Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Aktion Abendsonne
Vor der Bundestagswahl hat bei den Ministerien eine auffällige Vermehrung gut bezahlter Jobs eingesetzt. Vertraute werden üppig abgesichert. Die Opposition schäumt – aber eine differenzierte Betrachtung empfiehlt sich.
Abendsonne – das klingt nach ein bisschen Wärme vor der kalten Nacht. Wenn indes in den Monaten vor Wahlen die „Aktion Abendsonne“anläuft, dann gibt es wohlige Gefühle nur für wenige. Und viele dürfen zahlen, wenn Minister die letzten Monate an der Macht dazu nutzen, ihre Getreuen für ihre Arbeit mit üppigen Beamtenposten und -pensionen auszustatten. Dieses Mal, da weder die Union noch die SPD sicher davon ausgehen kann, wieder eine Regierung bilden zu dürfen, lassen die Ressortchefs die Sonne so heftig strahlen wie noch nie. Jedenfalls kann sich unter den aktiven Regierungskontrolleuren keiner daran erinnern, dass schon im ersten Quartal eines Wahljahrs mehr als 71 neue Topjobs geschaffen wurden.
Einen zusätzlich braucht Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), vier Außenminister Heiko Maas (SPD), viereinhalb Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), fünf Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), sieben Finanzminister Olaf Scholz (SPD), zehn Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), jeweils elf Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Bildungsministerin Anja Karlizcek (CDU), gleich mit 18 zusätzlichen B3- und B6-Stellen ist Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dabei. 46 Mal schwarzer und 25,5 Mal roter Geldsegen.
B3 weist ein Grundgehalt von 8762,03 Euro auf, B6 von 10.412,79 Euro. Dazu kommt die Pensionsperspektive für Beamte. Wer mit 40 von der Abendsonne beschienen wird, kann bei B3 später mit mindestens 4100 Euro rechnen, bei B6 mit 4800 Euro. Pro Monat.
Entsprechend groß ist die Aufregung. Linken-Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch sieht darin einen Beleg dafür, dass der „Staat zur Beute der Regierungsparteien
gemacht wird“. „Für mich ist das eine Form von Vetternwirtschaft, die wir gern in Bananenrepubliken scharf verurteilen“, sagt sie unserer Redaktion. Ähnlich bewertet es AfD-Haushaltspolitiker Peter Boehringer, zugleich Chef des Haushaltsausschusses: „Die Selbstbedienung der scheidenden Regierung für eigene Parteigänger ist ein Skandal.“
Die Chefhaushälter der Koalition sehen indes keinen Grund zur Beunruhigung. „Der Vorgang entspricht dem normalen Vorgehen auch in Nicht-Wahljahren und birgt keine Besonderheiten“, sagt Dennis Rohde von der SPD. Die sieben neuen Stellen im Finanzministerium sollten unter anderem die Geldwäschebekämpfung und den Kampf gegen Finanzkriminalität stärken. Eckhardt Rehberg von der Union verweist auf den ordentlichen Gang der Stellenvermehrung. Die neuen Stellen für 2021 seien im November vom Haushaltsausschuss geprüft worden. Rehberg sagt damit indirekt, dass es seinerzeit keine Bedenken gab, schränkt aber zugleich ein: „Die Verantwortung für die fachliche Qualifikation der Stelleninhaber liegt bei den einzelnen Ressorts.“
Man wird nur schwer jede Stelle über einen Kamm scheren können. B3- und B6-Stellen gibt es etwa für die Pressesprecher der Minister. Da gibt es immer wieder auch solche, die nicht dazu neigen, sich zu überarbeiten. Aber es gibt auch die engen Vertrauten, die vor ihren Chefs auf den Beinen sind, mit ihnen von Termin zu Termin hetzen und nach Dienstschluss ihrer Chefs noch an Reden feilen. In der Ministerialbürokratie mag kaum einer mit ihnen tauschen. Sie bringen in ihre „Abendsonnen“-Stelle viele Kontakte und Erfahrungen mit, die eine neue Administration nutzen kann.
Einer der guten Posten geht etwa an den bisherigen Chefkommunikator des Auswärtigen Amts, Steffen Rülke. Den
„Eine Form von Vetternwirtschaft, die wir in Bananenrepubliken scharf verurteilen“
Gesine Lötzsch Linken-Haushaltsexpertin
hat Heiko Maas schätzen gelernt, als er für ihn Sprecher im Justizministerium war, und mit ins Auswärtige Amt genommen. Zuvor war Rülke stellvertretender Sprecher in der SPD-Fraktion. Scheinbar also ein Prototyp der „Abendsonne“, wenn er jetzt eine Unterabteilungsleitung im Justizministerium übernimmt. Doch Jurist Rülke kommt ursprünglich aus dem Presseund Informationsamt der Bundesregierung, wo er bereits 2010 Chef vom Dienst war. Seine Leistung wird allgemein gelobt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er auch ohne Maas auf einem solchen Posten gelandet wäre.
Wie die „Aktion Abendsonne“letztlich zu bewerten ist, hängt vor allem von zwei Fragen ab: Ist der Versorgungscharakter offenkundig, wenn etwa der Unterbau fehlt, der Inhaber der neuen Stelle deshalb auch kaum auf Leistung kommen kann? Und ist die neue Aufgabe wirklich notwendig? Die FDP will bei beiden Aspekten für mehr Klarheit sorgen. „Bei der Personalpolitik werden wir aufgrund des nervösen Verhaltens der Bundesregierung in den nächsten Monaten regelmäßig nachhaken“, kündigt FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke an. Er richtet seinen Blick dabei nicht nur auf das Projekt „Abendsonne“, sondern auch auf das Projekt „goldenes Abstellgleis“. Damit meint er die vielen Direktorenposten in Ämtern und Rundfunkanstalten, deren Besetzung von den Politikern beeinflusst werden kann.
Zudem geht es um das Problem der ständigen Stellenvermehrung. Statt zu fragen, wie die neuen gegenüber alten Aufgaben priorisiert werden können, werden immer mehr draufgesattelt. Ein Grund: Je mehr Leute sie haben, desto wichtiger können sich die Abteilungsleiter fühlen. FDP-Haushälter Fricke bringt das auf ein anschauliches Bild: „Wir werden nicht mit immer mehr Staat, und damit automatisch immer mehr Personal, die Probleme der Zukunft lösen. Wer das glaubt, glaubt auch, dass man beim Rudern mit immer mehr Steuermännern immer schneller wird.“