Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Borussia Dortmund pirscht sich wieder an die Champions-League-Plätze heran. Dank Stürmerstar Erling Haarland.
Dass Schalkes Abstieg hässlich werden könnte, war absehbar. Dass er in Gewalt gegen eigene Spieler mündete, ist ein weiterer historischer Tiefpunkt. Ein Ende des Jammers ist einfach nicht absehbar. Es braucht einen radikalen Neubeginn.
GELSENKIRCHEN Der FC Schalke 04 pulverisiert in einer Gnadenlosigkeit alle positiven Denkansätze, dass das Gesamtkunstwerk der vergangenen bald anderthalb Jahre inzwischen nur noch als beispiellos beschrieben werden kann. Der Klub mit all der ihm innewohnenden Wucht sehnt sich längst nach einem gewaltigen Aufprall, einem verheerenden Crash. Stattdessen setzt sich der freie Fall einfach unaufhörlich fort.
Schalke 2021 ist in sportlicher Hinsicht so entsetzlich schlecht, dass sicher noch Bücher geschrieben werden, wie es so weit kommen konnte. Es spricht vieles dafür, dass die Corona-Pandemie ordentlich ins Drehbuch schmierte. Rein wirtschaftlich allemal, aber auch die hermetische Abkopplung von seinen Fans ist dem Klub nicht gut bekommen. Der klinische Pandemiefußball hat diesen umarmenden und pöbelnden, besoffenen und herzklopfenden Fanverein sterilisiert. Schalke war immer ein Zungenkuss mit Schnapsfahne, der Fans und Spieler, Chefs und Trainer verschlang wie kaum ein Zweiter, dessen Versprechungen auf große Zeiten trotz großflächiger Warnhinweise aber nie an Versuchung einbüßten.
Dass dieser immer schon latent wahnsinnige Klub nun unter Laborbedingungen seinen systematischen Niedergang erlebt, war daher eine besonders unfeine Note der Tragödie. Der Protest der Fans, die aus der Ferne mitansehen mussten, wie ihr Herzensklub scheibchenweise abgetragen wurde, fand zwar nicht im Stadion statt, aber doch immer wieder seinen Weg.
Trotz mancher Unappetitlichkeiten war das alles aber noch die Light-Version von dem, was die Schalker Profis im direkten Angesicht der Kurve zu erwarten gehabt hätten. Schon vor zwei Jahren etwa musste Benjamin Stambouli seine Kapitänsbinde an die Ultras überreichen, die dergestalt ihr Missfallen gegenüber damals schon unterirdischen Leistungen zu artikulieren versuchten.
Dass das auf Dauer nicht gutgehen konnte, war jedoch absehbar. Während sich einige Fans in zunehmender Lethargie von ihrem Klub abwenden, haben sich an anderer Stelle Überdrücke aufgestaut, die sich nach dem feststehenden Abstieg in besonderer Ekelhaftigkeit Bahn gebrochen haben. Gewalt beginnt oft dort, wo Sprache versagt – und viele Fans fanden lange sehr wenig Gehör. Daher war den Schalkern schon durchaus bewusst, dass sie nach ihrer Rückkehr aus Bielefeld mit zurückhaltender Begeisterung empfangen würden. Wie entschlossen und wahllos Spieler und Mitarbeiter aber von einzelnen Fans angegangen worden sind, ist tatsächlich erschreckend. Vereinslegenden wie Mike Büskens und Gerald Asamoah sahen sich inmitten der Gewalt wieder. Personen, die den Niedergang nun zwar verwalten müssen, aber mitnichten für ihn verantwortlich gemacht werden können. Nicht, dass das übrigens Angriffe auf Spieler in irgendeiner Form rechtfertigen würde. Die völlige Sprachlosigkeit über Monate ist in einer Weise eskaliert, die für Schalke einen Tag markieren wird, der in seiner ganzen Pechschwärze noch gar nicht auszumalen ist.
Der Vergleich verbietet sich natürlich, da Faustschläge und Tritte in keiner Weise mit dem lebensbedrohlichen Potenzial zu vergleichen ist, dem sich einst der Reviernachbar von Borussia Dortmund nach dem Bombenanschlag auf seinen Mannschaftsbus ausgesetzt sah. Gleichwohl lässt sich erahnen, welche Langzeitwirkungen die Erschütterung des eigenen Sicherheitsgefühls nach sich ziehen können. Ein Großteil der Spieler, die das Fundament für Schalkes Neuaufbau stellen sollen, wird diesen Abend nicht vergessen.
Dass die sportliche Leitung um Peter Knäbel den Profis nun anheim stellt, ob sie in den verbleibenden Spielen auflaufen wollen, ist umsichtig und sorgsam. Auch mögliche
Zugänge werden genau dabei zusehen, wie Königsblau diese Situation managt und zu seinen Spielern steht. Nun wäre trotz der maximalen Frustration auf Fanseite vielleicht auch ein Zeichen an die Mannschaft wichtig, damit Schalke die Restsaison nicht noch mit dem Regionalliga-Team bestreiten muss und so den Wettbewerb über Gebühr verzerren würde. Ein kleines bisschen Ruf hat der Verein schließlich noch immer zu verspielen.
Dass in solch einem vergifteten Klima noch etwas Gutes heranwachsen kann, scheint auch nach der Saison schwer vorstellbar. Das Beste, was diesem Klub derzeit passieren kann, ist ein Ende des scheinbar endlos freien Falls, ein Aufprall auf hartem Asphalt, aus dem vielleicht wieder ein zarter Spross wildes Unkraut wachsen kann.