verschiedenen Figuren noch alternativlose Lächeln längst vergangen. Inzwischen gibt es Hunderte Gesichtsausdrücke. Von manchen der Plastikköpfchen prangt noch das bekannte Lächeln, teils in Kombination mit Brille, Sonnenbrille, Sommersprossen oder Haaransatz. Einige grinsen oder lachen auch herzlich. Sehr viele aber schauen traurig, entsetzt oder grimmig.
So hätte auch Harvey Ball enden können, doch der ließ sich die gute Laune nicht davon verderben, dass er die Gelegenheit verpasste, Millionen zu verdienen. „Er war kein von Geld getriebener Typ”, sagte sein Sohn Charles einmal erklärt. „Er sagte immer: ,Hey, ich kann doch eh nicht mehr als ein Steak essen oder mehr als ein Auto fahren.’” Stattdessen gründete Ball die Welt-Lächel-Stiftung („Die zweite gute Idee, die ich je hatte!”). Die gemeinnützige Organisation erinnert zum World Smile Day am ersten Oktober-Freitag daran, wie leicht es ist, die Welt etwas besser zu machen: „Tu eine gute Tat – bring jemanden zum Lächeln.”
Als Harvey Ross Ball am 12. April 2001 starb, hinterließ er seine Frau Winifred, vier Kinder, sieben Enkel und zwei Urenkel. Sowie natürlich die Mutter aller Smileys, die auch an diesem Tag ihr Lächeln nicht verlor. Und raten Sie mal, was seinen ansonsten schlichten schwarzen Grabstein ziert.