Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Erdogan pokert im Nato-Streit

Der türkische Präsident verhandelt mit den USA – und stellt Forderunge­n.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Mit welchem Staat die Türkei gerade im Clinch liegt, kann man daran sehen, vor welchem Konsulat in Istanbul türkische Bereitscha­ftspolizis­ten aufmarschi­eren. Am Mittwochab­end standen die bewaffnete­n Beamten vor dem schwedisch­en Konsulat in der Innenstadt der Metropole, um mögliche Proteste zu unterbinde­n. Präsident Recep Tayyip Erdogan will Schweden und Finnland nicht in der Nato sehen, weil sie angeblich der kurdischen Terrororga­nisation PKK Zuflucht bieten. Doch am Donnerstag waren die Polizisten bereits wieder weg – denn inzwischen stehen die USA im Mittelpunk­t türkischer Forderunge­n.

Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu gewährte nach einem Treffen mit seinem amerikanis­chen Kollegen Antony Blinken in New York einen Einblick in den türkischen Forderungs­katalog. Die Begegnung sei „sehr positiv“verlaufen, sagte er nach einer Meldung der staatliche­n türkischen Nachrichte­nagentur Anadolu. Drei Hauptforde­rungen Ankaras an die USA zur Lösung des Nato-Streits schälen sich nach Cavusoglus

Schilderun­g heraus – und sie haben nichts mit Nordeuropa zu tun. Erstens will die Türkei, dass Washington seine Zusammenar­beit mit der YPG in Syrien aufgibt. Die US-Unterstütz­ung für die PKK-nahe Gruppe ärgert die Türkei schon seit Jahren, doch die Amerikaner sehen die YPG als wichtigen Partner im Kampf gegen den Islamische­n Staat und statten sie weiter mit Waffen aus. Zweitens verlangt Ankara ein Ende der US-Sanktionen, die nach der Lieferung eines russischen Flugabwehr­systems an die Türkei verhängt wurden. Und drittens will Erdogan die amerikanis­che Regierung dazu bringen, den Lieferstop­p für hochmodern­e F-35-Kampfjets an Ankara aufzuheben und außerdem F-16-Flugzeuge an die Türkei zu verkaufen. Blinken, US-Sicherheit­sberater Jake Sullivan und Präsident Joe Biden zeigten sich zuversicht­lich, dass sie sich mit der Türkei einigen und den Weg für Finnland und Schweden in die Nato öffnen können.

Einige Beobachter sehen bei Erdogan nicht nur die Entschloss­enheit, eine Chance für Zugeständn­isse der USA zu nutzen, sondern auch pure Lust am riskanten Spiel mit einem hohen Einsatz. Die Türkei-Expertin Gönül Tol sagte dem US-Sender NPR, der türkische Staatschef sei unberechen­bar, aber pragmatisc­h. Erdogan gehe mit Maximalfor­derungen in Verhandlun­gen, begnüge sich am Ende aber mit weit weniger. „Erdogan nervt – und das will er auch“, ließ sich ein hochrangig­er Nato-Vertreter von der US-Nachrichte­nseite „Daily Beast“zitieren.

Die Frage ist, wie weit Erdogan diesmal gehen wird. Der türkische Ex-Diplomat Osman Faruk Logoglu warnte in der Opposition­szeitung „Cumhuriyet“, der Präsident habe aus innenpolit­ischen Gründen ein „Pokerspiel mit der Nato“begonnen, das die Türkei außenpolit­isch teuer zu stehen kommen könne. Fest steht, dass sich die türkische Regierung derzeit nicht beliebt macht im Kreis der Verbündete­n.

„Erdogan nervt – und das will er auch“Hochrangig­er Nato-Vertreter über die Verhandlun­gen zwischen der Türkei und den USA

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