Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Die Einsamkeit ist schon massiv“
Senioren gehören in der Pandemie zur verletzlichsten Gruppe – und das nicht nur gesundheitlich: Lockdowns, Isolation und fehlende Aktivitäten lassen ältere Bürger, die auf sich selbst gestellt sind, vereinsamen.
REMSCHEID Ihren Lebensabend hatte sich die 82-jährige Rosi Finger anders vorgestellt: Gemeinsam mit ihrem Mann Bernhard (84) hatten sie noch vieles vor: Gerne wären sie im vergangenen Jahr wieder auf Busreise in den hessischen Kurort Bad Wildungen oder ins fränkische Bad Windsheim gefahren. Doch auch die zahlreichen Aktivitäten, mit denen sich das Paar die Zeit vertreibt und der Geselligkeit frönt, fehlen ihnen.
„Wir waren schon immer sehr aktiv“, berichtet die Seniorin. „Früher waren wir häufig Wandern und Radfahren, sind regelmäßig tanzen gegangen.“Als der Freundeskreis immer kleiner wurde, suchte das Paar neuen Anschluss, trat beispielsweise der Senioren Union bei und knüpfte neue Kontakte im Seniorenbüro. „Das war wirklich schön, wir waren immer von vielen sehr netten Leuten umgeben –und auf einmal war wieder alles weg“, bedauert die 82-Jährige.
Mit dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr brach ihr soziales Umfeld von heute auf morgen weg. „Mein Mann und ich saßen tagelang in der Wohnung und haben teilweise stundenlang nicht miteinander gesprochen“, erinnert sich Finger. „Was soll man auch erzählen, wenn man nichts erlebt?“Immer früher saßen sie am Frühstückstisch, weil sie am Vorabend auch immer früher zu Bett gingen. Ein wenig Abwechslung fand sie ab Sommer dann bei den regelmäßigen Spaziergängen – morgens mit dem Ehemann, nachmittags auf Abstand mit der Nachbarin. „Wir sind meistens im Stadtpark spazieren, kommen so ein bisschen raus und in Bewegung“, berichtet Finger, der sonst bald die Decke auf dem Kopf fallen würde. Die zwischenzeitliche Parkschließung traf sie daher doppelt so hart.
„Normalerweise gehe ich gerne Kaffeetrinken, backe Kuchen für die Nachmittage im Seniorenbüro, aber das geht derzeit ja auch alles nicht. Und wenn man mal in der Stadt spazieren geht, erkennt man hinter den Masken ja auch niemanden mehr. Die Herzlichkeit fehlt mir am meisten.“
Das schönste Geschenk seit Pandemiebeginn erhielt sie dieses Jahr
zu Ostern von ihrer Enkelin. „Nach einem ganzen Jahr haben wir uns endlich wieder in den Arm nehmen können.“Zuvor hatte sich die Familie testen lassen, um kein Risiko einzugehen.
Denn Rosi und Bernhard Finger erhielten erst in der vergangenen Woche ihre erste Impfung. An Weihnachten war die Familie nur kurz zu Besuch gewesen, „auf Abstand
und mit Maske“, erinnert sich Finger. Mit der Impfung hegt sie die Hoffnung, nicht mehr in Angst leben zu müssen und ihr letzten Lebensjahr doch noch unbeschwert genießen zu können.
Annette Mores vom Seniorenbüro versteht Rosi Finger nur zu gut. Sie kennt die aktive Seniorin und weiß, wie engagiert und voller Tatendrang die 82-Jährige noch ist. „Doch sie ist nicht die Einzige, die danach lechzt, dass endlich wieder etwas passiert“, berichtet Mores. Einige Senioren kämen immer wieder am Schaufenster vorbei, um nur kurz hinein zu winken. Denn seit Pandemieausbruch hat sich die Arbeit im Seniorenbüro
verändert:
Aus dem Treffpunkt für die ältere Generation ist ein Callcenter geworden, in dem ständig das Telefon der Corona-Hotline klingelt. „Anfänglich wurde sie von den Senioren genutzt, um nach Einkaufshilfen zu fragen. Jetzt sind es eher bürokratische Hilfen, weil sehr viele Betrüger unterwegs sind, die Senioren wegen irgendwelchen Regressansprüchen anschreiben oder am Telefon abzocken wollen“, berichtet Mores. „Viele Fragen aber auch, wann sie mit der Impfung dran sind oder auch einfach mal, um mit jemanden zu reden. Man merkt, dass einige wirklich sehr einsam sind.“