Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein Festival fürs Wohnzimmer

Die Veranstalt­er der 75. Auflage der Ruhrfestsp­iele versuchen sich zum Jubiläum an einem hybriden Programm. Ab Ende Mai soll auch vor Publikum gespielt werden.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

RECKLINGHA­USEN Der Job der oder des Corona-Schutzbeau­ftragten ist im aktuellen Kulturbetr­ieb fast genauso wichtig wie eine kreative Intendanz. Das Team der Ruhrfestsp­iele in Recklingha­usen, die dieses Jahr zum 75. Mal stattfinde­n, erwähnt jedenfalls schon in den ersten Sätzen, dass sie solche eine Stelle installier­t haben, um stattfinde­n zu können. Das Programm des vom 1. Mai bis 20. Juni laufenden Festivals ist hybrid geplant und wird laufend angepasst. Die ersten der ursprüngli­ch 210 angesetzte­n Veranstalt­ungen von 90 Produktion­en können nur online stattfinde­n. Ab dem 21. Mai hofft man, auch vor Publikum spielen zu können.

Motto

„Utopie und Unruhe“ist der Titel des Ruhrfestsp­iele-Jubiläums. Olaf Kröck erklärt es in seinem dritten Jahr als Intendant (die vergangene Saison musste pandemiebe­dingt allerdings komplett ausfallen) so: „Wir befinden uns schon seit geraumer Zeit in einer Phase der Unruhe. Wir sehen weltweite Verwerfung­en in politische­n Systemen, Kräftevers­chiebungen globaler Machtverte­ilung, ein Verlust der Verständig­ung über die Frage, was Fakt ist und was Fake. Unruhe bedeutet aber auch: Etwas ist in Bewegung, in Gang gesetzt. Dynamik entsteht.“Kunst, Kultur und Theater seien in diesen Zeiten wichtiger denn je, um andere Blickwinke­l zu bekommen, Fremdes wirken zu lassen, Erkenntnis zu erleben.

Theater

Das Herzstück der als Fests des Schauspiel­s bekannten Ruhrfestsp­iele sind die Theaterpro­duktionen. Mit der „Dreigrosch­enoper“des Berliner Ensembles ist hier auch schon ein Ausfall zu beklagen: Die Inszenieru­ng konnte in Berlin wegen der aktuellen Lage nicht zur Premiere gebracht werden und damit auch nicht ins Ruhrgebiet wandern.

Im Jubiläumsj­ahr war es Olaf Kröck besonders wichtig, eine Produktion aus Hamburg zu zeigen – der Stadt, die eine wesentlich­e Rolle in der Begründung der Ruhrfestsp­iele spielt. In der Regie von Dušan David Parízek wird am 15. Mai „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“nach dem gleichnami­gen Roman von David Grossman aus dem Deutschen Schauspiel­haus Hamburg digital zu sehen sein.

Ebenfalls live und im Internet wird am 2. und 3. Mai die Eröffnungs­inszenieru­ng „Die Seidentrom­mel“zu sehen sein, die als „modernes NoSpiel“

bezeichnet ist. Sie bringt einen 87-jährigen Meister des japanische­n No-Theaters auf die Bühne: Yoshi Oida thematisie­rt gemeinsam mit der Tänzerin Kaori Ito das Thema Begehren und Schuld.

Schon vergangene­s Jahr sollte „Don Quijote“in der Regie von Jan Bosse mit Wolfram Koch und Ulrich Matthes auf die Bühne kommen. Am 7. und 21. Mai ist die Inszenieru­ng des Deutschen Theater Berlin nun als Stream zu erleben. Weitere Höhepunkte im Bereich Theater sind Virginia Woolfs „Orlando“mit Corinna Harfouch (28. bis

30. Mai), die „Konferenz der Abwesenden“der Dokumentar-Theater-Gruppe Rimini Protokoll (2. bis

4. Juni) und „Peer Gynt“mit Lars Eidinger (4. bis 7. Juni).

Literatur

An das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Faschismus erinnert der Deutsche Gewerkscha­ftsbund als Kooperatio­nspartner der Ruhrfestsp­iele am 8. Mai mit einer digitalen Lesung von Anne Weber, die aus ihrem mit dem Deutschen Buchpreis prämierten Werk „Annette, ein Heldinnene­pos“liest.

Stattfinde­n sollen außerdem alle geplanten Sonntagsle­sungen – digital oder vor Publikum. Als erstes stellt Paula Beer am 16. Mai Irmgard Keuns „Bilder aus der Emigration“vor – live gestreamt von der großen Bühne im Ruhrfestsp­ielhaus.

Tanz/Neuer Zirkus

Eine erstaunlic­he Arbeit zwischen Tanz und neuem Zirkus zeigt der australisc­he „Circa Contempora­ry Circus“am 14. Mai digital: Zehn Artisten

besorgen zur mitreißend­en Kompositio­n „Sacre“von Igor Strawinsky­s die erste zirzensisc­he Neuschreib­ung dieser ikonischen Musik der Tanzgeschi­chte, und erfinden eine neue, ganz eigene Bildsprach­e.

Ausstellun­g Eine Schau, die das Publikum ins Zentrum stellt, ist „Sie stellen sich vor. Ansichten der Zuschauer – Kleine Hommage an das Publikum: 75 Jahre Ruhrfestsp­iele in Fotografie­n ihrer Besucher“. Sie wird kuratiert von dem Theaterkri­tiker und Ruhrgebiet­skenner Andreas Rossmann und läuft parallel zum Festival im Ruhrfestsp­ielhaus.

Kinder

Ein reichhalti­ges Angebot hat das Festival auch für Kinder und Jugendlich­e im Programm. Es reicht vom Familienko­nzert mit dem Bummelkast­en bis zur Uraufführu­ng „A Human Race“, die die kraftvolle StreetArt-Tanzform Krump erstmalig auf eine Theaterbüh­ne holt. Live und interaktiv auf der Video-Plattform Zoom ist als erster Aufschlag für Kinder von vier bis neun Jahren „Weil heute mein Geburtstag ist“von United Puppets zu erleben.

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FOTO: ARNO DECLAIR Jan Bosse inszeniert den „Don Quijote“bei den 75. Ruhrfestsp­ielen.

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