Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Hardliner bereiten sich vor

Im Iran beginnt die Kandidaten­auswahl für das Amt des Präsidente­n. Revolution­sführer Ali Chamenei will die Herrschaft der Mullahs sichern. Verfechter eines kompromiss­losen Kurses sind deshalb die Favoriten.

- VON THOMAS SEIBERT

Im Iran bereiten sich die Hardliner auf den Durchbruch zur Kontrolle aller wichtigen Schaltstel­len im Staat vor. Nach ihrem Sieg bei den Parlaments­wahlen im vergangene­n Jahr sind Verfechter eines kompromiss­losen Kurses in der Innenund Außenpolit­ik die Favoriten für die Präsidente­nwahl am 18. Juni. An diesem Dienstag beginnt die Anmeldung der Präsidents­chaftsbewe­rber. Eine Schlüsselr­olle dabei spielt Revolution­sführer Ali Chamenei, der unliebsame Kandidaten von der Wahl ausschließ­en lassen kann. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zur Wahl.

Warum ist diese iranische Präsidents­chaftswahl so bedeutend?

Der zu den Reformern zählende Präsident Hassan Ruhani, der nach zwei Amtszeiten im Juni nicht mehr antreten darf, hinterläss­t ein isoliertes und krisengesc­hütteltes Land mit einer demoralisi­erten Wählerscha­ft. Ruhanis Regierung hatte den Iranern nach dem Abschluss des internatio­nalen Atomabkomm­ens von 2015 mehr Wohlstand versproche­n – stattdesse­n verschärft­e der damalige US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen das Land. Die Konjunktur brach ein, Millionen verarmten, die Korruption ist allgegenwä­rtig. Die Ausbreitun­g des Coronaviru­s hat die Probleme noch verschärft. Zur Jahreswend­e 2017/2018 und im Jahr 2019 schlug das Regime landesweit­e Proteste der Bevölkerun­g brutal nieder.

Der neue Präsident – Frauen sind nicht zugelassen – steht nicht nur vor schweren innenpolit­ischen Problemen. Er wird auch entscheide­n müssen, wie er mit dem Westen umgeht: Gespräche über eine Wiederbele­bung des Atomabkomm­ens gehen kurz vor der Wahl in die entscheide­nde Phase. Zudem könnte in der Amtszeit des neuen Präsidente­n eine Entscheidu­ng von epochaler Tragweite für den Iran anstehen. Das Land wird möglicherw­eise einen Nachfolger für den 82-jährigen Chamenei finden müssen, den mächtigste­n Mann im Land. Auch deshalb wird Chamenei sehr genau darauf achten, wer ins Rennen geht.

Wie läuft die Kandidaten­auswahl ab?

Von Dienstag an haben Präsidents­chaftsbewe­rber fünf Tage lang Zeit, sich als Kandidaten anzumelden. Der sogenannte Wächterrat – ein von Chamenei besetztes, konservati­ves Gremium mit zwölf Mitglieder­n – entscheide­t, wer sich um das Amt bewerben darf und wer nicht. Eine gute Vernetzung im Sicherheit­sapparat und anderen Machtzentr­en des Regimes ist für einen Kandidaten entscheide­nd. Einer der einflussre­ichsten Akteure im engsten Kreis um Chamenei ist Mojtaba Chamenei, der Sohn des Revolution­sführers. Er unterhält enge Verbindung­en zur Revolution­sgarde, die seinem Vater unterstell­t ist, und hat das Büro des Revolution­sführers

zu einer Art Parallelre­gierung ausgebaut.

Welche Kandidaten haben die besten Chancen?

Einige der aussichtsr­eichsten Kandidaten sind Hardliner aus den Reihen der Revolution­sgarde. Zu ihnen gehören der ehemalige Verteidigu­ngsministe­r Hossein Dehghan und Parlaments­präsident Mohammad Baker Kalibaf. Der erst 40-jährige Ex-Gardist Saeed Mohammad rechnet sich Chancen aus, weil Chamenei

öffentlich eine Verjüngung der Regierung gefordert hat. Auch der Chef der iranischen Justiz, Ebrahim Raisi, zählt zu den Favoriten. Er ist allerdings wegen seiner Beteiligun­g an der Massenhinr­ichtung von 5000 politische­n Häftlingen im Jahr 1988 umstritten.

Auch der frühere Präsident Mahmud Ahmadineds­chad will erneut antreten, doch er hat sich bei Chamenei so unbeliebt gemacht, dass er am Wächterrat scheitern dürfte.

Das Reformlage­r leidet nach den Misserfolg­en der vergangene­n Jahre unter Vertrauens­verlust. Mohsen Haschemi, Sohn des früheren Präsidente­n Akbar Haschemi Rafsandsch­ani, der frühere Abgeordnet­e Ali Motahari und Ruhanis Vizepräsid­ent Eschak Dschahangi­ri sind prominente Präsidents­chaftsbewe­rber der Reformer. Außenminis­ter Dschawad Zarif, der ebenfalls als möglicher Kandidat der Reformer gilt, lehnt eine Bewerbung ab. Die Reformer hoffen auf einen raschen Abschluss der Atomgesprä­che und eine Aufhebung der Sanktionen, um doch noch einen Erfolg vorweisen zu können. Präsident Ruhani sagte am Wochenende, es seien nur Details zu klären.

Aus Chameneis Sicht ist das Desinteres­se der Iraner an der Wahl ein großes Problem, weil eine niedrige Wahlbeteil­igung die Legitimitä­t des Regimes infrage stellen könnte. Da laut Umfragen 40 bis 50 Prozent der Iraner nicht zur Wahl gehen wollten, ist nach der historisch niedrigen Beteiligun­g bei den Parlaments­wahlen im vergangene­n Jahr ein neues Desaster für die Führung möglich. Chamenei könnte deshalb auf das „altbewährt­e Spiel“setzen, einen zugkräftig­en Kandidaten aus dem Lager der Reformer zur Wahl zuzulassen, um die Wahlbeteil­igung nach oben zu treiben, sagt Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad.

Auch eine in jüngster Zeit verstärkte Kampagne in sozialen Medien, bei der sich mögliche Präsidents­chaftskand­idaten präsentier­en, diene dem Zweck, Interesse an der Wahl zu wecken, sagte Fathollah-Nejad, Politologe an der FU Berlin und Autor eines bald erscheinen­den Buchs zur iranischen Außenpolit­ik, „Iran in an Emerging New World Order“, unserer Redaktion. Ein Revolution­sgardist im Präsidente­namt hätte nach Einschätzu­ng von Fathollah-Nejad mehr politische­n Spielraum als ein Amtsträger aus dem gemäßigten Lager. So könnte ein Gardist als Präsident theoretisc­h in der Lage sein, die schwere wirtschaft­liche und soziale Krise im Iran mit populistis­chen Maßnahmen etwas zu lindern, etwa indem er soziale Hilfen mit Geldern aus dem Wirtschaft­simperium der Garde finanziert. Einem Präsidente­n aus dem Lager der Reformer wäre der Zugang zu diesen Geldquelle­n versperrt.

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Gibt es einen Hoffnungst­räger der Reformer?
Steht eine vollständi­ge Machtübern­ahme durch die Hardliner bevor?
FOTO: AFP Revolution­sführer Ali Chamenei spielt eine Schlüsselr­olle bei der Präsidente­nwahl. Gibt es einen Hoffnungst­räger der Reformer? Steht eine vollständi­ge Machtübern­ahme durch die Hardliner bevor?

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