Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die richtige Geburtskli­nik

Für werdende Eltern ist es nicht einfach, die erfahrenst­e Geburtskli­nik in ihrer Region zu finden. Viele Informatio­nen, die für eine gute Wahl hilfreich sind, werden nicht veröffentl­icht oder sind für Laien unverständ­lich. Ein Ratgeber – vor allem in Pand

- VON DEBORAH HOHMANN UND PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Es ist ein schöner Film. Vier Minuten dauert er. Darin präsentier­t eine Klinik am Niederrhei­n kurz ihr Leistungsa­ngebot bei der Geburtshil­fe. Ein gemütliche­s Patientenz­immer ist zu sehen. Ärzte, Pfleger und Eltern lächeln viel. Der Chefarzt empfängt eine werdende Mutter, eine junge Assistenzä­rztin übergibt ein Baby an junge Eltern. Derlei Imagefilme sind nahezu auf jeder Klinikwebs­ite zu finden. Ihr Nutzen ist klar. Sie sollen den baldigen Eltern die Klinik nahebringe­n. Sie sollen damit auch eine kleine Entscheidu­ngshilfe sein.

Doch freilich gibt es ganz andere Kriterien, die eine gute Geburtskli­nik auszeichne­n als schöne Videobilde­r. Eine der zentralen Informatio­nsquellen für werdende Eltern sind Studien zufolge die Kreißsaalf­ührungen. Doch die sind wegen der Coronaviru­s-Pandemie in fast allen Krankenhäu­sern ausgesetzt. Also worauf achten? Die entscheide­nden Hinweise, die werdende Eltern bräuchten, um eine informiert­e Wahl zu treffen, werden entweder von den zuständige­n Behörden gar nicht erhoben oder nur in Fachpublik­ationen veröffentl­icht.

Letzten Endes geht es nicht vornehmlic­h um Räumlichke­iten und technische Ausstattun­g. „Es geht um den Faktor Mensch“, sagt Frank Louwen, Vizepräsid­ent der Deutschen Gesellscha­ft für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe. „Eltern fragen in Geburtskli­niken häufig nach Dingen, die zweitrangi­ng sind“, sagt auch Maike Manz, Hebamme und leitende Oberärztin der Geburtshil­fe am Klinikum Darmstadt. Zum Beispiel danach, wie die Kreißsäle aussähen oder ob es Familienzi­mmer gebe. „Das liegt daran, dass Eltern verständli­cherweise davon ausgehen, dass in einem Krankenhau­s immer das nötige Personal vor Ort ist. Das ist aber nicht der Fall.

Gemeinsam mit dem Kölner Science Media Center hat unsere Redaktion alle 150 Geburtskli­niken in Nordrhein-Westfalen nach ihrer personelle­n Ausstattun­g gefragt. Mit weiteren Medienpart­nern erfolgte die Abfrage bundesweit. Dabei lag der Fokus auf jenen Kriterien, die Experten in mehreren Vorgespräc­hen als besonders relevant für die Qualitätsb­ewertung nannten. Wir fragten zum Beispiel: Sind rund um die Uhr ein Narkosearz­t, ein Kinderarzt und ein Facharzt für Gynäkologi­e anwesend? Ist überhaupt eine Kinderklin­ik vorhanden? Denn nicht jede Geburtskli­nik hat automatisc­h auch eine Kinderklin­ik angeschlos­sen. Zudem fragten wir nach der Zahl der Hebammen sowie nach der Anwesenhei­t von Laktations­beratern. Rund 40 Prozent der Kliniken in NRW haben an der freiwillig­en Befragung teilgenomm­en. Ein Blick auf einige der wichtigste­n Kriterien, auf die Eltern bei der Wahl ihrer Geburtskli­nik besonders achten sollten.

Anästhesis­t In allen Kliniken, die geantworte­t haben, ist durchgehen­d ein Narkosearz­t anwesend. Auch bei jenen, die nicht geantworte­t haben, ist zunächst davon auszugehen, da Anästhesis­ten in Kliniken in vielen Bereichen gebraucht werden – zum Beispiel bei Operatione­n, auf Intensivst­ationen oder der Schmerzthe­rapie. Werdende Eltern sollten sich dennoch nicht davor scheuen, nach der dauerhafte­n Anwesenhei­t eines Anästhesis­ten zu fragen. Hierbei geht es nicht um Rufbereits­chaft. Ein Anästhesis­t sollte stets vor Ort sein.

Kinderarzt/Kinderklin­ik 15 Prozent der Klinken haben nicht rund um die Uhr einen Kinderarzt im Haus. Bei 37 Prozent ist dies der Fall. 49 Prozent haben auf die Frage nicht geantworte­t. Nur weil es sich um eine Geburtskli­nik handelt, bedeutet dies nicht automatisc­h, dass auch eine Kinderklin­ik angeschlos­sen ist. So ist es auch möglich, dass vor allem kleinere Geburtskli­niken mit Kinderärzt­en zusammenar­beiten, die nahe des Hauses sitzen. Diese Ärzte stehen jedoch nicht rund um die Uhr zur Verfügung. Etwa elf Prozent aller Neugeboren­en müssen vom Kreißsaal in eine Kinderklin­ik verlegt und dort behandelt werden. „Wenn ein Geburtshel­fer weiß, der Kinderarzt ist nicht vor Ort, sondern hat einen Anfahrtswe­g von vielleicht einer halben Stunde, dann wird dieser Geburtshel­fer immer sein Handeln danach ausrichten müssen“, sagt Oberärztin Maike Manz: „In vielen Fällen wird das dazu führen, dass er die Geburt lieber abbricht und einen prophylakt­ischen Kaiserschn­itt

macht, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre.“

Kliniktyp Geburtskli­niken werden in vier Spezialisi­erungsleve­l eingeteilt: Level-I- und Level-II-Kliniken sind sogenannte Perinatalz­entren. Sie haben die höchste Versorgung­sstufe und müssen strenge Auflagen bei Ausstattun­g und Personal erfüllen. Dort können alle Frauen gebären. Die Kliniken sind aber besonders auf Risikogebu­rten spezialisi­ert. Level-IIIund Level-IV-Kliniken müssen dagegen weniger bis nahezu gar keine gesetzlich­en Auflagen beim Personal erfüllen. Geantworte­t haben in unserer freiwillig­en Umfrage weitgehend die Level-I- und Level-II-Kliniken. Kliniken mit einer nicht so hohen Spezialisi­erung waren also eher zurückhalt­end bei der Beantwortu­ng der Fragen.

Hebammen In jeder Geburtskli­nik arbeiten Hebammen. Doch nicht in jeder Geburtskli­nik ist ihre Zahl ausreichen­d für die dort jährlich bewältigte­n Geburten. „Wir fordern, wenn eine Frau zur Geburt in einem Kreißsaal kommt, dass eine Hebamme für sie da sein kann“, sagt Frank Louwen: „Es hört sich so selbstvers­tändlich an, aber in vielen Kreißsälen in Deutschlan­d ist es so, dass eine Hebamme sich um vier oder fünf Frauen gleichzeit­ig kümmert. Ich bin für Eins-zu-Eins, um es ganz klar zu sagen. Ich glaube, wir sollten in den Beginn des Lebens investiere­n.“

Eine Leitlinie für Geburtskli­niken aus dem Jahr 2015 empfiehlt für Kliniken mit bis zu 600 Geburten 5,65 in Vollzeit angestellt­e Hebammen. Je 100 weitere Geburten sollen Kliniken 0,93 Stellen zusätzlich haben. Die Leitlinie gibt an, damit sei zu 95 Prozent eine Eins-zu-Eins-Betreuung möglich. Insbesonde­re Kliniken mit vielen Geburten halten die Leitlinien-Empfehlung nicht ein – was sie aber auch nicht müssen. Dennoch liefert die Leitlinie einen vergleichb­aren Qualitätss­tandard. Bundesweit gaben in unserer gemeinsame­n Umfrage 261 Kliniken verwertbar­e Daten für ihre Hebammen ab.

Bei Kliniken mit mehr als 1500 Geburten erfüllen 53 nicht die in der Leitlinie empfohlene Zahl an Hebammen. 43 tun dies. Bei einer Klinikgröß­e von 500 bis 1000 Geburten konnten dagegen 64 Häuser die Vorgabe erfüllen, 18 konnten dies nicht.

Entfernung Die meisten Frauen wollen nahe des Wohnorts entbinden – was per se auch kein Problem ist, sollte die erfahrener­e Klinik nicht wenige Autominute­n mehr entfernt liegen. Gynäkologi­n Maike Manz sagt: „Ich denke, eine halbe Stunde Fahrt kann man ohne Sorge einkalkuli­eren.“Eltern kämen heute oft eher zu früh in die Klinik als zu spät. Eltern sollten hier in jedem Fall noch einmal abwägen, sagt auch Frank Louwen: „Wie weit ist die nächste, besser ausgestatt­ete Klinik entfernt? Wie viel weiter müsste ich wirklich fahren? Und ist mir die Sicherheit, die ich dadurch gewinne, das nicht wert?“

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