Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der Neurologe Dr. Volker Stiefken spricht über Parkinson.
Der Neurologe mit Praxis in Lennep ist als Konsiliararzt am hiesigen Krankenhaus tätig. Er spricht über die Parkinson-Erkrankung.
Herr Dr. Stiefken, was genau ist die Parkinson-Krankheit?
VOLKER STIEFKEN Der Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung. Das heißt, eine Erkrankung, bei der bestimmte Nervenzellen untergehen – aus Gründen, die wir nicht genau wissen. Betroffen ist eine bestimmte Region im Hirnstammbereich. Dadurch kommt es zu einem Mangel an Dopamin sowie einem Zuviel an Acetylcholin. Durch dieses Ungleichgewicht kommt es zu den drei Kardinalsymptomen: der Tremor - also ein Zittern -, die Bewegungsverarmung und der sogenannte Rigor – ein erhöhter Muskeltonus in den Extremitäten. Letzteres ist praktisch eine Art Versteifung.
Wie ist ein typischer Krankheitsverlauf?
STIEFKEN Der Beginn von Parkinson kann ganz unterschiedlich sein. Bei Patienten unter 50 Jahren ist eine häufige Verdachtsdiagnose Schulter-/Arm-Schmerzen rechtsseitig. Bei älteren Patienten – die die Mehrzahl stellen – ist es oft der Tremor, kann aber auch der Bewegungsmangel sein. Etwa dass ein Bein leicht hinterhergezogen wird. Zudem kommen die älteren Patienten oft schon in einem fortgeschrittenen Stadium zu mir – wenn sie also schon kleinschrittig gehen oder auch eine ganz starre Mimik haben. Vom Verlauf unterteile ich die Krankheit in drei Abschnitte. Der erste ist die sogenannte Honeymoon-Phase, in der ich den Menschen sehr gut helfen kann. Den Patienten geht es gut, sie sind gut eingestellt und man sieht sie einmal im Quartal. Das geht einige Jahre gut, aber im Laufe der Zeit muss man damit rechnen, die Medikation zu erhöhen – zehn bis 15 Tabletten sind nicht viel, um ihn mobil halten zu können. Letztlich hat Parkinson eine chronisch-progrediente, kontinuierlich sich verschlechternde Symptomatik. Das heißt, sie kann zu einer kompletten Pflegebedürftigkeit – und natürlich auch zum Tod führen.
Kommt eine Diagnose einem Todesurteil gleich?
STIEFKEN Wie dramatisch ist die Diagnose? Ich würde es relativeren, denn die meisten meiner Patienten, bei denen ich den Parkinson diagnostiziere, sind zwischen 70 und 80 Jahre alt. Wenn ich denen dann sage, dass sie in zehn bis 15 Jahren echte Probleme damit bekommen könnten, sagen die: Das ist schon in Ordnung… Außerdem bin ich ganz froh, wenn ich diese Diagnose stellen kann, da sie medikamentös sehr gut behandelbar ist. Durch Medikation kann sich die Lebensqualität erst einmal deutlich verbessern.
Gibt es Personengruppen, die besonders stark von der Erkrankung betroffen sind?
STIEFKEN Parkinson ist weltweit fair verteilt. Es gibt keine direkten Risikogruppen – mit zwei Ausnahmen. Es wird diskutiert, ob Pestizide Parkinson begünstigen können. Und es gab in den USA wohl eine Droge, die innerhalb weniger Wochen echten Parkinson bei den Konsumenten ausgelöst hat.
Das heißt – man kann sich auch nicht davor schützen?
STIEFKEN Nein, ich würde sagen, dass das nicht geht. Interessanterweise ist Parkinson aber eine der seltenen Erkrankungen, die bei langjährigen Rauchern seltener vorkommt als bei Nichtrauchern. Allerdings würde ich deswegen nun auch niemandem zum Rauchen animieren…
Welche frühen Warnzeichen gibt es?
STIEFKEN Als frühes Warnzeichen, das auftritt, bevor die Krankheit überhaupt diagnostiziert wird, schildern die Patienten eine Geruchsund Geschmacksstörung. Das ist vergleichbar mit dem Alzheimer, bei dem diese Störung auch auftritt. Auch eine sogenannte REM-Schlafstörung deutet auf Parkinson hin. Wenn wir in diesen Phasen schlafen, schalten wir unsere Muskulatur komplett aus. Menschen mit REM-Schlafstörungen können das nicht richtig. Die bewegen sich nachts, reden, schlagen um sich, so dass der Partner mit einem blauen Auge aufwacht. Wenn wir diese Kombination haben – REM-Schlafstörung und Geruchsund Geschmacksstörung -, besteht ein hohes Risiko, dass hier ein Parkinson vorliegt.
Wie sieht eigentlich die Diagnostik aus?
STIEFKEN Eigentlich ist bereits die Beobachtung des Ganges in mein Arztzimmer wegweisend. Das Gangbild
ist das Wichtigste, daran kann ich sehr viel erkennen. Dann sehe ich mir die Augenbewegungen an, denn oft gibt es als Nebenerkrankung eine Augenbewegungsstörung. Ich sehe mir den Muskeltonus an und achte darauf, ob es ein Zittern gibt. Es ist aber eine reine klinische Diagnostik – es gibt keine Untersuchung, die mir das Ergebnis gibt: Parkinson – ja oder nein. Der Chef einer Uniklinik hat gesagt, er habe zu Beginn eine Irrtumswahrscheinlichkeit von zehn bis 20 Prozent – und da bin ich natürlich auch nicht besser. Es bleibt eben eine Restunsicherheit, weil es keine definitiven Untersuchungsergebnisse gibt.
Eine Heilung gibt es bis jetzt nicht – wie sieht eine Therapie aus? STIEFKEN Die große Revolution in der Parkinson-Therapie gelang mit dem Medikament Levodopa. Man muss sich vorstellen, dass der Mangel an Dopamin im Gehirn nicht einfach durch die Gabe des Stoffes behoben werden kann. Das Ergebnis wären Symptome wie Herzrasen und Schweißausbrüche – ehe auch nur eine kleine Menge des Stoffes im Gehirn angekommen wäre. Levodopa ist ein Vorbotenstoff des Dopamins, das in Kombination mit einem anderen Stoff nur und ausschließlich im Gehirn in Dopamin umgewandelt wird. Daher erzielen wir mit dem Levodopa nach wie vor die allerbesten Wirkungen in der Therapie. Dazu gibt es weitere Medikamente, die etwa den Abbau von Dopamin hemmen oder dafür sorgen, dass mehr Dopamin ausgeschüttet wird. Zu Beginn ist die Behandlung relativ einfach – zum Schluss sind allerdings immer weniger Nervenzellen vorhanden, die Dopamin produzieren. Daher wird die Behandlung immer schwieriger. Ganz wichtig ist bei der Behandlung allerdings auch die Krankengymnastik. Allerdings ist die Behandlung anders als bei allen anderen neurologischen Patienten. Ich mache hierfür regelmäßig Fortbildungen in den Praxen. Eine spezielle Therapie, die BIG-Therapie, in der genau das trainiert wird, was der Parkinson-Patient braucht – vor allem langsame, großräumige Bewegungen. Yoga und Tai-Chi gehen auch in diese Richtung. Was aber überhaupt nicht sinnvoll ist – sind Massagen. Die haben praktisch keinen Effekt.
Kann es ein „gutes Leben mit Parkinson“geben?
STIEFKEN Ich kenne viele Patienten, die gut mit ihrem Parkinson leben.
Ich habe etwa einen Berufsmusiker, der seit einigen Jahren Parkinson hat. Oder eine 79-Jährige, die mir sehr traurig sagte, dass sie nun wegen ihres Parkinsons ihre Übungsleiterinnentätigkeit im Sportverein aufgeben müsse – mit 79 Jahren! Das Wichtige sind eben die medikamentöse Einstellung und die unterstützende Krankengymnastik. Aber natürlich wird das insgesamt betrachtet nicht besser. Dazu kommt allerdings, dass Parkinson-Patienten leider sehr teuer sind.
Wenn ein Angehöriger erkrankt, ist das sicherlich nicht leicht. Gibt es Ratschläge für Betroffene? STIEFKEN Wichtig ist die Offenheit im Umgang miteinander – denn durch die Gangunsicherheit und das Zittern wird man ganz schnell als Alkoholiker eingestuft. Ich bin aber auch froh, wenn die Angehörigen mit zu den Arztgesprächen kommen, vor allem im späteren Stadium. Denn dann gibt es oft psychische Auffälligkeiten, die der Patient selbst nicht so mitbekommt – von den Angehörigen aber schon. Das kann bei der Behandlung durchaus hilfreich sein.
Welche Rollen spielen hier Selbsthilfegruppen?
STIEFKEN Eine sehr wichtige. Aber es gibt meiner Meinung nach zu wenige Selbsthilfegruppen in der bergischen Region. Im Idealfall wird in der Gruppe BIG-Sport gemacht. Außerdem können die Patienten in der Gruppe voneinander lernen – genau wie ich auch von meinen Patienten lernen kann.
WOLFGANG WEITZDÖRFER FÜHRTE DAS INTERVIEW