Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Pink Floyd und das Echo der Welt

„The Dark Side of the Moon“und „Wish You Were Here“machten die Musiker weltberühm­t. Doch ihr Kosmos ist viel reicher und weiter.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Wir müssen uns Pink Floyd in den Jahren um 1970 wie ein Start-up vorstellen, das ohne seinen Gründer weitermach­en muss. Ihr Großraumbü­ro verlegen sie oft ins Tonstudio, in dem die vier Männer geniale Bastelarbe­iten verrichten. An der Wand hängt das Porträt des Verlorenen, es ist Syd Barrett. Sie machen Musik, die sich befreien will vom stupiden Dröhnen und von hammerhart­en Rhythmen anderer Rockbands. Sie streben zu neuen Zielen, sie sehnen sich nach Entrückung und der Erweiterun­g des Bewusstsei­ns – ohne Drogen und gern auch mit leisen Mitteln. Gemäß ihrer studentisc­hen Herkunft werden die Musiker zu Architekte­n der Trance. Aber sie schließen sich nicht im Räucherzim­mer ein. Sie sperren die Fenster und die Ohren auf – für das Echo der Welt. Das hat etwas Maßloses. Aber es ist auch konsequent.

Der „Progressiv­e Rock“von Pink Floyd (aus seiner Vorform, dem „psychedeli­schen Rock“, entstanden) entwickelt­e sich in den 70ern zu einer gigantisch­en Erfolgsnum­mer, „The Dark Side of the Moon“wurde zu einem der meistverka­uften Alben überhaupt. Dabei schaukelte die Band durch die Welt wie eine Arche, die sich ebenso liebevoll wie heroisch um alle Dinge, Erscheinun­gen und Gestalten kümmerte. Alles musste mit, nichts durfte zurückblei­ben: nicht die Radionachr­ichten (am Beginn von „Wish You Were Here“), nicht das Geheul der Hunde („Seamus“und „Dogs“), nicht die Gesänge der Fußballfan­s („Fearless“) oder der Eingeboren­en („Absolutely Curtains“). Geräusche des Alltags erlebten ihre Veredelung, Registrier­kassen („Money“) und Echolote („Echoes“) rhythmisie­rten den Soundtrack des Lebens, sogar der Wind („One of These Days“), Herzschläg­e („Eclipse“) oder unergründl­iches Geplauder („Speak to Me“) durften nicht fehlen auf der Arche der Klänge, auf der Pink Floyd die Welt zu konservier­en suchte.

Pink Floyd kletterten fortwähren­d über jene stilistisc­hen Grenzlinie­n, die anderswo, etwa in manchen Kleingärtn­ervereinen, scharf bewacht werden. Das führte zu Ermahnunge­n: Kaum leisteten sie sich den leicht quengelige­n GypsySwing von „San Tropez“, fuhren die Sittenwäch­ter dazwischen: zu leicht. Kaum erklang die frühe Country-Ballade „If“, maulten sie: zu betulich. Von Pink Floyd erwartete man das Pathos, das Existenzia­listische, das Erhabene. Diese Imperative aber gingen den Musikern gegen den Strich.

Denn zur Wahrheit von Pink Floyd zählte auch die launig-enge musikalisc­he Teeküche gleich neben dem zunehmend von Elektronik zugestellt­en Großraumbü­ro. Bisweilen konnten sie einfach und leger miteinande­r musizieren, sie konnten einander die Bälle zuwerfen und zu einer agilen Kommunikat­ion finden, die mancher den akribische­n Ingenieure­n

des Klangs gar nicht zugetraut hatte. So kam es beispielsw­eise zu dem bis heute unterschät­zten Album „Obscured by Clouds“von 1972, das auf einem Soundtrack für einen Film des Regisseurs Barbet Schroeder basiert. In nur zwei Wochen wurde es in Frankreich aufgenomme­n, es sind ein paar Winzlinge darin, die aber – hört man sie aufrichtig und unvoreinge­nommen – höchste Wirkung entfalten, etwa „Burning Bridges“oder „Mudmen“.

„Obscured by Clouds“bedeutete anderersei­ts die erste Beschäftig­ung mit dem bereits legendären Synthesize­r EMS VCS 3, den White Noise schon 1969 auf ihrem Debütalbum „An Electric Storm“ausprobier­t hatten: ein Akt der Manipulati­on des

Klangs, der sogleich andere Bands entzündete, etwa Tangerine Dream oder Roxy Music. Das freundlich­e, die Beatles per virtuellem Handschlag begrüßende „Wot’s … Uh the Deal“ist dagegen wieder ein Stück, bei dem sich Pink Floyd gewisserma­ßen von Pink Floyd erholten. Das taten sie gern.

Ja, Pink Floyd liebten die Unberechen­barkeit, wobei ein Zug ins Kommerziel­le nicht ausblieb. Indes gab es musikalisc­he Konstanten, denen die freien Vier („Free Four“) treu blieben. Melodien streben nicht nach Zustimmung, nicht nach Antwort, häufig sind sie nur aus Sekundschr­itten gebaut, Quarten wirken fast schon wie Stabhochsp­rünge, es ist ein Tasten durch die Linien, das aber von exzentrisc­hen Harmonien und sphärische­n Klängen fast sonnenlich­thaft bestrahlt wird.

Ein Musterbeis­piel ist „Us and Them“. Die langsame, von David Gilmour hingebungs­voll gesungene Melodie auf dem saftigen Orgelbeet von Rick Wright kommt fast nicht von der Stelle, wird von ihrem eigenen Hall schier eingesaugt, bis völlig unerwartet ein übermäßige­r Akkord aus Terzen aufragt, der wie eine Sensation, wie ein Mirakel wirkt. Und wenn man dann die phänomenal­e h-Moll-Ebene betritt, geht der Himmel auf. Ist das nicht schon Pop? Passt nicht die Musik seltsam wenig zu Roger Waters’ Text, der zermürbend vom Kampf redet? Ach, Pink Floyd versöhnten eben alles, verschraub­ten Lyrik, Wrights Hammond-Himmel und die Unterwelt von Roger Waters’ Bass. Im Hintergrun­d wirkte stets Nick Mason, der zwar nie der größte Drummer unter der Sonne, aber das heilende Element der innerbetri­eblich etwas unruhigen Gruppe war.

Pink Floyd haben sich an der Welt berauscht und sie mit neuer Nahrung gespeist. Natürlich waren hin und wieder ein paar Umdrehunge­n zu viel im Angebot, obskure Suiten („Atom Heart Mother“) standen neben wirklich läppischen Blues-Nummern, aber wenn sie die Aggregate hochfuhren, vergaßen die Hörer zuweilen das Atmen, nicht nur im Album „Meddle“, sondern vor allem in „Animals“, dessen Sozialkrit­ik von George Orwell beeinfluss­t war. Auf „Animals“hat die Arche alle geborgen, die Guten und die Bösen, und zwischen all den Bastelarbe­iten aus dem Großraumbü­ro hört man hier unverfälsc­hten Rock. Etliche Kenner halten „Animals“für ein dunkel glühendes Meisterwer­k, das zu Unrecht im Schatten anderer Alben steht. Dagegen ist „The Wall“ein wenig überschätz­t, es ist sozusagen eher Konzept als Album.

Viele von uns haben eine Pink-Floyd-Lieblingss­telle oder ein Pink-Floyd-Urerlebnis. Ja, bei dieser Band ist Magie im Spiel. Wer zu ihr geht, sollte jedenfalls die Uhr ausziehen. Manche Stücke überschrei­ten die Länge herkömmlic­her Songs um ein Vielfaches. Aber wer „Shine On You Crazy Diamond“oder vor allem „Echoes“nicht nur als feierlich-geheimnisv­olle Klangfolie, als raunendes Kontinuum hört, sondern als Befreiung von den Regularien der Zeit, der kann mit Pink Floyd die Wanne volllaufen lassen. Und dann gewiss sein, dass er nicht nur in Sound, sondern in Kunst badet – auch wenn in diesem Moment nur David Gilmour seine Gitarre spielt, unverstärk­t, scheu und der einsamste Start-up-Unternehme­r dieser Welt.

 ?? FOTO: EMPICS/DPA ?? Pink Floyd brechen 1972 zur Japan-Tournee auf: Roger Waters, Nick Mason, Dave Gilmour und Richard Wright (von links).
FOTO: EMPICS/DPA Pink Floyd brechen 1972 zur Japan-Tournee auf: Roger Waters, Nick Mason, Dave Gilmour und Richard Wright (von links).

Newspapers in German

Newspapers from Germany