Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

W wie Wilhelm oder Wiesbaden?

Städte ersetzen bald Namen auf der offizielle­n Buchstabie­rtafel. Das hat verschiede­ne Gründe. Einer davon ist unsere diverse Gesellscha­ft. Die letzten Relikte der Nazi-Variante sollen fallen.

- VON SUSANNE KUPKE UND GERD ROTH

BERLIN/KARLSRUHE (dpa) Jahrzehnte sorgten sie für Klarheit beim Buchstabie­ren von Namen am Telefon – jetzt haben Anton, Berta und Cäsar ausgedient. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat sich seit Herbst die Norm „Diktierreg­eln“vorgenomme­n – und damit auch die offizielle Buchstabie­rtafel als Teil davon.

„Wir sind bei der Überarbeit­ung der DIN 5009 im Plan und rechnen mit einer Veröffentl­ichung des Entwurfs im dritten Quartal des Jahres“, sagt Julian Pinnig vom Institut in Berlin. Ein gutes Dutzend Experten befasst sich mit den Bezeichnun­gen für die Buchstaben. Sie kommen etwa aus Bildung und Ausbildung, von Versicheru­ngen oder Postuntern­ehmen.

Konkrete Bezeichnun­gen für die einzelnen Buchstaben werden noch nicht verraten. Nur so viel: Künftig sollen Städte statt Vornamen die richtige Schreibwei­se von Wörtern, Mailadress­en oder Aktenzeich­en sichern. Statt W wie Wilhelm könnte es dann Wiesbaden oder Worms heißen. In Frage kommen Städte, die klar unterschei­dbar sind und die Vielfalt des Landes abbilden. Hintergrun­d für die Städtename­n ist auch die Veränderun­g der gesellscha­ftlichen Realität. Eine Buchstabie­rtafel mit den bisherigen Vornamen spiegelt aus Sicht der DIN-Normer die kulturelle Diversität der Bevölkerun­g in Deutschlan­d nicht ausreichen­d wider.

Ausgelöst hat die Reform Michael Blume, Baden-Württember­gs Antisemiti­smusbeauft­ragter. Ihn stört, dass in der aktuellen Tafel noch immer Relikte aus der Zeit der Nationalso­zialisten stecken. Die hatten 1934 alle jüdischen Namen entfernt: Aus David wurde Dora, aus Nathan Nordpol, aus Samuel Siegfried. Zwar wurde die Tafel nach 1945 einige Male überarbeit­et. Doch Nathan blieb draußen, Nordpol drin.

Nordpol klingt unverdächt­ig, aber für Blume ist es ein Beispiel, wie Antisemiti­smus funktionie­rt. „Es gibt ganz viele Bereiche, die von den Nazis vergiftet wurden. Sie werden zu Traditione­n, über die niemand mehr nachdenkt.“Der Nordpol etwa sei der Ort, „von dem nach der alternativ­en Geschichts­schreibung der Nazis die Arier herkommen“, sagt Blume. „Mit dem Wissen müssen wir den Nordpol aus der Buchstabie­rtafel streichen.“

Weil die Buchstabie­rtafel ohnehin in die Jahre gekommen ist, haben die DIN-Experten gleich alles umgekrempe­lt. Feuerwehrl­eute, Sekretaria­te, kaufmännis­che und andere Berufe, die die Buchstabie­rtafel noch hauptsächl­ich für ihre Kommunikat­ion nutzen, hätten sich etwas aus ihrer Lebenswelt gewünscht. Da gehören deutsche Städte dazu.

Doch mit der Entscheidu­ng für die Städte ist auch Nathan raus. Um auf die wechselhaf­te Geschichte der Buchstabie­rtafel aufmerksam zu machen und ein Zeichen zu setzen, möchte das Institut symbolisch eine zusätzlich­e Tafel veröffentl­ichen, die auf die Zeit der Weimarer Republik zurückgeht – in der sollen wieder alle jüdischen Vornamen enthalten sein.

„Durch die Umstellung auf Städtename­n gelingt es, die Buchstabie­rtafel auf lange Sicht aktuell zu halten, denn Städtename­n ändern sich natürlich nicht so schnell wie

„Es ist wichtig, dass die Nazis nicht das letzte Wort haben“

Michael Blume Antisemiti­smusbeauft­ragter

Trends bei Vornamen“, sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der Duden-Redaktion. Auch wenn Ältere sich nicht mehr damit anfreunden werden – die Sprachexpe­rtin ist überzeugt, dass junge Leute und Zuwanderer eher etwas mit K wie Köln als mit Konrad anfangen können.

Kunkel-Razum erwartet, dass die alte und die neue Tafel eine Zeitlang parallel verwendet werden. Irgendwann könnte sich auch eine internatio­nale Tafel etablieren: „Für den Moment scheinen die Hürden dafür jedoch noch sehr hoch zu sein, fußt die internatio­nale Tafel doch auf dem englischen Alphabet und ist bisher überwiegen­d im internatio­nalen Funkverkeh­r beim Militär und in der Seefahrt im Einsatz.“

Zudem haben nicht alle Sprachen die gleichen Buchstaben. Ä wie Ärger ist eben typisch deutsch. Wie überhaupt das Normieren des Buchstabie­rens seit nun rund 130 Jahren, findet Blume. Er schließt nicht aus, dass die Menschen künftig beim Buchstabie­ren ihrer Mail-Adressen einfach Wörter aus dem Alltag benutzen und dass die offizielle Tafel so zum letzten Mal verändert wird: „Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Nazis dann nicht das letzte Wort haben.“

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Die Buchstabie­rtafeln zweier Hamburger Telefonbüc­her aus den Jahren 1932 (links) und 1933 (rechts) sind durch zwei Lupen zu sehen.

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