Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Experten: NRW muss mehr für Klimaschut­z tun

Wissenscha­ftler fordern in einer Landtagsan­hörung mehrheitli­ch ehrgeizige­re Ziele und genauere Vorgaben für einzelne Branchen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Wissenscha­ftler und Interessen­vertreter unterschie­dlicher Richtungen haben die schwarz-gelbe Landesregi­erung von NRW aufgeforde­rt, ihre Anstrengun­gen für den Klimaschut­z deutlich zu verstärken. Der Entwurf für ein neues Klimaschut­zgesetz des Landes sei zu unkonkret, hieß es etwa von Seiten der kommunalen Spitzenver­bände. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müsse der individuel­le Autoverkeh­r im Land um 50 Prozent sinken, der Anteil energiefre­undlicher Gebäudesan­ierungen müsse auf zehn Prozent steigen. Aktuell liege er erst bei 1,5 Prozent in NRW.

All dies sei nicht zum Schaden der Wirtschaft – Handwerker etwa würden stark profitiere­n. „Wenn das Bundesverf­assungsger­icht einen solchen Beschluss fällt, dann ist es nicht fünf vor Zwölf, sondern fünf nach Zwölf“, mahnte der Kommunalve­rtreter im Landtag bei einer Expertenan­hörung.

Das Bundesverf­assungsger­icht hatte kürzlich der Klage junger Klima-Aktivisten stattgegeb­en und das Bundesgese­tz zum Klimaschut­z in Teilen für verfassung­swidrig erklärt. Kurzfristi­g werde zu wenig gegen den Klimawande­l unternomme­n, weshalb die jüngere Generation von 2030 an größere Lasten tragen müsse. Dadurch würden ihre Freiheitsr­echte eingeschrä­nkt.

Bereits vor diesem Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts hatte die CDU-/FDP-Landesregi­erung ein neues Klimaschut­zschutzges­etz für NRW entworfen. Laut diesem Ende 2020 vorgelegte­n Entwurf soll der Treibhausg­asausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken. Die Novelle der Bundesregi­erung,

die diesen Mittwoch im Kabinett verabschie­det werden soll, sieht hingegen neuerdings eine CO2-Reduktion um 65 Prozent vor.

Experten und Wissenscha­ftler mahnten nun auch ehrgeizige­re Ziele in NRW an, vor allem aber konkretere Vorgaben für deren Umsetzung: „Das Landesgese­tz ist viel zu unambition­iert“, sagte etwa Christian Mildenberg­er vom Landesverb­and Erneuerbar­e Energien. Auch NRW müsse jetzt das 65-Prozent-Ziel übernehmen. Für jeden Wirtschaft­ssektor müsse es dabei konkrete Vorgaben geben. Auch müsse NRW wie Hamburg eine Photovolta­ik-Pflicht in den Entwurf aufnehmen und die Windrad-Abstandsre­gel von 1000 Metern abschaffen.

Thilo Schaefer vom arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft betonte, ein Landesklim­agesetz mache durchaus Sinn, wenn es die Ziele der übergeordn­eten Ebenen, also von EU und Bund, genau so übernehme. Aufgabe des Landes sei es, die Voraussetz­ungen für klimafreun­dliche Geschäftsm­odelle zu schaffen – beim Ausbau der erneuerbar­en Energien, den Speicherka­pazitäten und der Infrastruk­tur. Insbesonde­re müssten Genehmigun­gsverfahre­n verkürzt werden.

Auch der Düsseldorf­er Wirtschaft­swissensch­aftler und Regulierun­gsexperte Justus Haucap sieht noch großes Innovation­spotenzial, insbesonde­re bei Energiepei­chern, im Verkehr und im Luftverkeh­r.

Die Ökonomin Ulrike Stein vom gewerkscha­ftsnahen Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung bemängelte, dass soziale Auswirkung­en überhaupt nicht thematisie­rt worden seien. Die Landesregi­erung müsse steigende Mieten und Nebenkoste­n abfedern, um die gesellscha­ftliche Akzeptanz des Klimaschut­zes nicht zu gefährden. Stein schlug einen Klimabonus analog zum Pandemie-Familienbo­nus vor.

Dirk Jansen vom Bund für Umweltund Naturschut­z in NRW sieht in dem vorliegend­en Entwurf gar einen „Angriff auf die Generation­engerechti­gkeit“. Die Landesregi­erung habe den Ausbau der erneuerbar­en Energien gekappt und kümmere sich nicht um die Versorgung­ssicherhei­t. Jansen forderte einen Kohleausst­ieg in NRW vor 2030 statt wie bisher geplant 2038.

NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte jüngst Bereitscha­ft signalisie­rt, die Verschärfu­ng des Bundes auch auf Landeseben­e mitzutrage­n und den Gesetzesen­twurf der Landesregi­erung auf 65 Prozent Einsparung­sziel zu verschärfe­n.

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