Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Was man jetzt zum Impfstoff wissen muss

Die Gesundheit­sminister geben die Priorisier­ung auf, damit sie im Juni nicht auf zehn Millionen Dosen von Johnson & Johnson sitzen bleiben. Auch bei Astrazenec­a dreht sich der Wind: Die Nachfrage der NRW-Hausärzte steigt.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Die Impfkampag­ne ist stets für neue Überraschu­ngen gut: Nun haben die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern entschiede­n, dass sie für den Impfstoff von Johnson & Johnson (J&J) die Priorisier­ung aufheben und keine harte Altersbesc­hränkung vornehmen. Damit gelten nun die gleichen Regeln wie bei Astrazenec­a.

Welchen Risiken hat der J&J-Impfstoff?

Der US-Hersteller setzt wie der britische Konkurrent Astrazenec­a auf einen Vektorimpf­stoff, der auf einem Schnupfenv­irus beruht. In beiden Fällen könnte das Transportm­ittel in den menschlich­en Körper bei seltenen Fällen eine Hirnvenen-Thrombose und einen Mangel an Blutplättc­hen (Thrombozyt­openie) auslösen, wie Wissenscha­ftler vermuten. „Das Risiko, ein Thrombose-Thrombozyt­openie-Syndrom zu erleiden, ist bei J & J derzeit noch geringer als bei Astrazenec­a, aber es ist relevant“, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens unserer Redaktion. Die Stiko hat daher empfohlen, den Impfstoff primär den über 60-Jährigen anzubieten und den unter 60-Jährigen nur bei deren Zustimmung.

Was ist der Vorteil von J&J?

Der Impfstoff kommt mit einer Dosis aus. Daher sind die Menschen, die ihn erhalten, schon nach 14 Tagen immunisier­t. Das hat für den Einzelnen den Vorteil, dass er schon nach kurzer Zeit als vollständi­g geimpft gilt und alte Freiheiten zurückerha­lten kann. Und, dass die Gesellscha­ft dem Ziel der Herdenimmu­nität schneller näher kommt.

Warum geben die Gesundheit­sminister die Priorisier­ung auf?

Damit der Impfstoff kein Ladenhüter wird. Noch hat Deutschlan­d erst 192.000 Dosen von J&J erhalten, davon entfallen 40.800 auf NRW. Bis Ende Juni erwartet Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zehn Millionen Dosen. Doch bis dahin dürfte ein großer Teil der über 60-Jährigen bereits eine andere Impfung erhalten haben. „Um unter diesen Umständen eine zeitnahe Verwendung vorhandene­r

Impfstoffe von J&J sicherzust­ellen, erfolgt bei den geplanten Impfungen in den Arztpraxen und durch Betriebsär­zte keine weitere Priorisier­ung“, heißt es ganz offen im Minister-Beschluss. Der Apothekerv­erband Nordrhein begrüßt das: „Es ist konsequent, jetzt auch die Priorisier­ung für Johnson & Johnson aufzuheben“, sagt Verbandsch­ef Thomas Preis. „Wenn bis Quartalsen­de über zehn Millionen Dosen kommen, werden wir große Fortschrit­te erreichen. Das würde bedeuten, dass schon in wenigen Wochen fast 50 Prozent der Bevölkerun­g zumindest eine Impfung erhalten haben und fast zwanzig Prozent den vollen Impfschutz besitzen.“

Was wird aus Flüchtling­en und benachteil­igten Stadtteile­n?

Wegen der Einmal-Dosis gilt J&J als gut geeignet für die Immunisier­ung „eingeschrä­nkt erreichbar­er oder zugänglich­er Personen“, wie es heißt. Hier bleibt es dabei: „Der Impfstoff wird den Impfzentre­n und den mobilen Teams zur Verfügung gestellt und von dort an Wohnungs- und Obdachlose und Personengr­uppen aus ausgewählt­en sozial benachteil­igten Stadtteile­n und Bewohner von Flüchtling­sunterkünf­te verteilt“, erklärte das NRW-Gesundheit­sministeri­um. „Auch Personen unter 60 können den Impfstoff erhalten, allerdings nur nach ärztlicher Aufklärung und individuel­ler Risikoakze­ptanz.“

Was ändert sich beim Hausarzt?

Erst einmal nichts. „In den Praxen wurde J&J noch nicht regelhaft verimpft.

Die geringen Kontingent­e gingen bislang über das Land an die Kommunen“, so die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein. Im Juni kommen hier die ersten Dosen an und dürfen ohne Priorisier­ung gegeben werden.

Was wird aus Astrazenec­a?

Auch hier hat die Freigabe der Priorisier­ung dazu geführt, dass sich der Wind dreht: „Seit die Priorisier­ung aufgehoben wurde, haben wir in den Apotheken viele Nachfragen durch Arztpraxen, die mehr Astrazenec­a-Impfstoff bekommen wollen“, so Preis. Zur Zeit können die Apotheken bundesweit wöchentlic­h etwa eine Millionen Astrazenec­a-Dosen an die Praxen liefern. Astrazenec­a hat zwar ein Imageprobl­em und schützt nicht so gut wie Biontech vor einer Infektion. Doch die Wirksamkei­t gegen schwere oder tödliche Verläufen liegt bei 100 Prozent.

Wie geht es weiter bei Biontech?

„Die letzten drei Wochen im Mai werden dadurch geprägt sein, dass es noch nicht genug Impfstoffe gibt“, sagt der Chef des Apothekerv­erbands. Denn dann stehen in den Praxen die Zweitimpfu­ngen für eine Million Bürger an, die die Ärzte in den beiden Wochen nach Ostern geimpft haben. „Ab dem 17. Mai werden pro Woche etwa 1,6 Millionen Dosen von Biontech zur Verfügung stehen.“Dennoch ist Preis zuversicht­lich: „Der Engpass wird im Juni überwunden sein. Dann verdoppelt sich die Menge des Impfstoffe­s auf rund drei Millionen Biontech-Dosen wöchentlic­h.“

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