Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kreative Bildung durch Corona

Die Jugendlich­en kommen in der Krise zu kurz. Ein Grund mehr für eine große Reform.

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Wie sehr die Corona-Pandemie unser Leben verändern wird, beobachte ich jeden Tag bei meiner 14-jährigen Tochter. Eigentlich ist sie eine ganz normale Neunklässl­erin, aber seit einigen Monaten lernt sie wie in einem Studium. „Das Blöde ist, dass man sich jetzt alles selbst beibringen muss“, hörte ich sie kürzlich sagen. So läuft es tatsächlic­h. Die Schüler ihrer Klasse weisen sich gegenseiti­g auf Lernvideos im Internet hin, erarbeiten ihren Stoff in Whatsapp-Gruppen, briefen sich gegenseiti­g. Einführung in neue mathematis­che Formeln durch den Lehrer, Französisc­h-Konversati­on in der Gruppe fand monatelang nur ausnahmswe­ise statt.

Das ist schlimm. Doch immerhin haben viele Schüler und Schülerinn­en dank Corona früh und im Zeitraffer trainiert, selbststän­dig und im Team zu arbeiten und zu lernen. Das passt längst nicht für alle und darf nicht zum Normalfall werden. Aber es bedeutet auch eine Chance. Modernes Lernen ist ja mehr als der Einsatz von Zoom-Formaten, der glückliche­rweise langsam für immer mehr Pädagogen selbstvers­tändlich wird. Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene müssen in Zukunft vor allem lernen, wie sie die Vielfalt von Lernangebo­ten nutzen, die für jeden jederzeit frei zugänglich sind (und oft viel besser als die meisten Schulbüche­r). Die Lehrer sollten Lernenden helfen, dabei gute Entscheidu­ngen für ihre individuel­le Auswahl zu treffen – oder begründen, wann und warum alle ähnliche Materialie­n nutzen.

Medienkomp­etenz und Zeitmanage­ment mögen modische Buzz-Wörter sein – für das Lernen der Zukunft sind sie elementar. Und kein Widerspruc­h zu klassische­n Inhalten.

Fast alle Debatten, die gerade geführt werden, sind auch wichtig für die Bildungsre­formen der kommenden Jahre. Wenn dann noch Raum ist für neue, entzerrte Bildungsbi­ografien, für eine neue internatio­nale Zusammenar­beit beim Erstellen von Lerninhalt­en, für Reverse-Mentoring von Alten durch Junge: Dann hat Corona unser Bildungssy­stem weitergebr­acht.

Unsere Autorin ist Geschäftsf­ührerin der Hertie-Stiftung in Berlin. Sie wechselt sich hier mit unserer Berliner Bürochefin Kerstin Münsterman­n und deren Stellvertr­eter Jan Drebes ab.

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