Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die neue soziale Frage
Der Ukraine-Krieg und die Sorge vor einem Lieferstopp treiben die Energiepreise in die Höhe. Bürger merken es beim Tanken, Hauseigentümer beim Kauf von Gas und Öl. Bei Mietern ist der Preisschock oft noch nicht angekommen. Wegen der verzögerten Abrechnung wird das böse Erwachen erst 2023 kommen. Mieter und Vermieter sollten sich schon jetzt auf höhere Vorauszahlungen einigen. Das eigentliche Problem aber liegt tiefer: Erst heizten Landflucht und Nullzinsen Immobilienpreise und Mieten in den Städten an, nun ziehen die Energiekosten nach. Daran wird sich nichts ändern: Die Verteuerung der Energie ist politisch gewollt, der Krieg beschleunigt die Entwicklung nur. Wohnen wird zur neuen sozialen Frage. Zu Beginn der Industrialisierung bestand die soziale Frage im Kampf zwischen Arbeit und Kapital, in den 1970er-Jahren mit ihrer Massenarbeitslosigkeit entschied sie sich daran, ob man Insider und im Job war oder Outsider und arbeitslos. Heute herrscht dagegen Fachkräftemangel, heute entscheidet sich die soziale Frage danach, welches Wohnen man sich noch leisten kann. Damit daraus kein Sprengstoff für die Gesellschaft wird, muss der Staat handeln. Drei Dinge verbieten sich dabei: die Abschaffung der CO2-Abgabe (sie soll ja gerade zum Energiesparen anregen), eine Renaissance des besinnungslosen sozialen Wohnungsbaus und teure Einmalaktionen wie Tankrabatte. Drei langfristige Dinge sind nötig: gezielte Hilfe für Bedürftige – etwa durch einen dauerhaften Heizkostenzuschuss; verlässliche Anreize zur Sanierung – das wiederholte rasche Leerlaufen der KfW-Töpfe ist ein Ärgernis; eine Teilung der CO2-Kosten zwischen Mietern und Vermietern. Das komplizierte Zehn-Stufen-Modell, das Klara Geywitz (SPD) hierzu vorgelegt hat, lässt fürchten, dass die neue soziale Frage bei der blassen Bundesbauministerin in schlechten Händen ist.