Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Eine Apotheke fur 8000 Menschen
Vor zehn Jahren gab es in NRW 757 Apotheken mehr als heute, und es schließen immer mehr. Der Kostendruck hält Pharmazeuten davon ab, Betriebe zu übernehmen. Der letzte Apotheker in Blankenheim zeigt, wie es trotzdem klappen kann.
Wer in Blankenheim in der Eifel in die Apotheke will, hat eigentlich keine Wahl. Die Gemeinde hat 17 Ortsteile – von Ahrdorf über Freilingen bis Uedelhoven –, 8000 Einwohner und nur einen Ort, an dem man Arzneimittel gegen Rezept kaufen kann: die Rathaus-Apotheke. Vor anderthalb Jahren übernahm sie Jan-Philipp Cors, ein 36-jähriger Pharmazeut. Er würde es heute noch einmal tun, sagt er: „Die Kunden auf dem Land sind treu, die Mietpreise attraktiver, man kann seine Patienten besser beraten, weil man sie lange kennt.“Doch der Apothekerbranche fehlen zunehmend Menschen wie Cors: junge Apotheker, die ein Geschäft gerne übernehmen.
Deutschlandweit geht die Zahl der Apotheken seit Jahren zurück. Im Jahr 2008 gab es bundesweit noch 21.600 Betriebe, danach ging es bergab. Im ersten Halbjahr 2021 waren es schon rund 3000 weniger. Auch im Land Nordrhein-Westfalen spürt die Branche den Trend deutlich. Im bevölkerungsreichsten Bundesland gibt es nach Angaben der zuständigen Apothekerkammern insgesamt 757 Apotheken weniger als vor zehn Jahren, prozentual beträgt der Rückgang etwa 16 Prozent. Rund 3900 Betriebe gibt es damit aktuell.
Woran liegt das? „Der Kostendruck hat sich erhöht“, sagt Stefan Derix, Geschäftsführer Apothekerkammer Nordrhein. „Apotheker werden preisunabhängig anhand einer Pauschale vergütet – das ist auch gut so. Denn sie sollen ja an der Versorgung der Patienten verdienen und nicht an dem Preis der Packung“, sagt Derix. Allerdings halte diese Pauschale nicht mit den steigenden Kosten für Lebenshaltung, Personal oder Strom mit: „Das ist eine einfache betriebswirtschaftliche Rechnung. Die Kostenseite steigt, und auf der Einnahmeseite wird weniger erzielt.“Die Apotheke als Goldesel sei ein altes Klischee, sagt der Branchenvertreter: „Die Apotheke ist kein Selbstläufer mehr.“
Jan-Philipp Cors hat sich die Übernahme der einzigen Apotheke in Blankenheim deshalb genau überlegt. „Die Apotheke war schon bekannt und technisch gut ausgerüstet“, sagt er. Einen Botendienst gab es schon dort, bis heute fahren täglich mehrere Mitarbeiter mit vier Autos Medikamente zu Kunden in Blankenheim und umliegenden Orten.
Der Anspruch sei, am gleichen Tag zu liefern. Wenn ein Patient beispielsweise etwas im Auge habe und dringend Tropfen brauche, dann seien sie in einer bis zwei Stunden bei ihm, sagt Cors: „Da kommt so schnell sonst keiner an diesen Ort. Vielleicht schafft das Amazon in Köln oder München, aber nicht in der Eifel.“
Der Kauf von Medikamenten im Internet ist für die Pharmazeuten ein Reizthema. Auch Cors warnt davor. „Wenn man sich einfach Schlafmittel und Schmerztabletten in den Warenkorb legen kann, ein paar Haken dransetzt und dann der Postbote kommt: Das finde ich nicht ohne.“Auch der Geschäftsführer der Apothekerkammer
spricht von einem Gefährdungspotenzial des OnlineHandels. Doch wirtschaftlich sei die Auswirkung auf die Branche derzeit noch überschaubar, sagt Derix. Das Kerngeschäft der Apotheken, die verschreibungspflichtigen Medikamente, ist nicht von der Entwicklung betroffen. Am Verschwinden der Apotheken ist der Internetriese Amazon also nicht schuld.
Auch die Kluft zwischen Stadt und Land sei im Land NordrheinWestfalen kein großer Faktor, sagt Derix: „Über die gesamte Versorgungslandschaft gehen die Betriebe verloren.“Auf dem Land seien die Standorte sehr attraktiv, möglicherweise gar besser als in der Stadt.
Niedrigere Mieten, weniger Konkurrenz, eine bessere Bindung zu den Kunden – das alles spricht für Apotheken wie die in Blankenheim. Doch auf dem Land fällt das Verschwinden eher auf. Wenn in Düsseldorf eine Apotheke zumacht, ist die nächste im Zweifel nicht weit. Schließt der Betrieb in Blankenheim, müssen die 8000 Einwohner in die nächste Stadt mit einer Apotheke fahren.
Es gibt laut Derix auch ein gesellschaftliches Phänomen, das zum Verschwinden der Apotheken beiträgt. Für viele der Nachfolgergeneration ist Arbeit nicht das Wichtigste im Leben, die Freizeit gewinnt an Bedeutung. „Stichwort Work-Life-Balance“, sagt er. Viele Leute seien nicht mehr bereit, alleine eine Apotheke oder eine Arztpraxis zu übernehmen.
Würde Cors das heutzutage denn noch empfehlen? „Da muss schon das Gesamtpaket stimmen: mit der Familie, der Region, den Menschen dort“, sagt er. Wenn das gegeben sei, könne man auf dem Land sehr viele attraktive Apotheken finden: „Aber wer unbedingt in der Stadt bleiben will, den kann man auch mit der schönsten Apotheke nicht überzeugen.“