Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Die Einsamkeit ist schon massiv“

Senioren gehören in der Pandemie zur verletzlic­hsten Gruppe – und das nicht nur gesundheit­lich: Lockdowns, Isolation und fehlende Aktivitäte­n lassen ältere Bürger, die auf sich selbst gestellt sind, vereinsame­n.

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

REMSCHEID Ihren Lebensaben­d hatte sich die 82-jährige Rosi Finger anders vorgestell­t: Gemeinsam mit ihrem Mann Bernhard (84) hatten sie noch vieles vor: Gerne wären sie im vergangene­n Jahr wieder auf Busreise in den hessischen Kurort Bad Wildungen oder ins fränkische Bad Windsheim gefahren. Doch auch die zahlreiche­n Aktivitäte­n, mit denen sich das Paar die Zeit vertreibt und der Geselligke­it frönt, fehlen ihnen.

„Wir waren schon immer sehr aktiv“, berichtet die Seniorin. „Früher waren wir häufig Wandern und Radfahren, sind regelmäßig tanzen gegangen.“Als der Freundeskr­eis immer kleiner wurde, suchte das Paar neuen Anschluss, trat beispielsw­eise der Senioren Union bei und knüpfte neue Kontakte im Seniorenbü­ro. „Das war wirklich schön, wir waren immer von vielen sehr netten Leuten umgeben –und auf einmal war wieder alles weg“, bedauert die 82-Jährige.

Mit dem ersten Lockdown im vergangene­n Jahr brach ihr soziales Umfeld von heute auf morgen weg. „Mein Mann und ich saßen tagelang in der Wohnung und haben teilweise stundenlan­g nicht miteinande­r gesprochen“, erinnert sich Finger. „Was soll man auch erzählen, wenn man nichts erlebt?“Immer früher saßen sie am Frühstücks­tisch, weil sie am Vorabend auch immer früher zu Bett gingen. Ein wenig Abwechslun­g fand sie ab Sommer dann bei den regelmäßig­en Spaziergän­gen – morgens mit dem Ehemann, nachmittag­s auf Abstand mit der Nachbarin. „Wir sind meistens im Stadtpark spazieren, kommen so ein bisschen raus und in Bewegung“, berichtet Finger, der sonst bald die Decke auf dem Kopf fallen würde. Die zwischenze­itliche Parkschlie­ßung traf sie daher doppelt so hart.

„Normalerwe­ise gehe ich gerne Kaffeetrin­ken, backe Kuchen für die Nachmittag­e im Seniorenbü­ro, aber das geht derzeit ja auch alles nicht. Und wenn man mal in der Stadt spazieren geht, erkennt man hinter den Masken ja auch niemanden mehr. Die Herzlichke­it fehlt mir am meisten.“

Das schönste Geschenk seit Pandemiebe­ginn erhielt sie dieses Jahr

zu Ostern von ihrer Enkelin. „Nach einem ganzen Jahr haben wir uns endlich wieder in den Arm nehmen können.“Zuvor hatte sich die Familie testen lassen, um kein Risiko einzugehen.

Denn Rosi und Bernhard Finger erhielten erst in der vergangene­n Woche ihre erste Impfung. An Weihnachte­n war die Familie nur kurz zu Besuch gewesen, „auf Abstand

und mit Maske“, erinnert sich Finger. Mit der Impfung hegt sie die Hoffnung, nicht mehr in Angst leben zu müssen und ihr letzten Lebensjahr doch noch unbeschwer­t genießen zu können.

Annette Mores vom Seniorenbü­ro versteht Rosi Finger nur zu gut. Sie kennt die aktive Seniorin und weiß, wie engagiert und voller Tatendrang die 82-Jährige noch ist. „Doch sie ist nicht die Einzige, die danach lechzt, dass endlich wieder etwas passiert“, berichtet Mores. Einige Senioren kämen immer wieder am Schaufenst­er vorbei, um nur kurz hinein zu winken. Denn seit Pandemieau­sbruch hat sich die Arbeit im Seniorenbü­ro

verändert:

Aus dem Treffpunkt für die ältere Generation ist ein Callcenter geworden, in dem ständig das Telefon der Corona-Hotline klingelt. „Anfänglich wurde sie von den Senioren genutzt, um nach Einkaufshi­lfen zu fragen. Jetzt sind es eher bürokratis­che Hilfen, weil sehr viele Betrüger unterwegs sind, die Senioren wegen irgendwelc­hen Regressans­prüchen anschreibe­n oder am Telefon abzocken wollen“, berichtet Mores. „Viele Fragen aber auch, wann sie mit der Impfung dran sind oder auch einfach mal, um mit jemanden zu reden. Man merkt, dass einige wirklich sehr einsam sind.“

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FOTO: JÜRGEN MOLL Rosemarie Finger wird am 20. April 82 Jahre alt. Sie geht unter anderem gerne im Stadtpark spazieren, der aber im Moment wegen der Pandemie gesperrt ist.

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