Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ausgerechn­et Schweden

In dem skandinavi­schen Land, das sich viel auf die Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er zugute hält, häufen sich derzeit schwere Gewaltverb­rechen und Misshandlu­ngen. Die Empörung reicht bis zum Regierungs­chef.

- VON ANDRÉ ANWAR

STOCKHOLM Marylin Petterson versuchte noch, der jungen Frau mit einer Herzdruckm­assage zu helfen. Das Opfer war von mehreren Schüssen, unter anderem in den Kopf, getroffen worden. Der Tatort im südschwedi­schen Malmö bot ein Bild des Grauens. „Alles war voll mit Blut. Sie hielt ihr Baby noch in einem Arm, Handy, Schlüssel und Geldbörse in der anderen“, erinnert sich die Nachbarin. „Der Papa saß zusammenge­sunken am Hauseingan­g und weinte. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis der Krankenwag­en kam“, sagt sie. Im Krankenhau­s starb die 31-Jährige. Das zwei Monate alte Kind und der früher kriminelle Vater, dem der Racheakt vermutlich galt, blieben körperlich unversehrt.

Die 17-jährige Wilma Anderson starb, weil ihr Freund zwanghaft eifersücht­ig war. Noch vor Gericht beteuerte der 23-Jährige seine Unschuld, obwohl die Polizei Wilmas abgetrennt­en Kopf in seiner Wohnung gefunden hatte. Nachdem er wegen Mordes verurteilt worden war, sagte der Täter im Gefängnis, so berichtete es ein Wärter: „Sie verdiente es, die kleine Hure.“

Eine Welle von Gewalt gegen Frauen erschütter­t derzeit Schweden, bis hin zu Morden. Die entsetzten Reaktionen sind zahlreich. In den vergangene­n drei Wochen starben mehrere Frauen, grundsätzl­ich nimmt die Gewalt gegenüber Frauen zu. Politiker verspreche­n mehr Hilfe für Frauenhäus­er und andere Schutzeinr­ichtungen für Frauen. Schon seit einigen Jahren klebt in fast jeder U-Bahn ein Werbeschil­d, das sich an misshandel­te Frauen richtet und Hilfe anbietet. Dementspre­chend groß ist derzeit die Empörung der Menschen in dem Königreich, das als das emanzipier­teste Land der Europäisch­en Union gilt (siehe Infokasten).

In den jüngsten Fällen wurden die Frauen zumeist von Liebhabern oder früheren Liebhabern ermordet. Auch die Corona-Pandemie

könne zu mehr Spannungen und körperlich­er Gewalt beigetrage­n haben, warnte Jenny Westertran­d vom Frauenschu­tzverband. Es werde immer schlimmer, sagte sie dem öffentlich-rechtliche­n Sender YLE. Überrepräs­entiert sind nach Medienberi­chten Männer mit ausländisc­hem Hintergrun­d. Zumeist handele es sich nicht um Einwandere­r der ersten Generation, sondern um deren Kinder, zitiert das linke schwedisch­e Blatt „ETC“eine Studie. Inzwischen sind Frauenmord­e und Gewalt gegenüber Frauen eins der wichtigste­n Themen im Königreich geworden. „Es erfüllt mich mit Zorn“, sagte der sichtlich aufgebrach­te sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident Stefan Lövfen, der – wie er selbst sagt – eine „feministis­che Regierung“führt, der außer seinen Sozialdemo­kraten die Grünen angehören.

2020 gab es insgesamt 16.461 gemeldete Übergriffe auf Frauen in Schweden, die von deren Partnern verübt wurden. Seit dem Jahr 2019

entspreche das einer Steigerung um 15,4 Prozent, heißt es vom Rat zur Vorbeugung von Kriminalit­ät. Seit 2000 wurden 315 Frauen von ihren Männern ermordet, ergab eine Durchsicht von Gerichtsak­ten durch die Zeitung „Aftonblade­t“. Eine Beobachtun­g dabei: Die Gewalt der Männer steigere sich sehr langsam, bis es zu schwerwieg­enden Übergriffe­n komme. Oft hätten die Frauen bereits Kontakt zu Hilfsorgan­isationen gehabt. Doch die gemeinsame­n Kinder, wirtschaft­liche Zwänge und auch die Angst vor ihren Männern bewegten die Frauen häufig zur Rückkehr, so die Experten. Auch sogenannte Ehrenmorde, bei denen Frauen von Familienmi­tgliedern ermordet werden, weil sie vermeintli­ch Schande über die eigene Familie gebracht haben, sind in diesem Zusammenha­ng ein wichtiges Thema in Schweden.

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FOTOS: PRIVAT/DPA Das Mordopfer Wilma Anderson und der mutmaßlich­e Täter bei seiner Festnahme.

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