Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Sie haben Eine Grenze überschrit­ten

Die Aktion #allesdicht­machen sorgt für Streit und Unverständ­nis. Prominente Schauspiel­er und die Oberärztin Carola Holzner machen sich Luft.

- VON CLAUDIA HAUSER

BERLIN/KÖLN

Die Internetak­tion #allesdicht­machen von mehr als 50 deutschen Schauspiel­ern hat am Wochenende heftige Kritik ausgelöst. Die Schauspiel­erin Nora Tschirner kritisiert­e die Aktion als „brandgefäh­rlich“, ihr Kollege Christian Ulmen schrieb auf Instagram: „Heute bisschen für Kollegen schämen.“Der Medienjour­nalist Stefan Niggemeier sah in der Aktion den „größten Erfolg der Querdenker­szene bisher“.

Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Wotan Wilke Möhring und Volker Bruch gehören zu den Schauspiel­ern, die mit vermeintli­ch ironisch-satirische­n Videos am vergangene­n Donnerstag die Corona-Politik der Bundesregi­erung kritisiert haben. Am Samstagabe­nd veröffentl­ichte die Notärztin und Bloggerin Carola Holzner, auch bekannt als „Doc Caro“, ein Instagram-Video. „Ich bin eine der Stimmen des Gesundheit­ssystem“, sagt sie darin. Zynische Diskussion­en, Sarkasmus und Ironie hätten ihrer Meinung nach nichts in der aktuellen Situation zu suchen. Holzner arbeitet als Oberärztin am Universitä­tsklinikum Essen. „Sie haben eine Grenze überschrit­ten, und zwar eine Schmerzgre­nze“, sagt sie im Video, das inzwischen mehr als 145.000 Aufrufe hat.

Mit den Hashtags „Wir sind mehr“und „Alle mal ne Schicht machen“fordert die Ärztin an der Aktion beteiligte Künstler auf, einmal eine Schicht im Rettungsdi­enst, in einer Notaufnahm­e oder auf einer Intensivst­ation mitzuarbei­ten. „Hey Jan Josef Liefers und alle anderen: Ihr seid herzlich eingeladen“, schreibt sie zu ihrem Video. „Und danach reden wir nochmal. Und zwar ohne Ironie. In einem konstrukti­vem Austausch.“Dafür bekommt sie viel Zuspruch, vor allem von anderen Ärztinnen und Ärzten, aber auch Pflegepers­onal. Der Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsan­itäter ist, twitterte: „Die Schauspiel­er*innen von #allesdicht­machen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsg­erät schieben.“Inzwischen haben viele Teilnehmer ihre Videos gelöscht, unter ihnen Meret Becker, Ken Duken und Heike Makatsch. Die hatte sich in ihrem Video über die Appelle von Politikern lustig gemacht, zu Hause zu bleiben. „Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst“, schrieb die Schauspiel­erin auf Instagram. Sie habe niemals das Leid der Corona-Erkrankten und ihrer Angehörige­n schmälern wollen. Dazu postete sie den Hashtag #womöglichg­escheitert. Auch die

Schauspiel­erin Ulrike Folkerts bezeichnet­e ihre Beteiligun­g an der Aktion als Fehler.

Jan Josef Liefers bezog am vergangene­n Freitagabe­nd in der NDR-Talkshow „3 nach 9“Stellung. Er finde den Punkt interessan­t, „dass vielleicht Ironie wirklich ein ungeeignet­es Mittel sei“, sagte er, allerdings: „Es gibt nicht nur auf der Seite der Erkrankten Trauer und Leid, sondern auch auf der Seite derer, die unter diesen Maßnahmen inzwischen nun wirklich anfangen zu leiden. Die sehe ich nicht so richtig vertreten.“Liefers hatte den Medien in seinem Video Alarmismus vorgeworfe­n und ihnen unterstell­t, einen „kritischen Disput“zu unterdrück­en.

Der Präsident der Deutschen Filmakadem­ie, Ulrich Matthes, sagte, er habe sich sehr gewundert über die Unterstell­ung in den meisten der Videos, es gäbe keinen Diskurs darüber, ob die Maßnahmen in der Pandemie berechtigt seien: „Und die Kolleginne­n und Kollegen beklagen

mittels dieser vermeintli­chen Satire, dass dieser Diskurs nicht stattfände und geben damit – und das ist meine Hauptkriti­k – indirekt Schützenhi­lfe für die ,Querdenker’-Szene und die AfD.“

Ähnlich äußerte sich der Datenund Politikwis­senschaftl­er Josef Holnburger. „Leider bedienen viele der Prominente­n hämisch Narrative, welche Bestandtei­l vieler Verschwöru­ngserzählu­ngen sind“, sagte er. Es wundere ihn nicht, dass der Applaus aus der Querdenker-Szene besonders laut sei.

Am Samstag wurde auf allesdicht­machen.de ein Statement veröffentl­icht. „Die Gruppe hat keinen ‚Kopf ’ und keine gemeinsame Stimme“, hieß es darin. „Das Projekt ist kollektiv entstanden, die Gruppe ist divers, die Meinungen gehen auch hier auseinande­r.“Weiter: „Wir leugnen auch nicht Corona oder stellen in Abrede, dass von der Krankheit Gefahr ausgeht und Menschen daran sterben. Vielmehr geht es uns um die Corona-Politik, ihre Kommunikat­ion und den öffentlich­en Diskurs, der gerade geführt wird.“

Auf allesdicht­machen.com ist inzwischen eine Dokumentat­ion aus der Berliner Charité mit dem Titel „Station 43 – Sterben“zu sehen. Die Internetse­ite heißt ähnlich wie die Original-Homepage zur Aktion, hat aber eine andere Endung. Yannick Haan, Vorsitzend­er der SPD Berlin-Mitte, gab sich auf Twitter als Urheber der umgeleitet­en Domain zu erkennen. mit dpa

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FOTO: DETLEF KITTEL/DEUTSCHE UNTERNEHME­RBÖRSE Carola Holzner ist Oberärztin an der Uniklinik Essen.

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