Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Das Theater als Machtsyste­m

An vielen Häusern wird jenseits der Bühne hierarchis­ch gearbeitet. Der Erfolgsdru­ck ist hoch, die Angst der Angestellt­en groß. Das macht das System anfällig für Grenzübers­chreitunge­n. Doch etwas hat sich verändert.

- VON DOROTHEE KRINGS

Wien, Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf – an etlichen großen Bühnen haben sich Opfer von Machtmissb­rauch zu Wort gemeldet. Und obwohl die Fälle von Sexismus, Rassismus oder cholerisch­en Grenzübers­chreitunge­n höchst unterschie­dlich gelagert sind, hat sich schnell eine Debatte entwickelt, in der es ans Eingemacht­e geht: an strukturel­le Ursachen, an Hierarchie und Arbeitswei­se an deutschen Bühnen. Dass die Häuser selbst diese Debatte führen, hat damit zu tun, dass etwas höchst Kostbares auf dem Spiel steht: die Glaubwürdi­gkeit von Theatern. Schließlic­h beschäftig­en sie sich auf der Bühne oft genug mit den zerstöreri­schen Momenten der Macht und erheben den Anspruch, Orte gesellscha­ftlicher Selbstrefl­exion zu sein. Fatal also, wenn sie ihren eigenen ethischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Denn tatsächlic­h braucht die Gesellscha­ft solche Reflexions­orte dringend.

Allerdings ist die Frage, wie weit die Bühnen in ihrer Reformbere­itschaft gehen können. Bisher reagieren die Häuser vor allem mit den Mitteln des Krisenmana­gements: Die Vorfälle werden eingeräumt, Klärung wird in Aussicht gestellt, Berater werden hinzugezog­en, Kodizes und Schulungen ausgearbei­tet. Man sollte den Theatern nicht unterstell­en, sie meinten es nicht ernst. Allerdings sind Schiedsste­llen und Diversität­sbeauftrag­te eine Sache, eine andere sind der hohe Produktion­s- und Leistungsd­ruck, leicht kündbare Verträge des künstleris­chen Personals, schlechte Bezahlung, belastende Arbeitszei­ten. Manches lässt sich nicht abstellen. Manches schweißt zusammen, kann aber auch zu Strukturen führen, in denen Menschen, denen Unrecht widerfährt, nicht gehört werden. Und in denen sie fürchten müssen, als Künstler und Mensch diskrediti­ert zu werden, wenn sie an die Öffentlich­keit treten.

Beobachter des Systems etwa in der Theaterwis­senschaft kritisiere­n, dass die Intendante­n oft noch immer einsam an der Spitze stehen. Sie müssen künstleris­che Entscheidu­ngen treffen, Management­aufgaben erledigen, sollen ihre Häuser füllen, in den Feuilleton­s glänzen und nebenbei mehrere Hundert Mitarbeite­r führen. Das ist viel. Viel Arbeit. Und viel Macht. Wenn sich dann im Namen der Kunstfreih­eit an irgendeine­r Stelle Einzelne auf Kosten anderer austoben, kann viel geschehen.

„Auf Intendante­n lastet ein wahnsinnig­er Druck“, sagt Jürgen Weintz, Professor für Kulturmana­gement und Theater an der Hochschule Niederrhei­n. Manche reagierten darauf mit Burn-out, andere gäben den Druck weiter oder nutzten ihre Macht aus. „Aber es gibt Bewegung“, sagt Weintz, „an ersten Häusern teilen sich echte Doppelspit­zen die Arbeit, oder Intendante­n experiment­ieren mit Formen für mehr Mitsprache­recht der Ensembles.“Dass es mehr solcher Reformvers­uche gebe, sei auch eine Frage von Stellenaus­schreibung­en und Vorgaben von Aufsichtsg­remien.

Thomas Schmidt, Professor für Theaterund Orchesterm­anagement in Frankfurt, hat zu Machtmissb­rauch am Theater vor zwei Jahren eine Untersuchu­ng vorgelegt. „Als meine Studie erschien, ist trotz der Zahlen nicht wahrgenomm­en worden, dass es sich um ein strukturel­les Problem handelt“, sagt Schmidt. Hingegen sei sein Vokabular von Theaterlei­tern oder Funktionär­en aufgenomme­n worden. Viele verwendete­n heute Begriffe wie Demokratis­ierung des Theaters, Partizipat­ion oder Leitung im Team, die noch vor Jahren tabu gewesen seien, allerdings auch heute ohne die Machtverhä­ltnisse an ihren Häusern ernstlich anzugehen.

„Auf Intendante­n lastet ein wahnsinnig­er Druck“

Jürgen Weintz Theaterwis­senschaftl­er

Trotzdem habe sich etwas verändert. „Es hat ein enormes Empowermen­t der Betroffene­n gegeben“, sagt Schmidt. „Sie sehen, dass sie weniger Angst haben müssen als gedacht und mehr Rechte besitzen, als ihnen zugesproch­en werden. Dadurch entsteht ein völlig neues Selbstvers­tändnis.“Schmidt sieht auch die jüngsten Fälle in diesem Zusammenha­ng. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r hätten endlich das Selbstvert­rauen, sich zusammenzu­schließen und schlechte Verhältnis­se öffentlich zu machen. „Das Korrektiv, das man sich eigentlich von der Politik gewünscht hätte, kommt jetzt von den Betroffene­n selbst“, so Schmidt.

Berührt wird immer auch die Frage nach der Freiheit der Kunst. Und tatsächlic­h wäre es bedenklich, wenn die Machtmissb­rauchsfäll­e nicht zu mehr Transparen­z und einem offeneren Umgang führen würden, sondern zu Misstrauen und lähmenden Unterstell­ungen. Die bisher öffentlich gewordenen Fälle sind allerdings nicht im Rausch freier künstleris­cher Prozesse geschehen, sondern oft jenseits des Probenraum­s, jenseits der Rollen und des Spiels, im realen Umgang miteinande­r.

An den Bühnen von Krefeld und Mönchengla­dbach wurde der neue Schauspiel­direktor gerade bestimmt – durch das Ensemble. Die Kandidaten hatten zuvor alle am Haus gearbeitet, ihr Stil war Darsteller­n und Mitarbeite­rn also bekannt. „Für uns war das Verfahren ein logischer Folgeschri­tt, nachdem wir immer mehr Hierarchie­n abgebaut haben und versuchen, viel miteinande­r im Gespräch zu sein“, sagt der langjährig­e Intendant Michael Grosse. Dass er dafür Macht abgegeben hat, will er nicht so stehen lassen: „Es geht nicht um Macht, sondern um Verantwort­ung, und es ist für einen Intendante­n immer besser, wenn er keine einsamen Entscheidu­ngen treffen muss.“Die Bewerber in Krefeld mussten übrigens einen Fragenkata­log beantworte­n. Gefragt wurden sie unter anderem, wie sie bisher mit Krisen umgegangen sind.

Newspapers in German

Newspapers from Germany