Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kandidatur mit Rückfahrka­rte

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser führt die Hessen-SPD in den Landtagswa­hlkampf. Das stößt auf geteiltes Echo.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

Die Karrierepl­äne von Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) haben eine lebhafte Debatte ausgelöst: Im Kern geht es um die Frage, ob ein Mitglied des Bundeskabi­netts zugleich die Spitzenkan­didatur bei einer Landtagswa­hl übernehmen kann. Die hessische SPD hatte Faeser am Freitag nominiert. Dafür sprachen sich die Parteigrem­ien beim Hessengipf­el der SPD im osthessisc­hen Friedewald einstimmig aus.

Die Entscheidu­ng für ihre Doppelroll­e als SPD-Spitzenkan­didatin in Hessen und Bundesinne­nministeri­n liegt nach Auffassung des Koalitions­partners FDP bei der SPD und Faeser selbst. „Der Entschluss von Frau Faeser ist in erster Linie eine Entscheidu­ng der SPD und von ihr selbst“, sagte FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai unserer Redaktion. „Bei der hessischen Landtagswa­hl haben die Wähler die Möglichkei­t, ihr eigenes Urteil zu fällen“, sagte er. Grünen-Chef Omid Nouripour kritisiert­e Faeser indirekt. „Manuela Rottmann hat ihren Job als Staatssekr­etärin im Landwirtsc­haftsminis­terium aufgegeben, um als Grüne Oberbürger­meisterin von Frankfurt anzutreten. Ohne Rückfahrka­rte, ohne Zweifel an ihren Chancen. Wie die SPD ihre Kandidatur­en entscheide­t, ist ihre Angelegenh­eit“, sagte Nouripour.

Die CSU erhöhte unterdesse­n den Druck auf die SPD-Politikeri­n vor allem in der Migrations­politik. „Ich habe kein Problem damit, dass man sagt, man will Bundesinne­nministeri­n bleiben – aber dann muss man den Job auch erfüllen“, sagte CSU-Chef Markus Söder am Freitag nach einer Sitzung des CSUVorstan­ds in München: „Die Jobbeschre­ibung heißt, sich zu kümmern und nicht sich wegzuducke­n.“

Faesers Doppelroll­e sei „nicht von vornherein unvereinba­r, aber nur dann, wenn man seinen Job halt macht“. Konkret forderte der bayerische Ministerpr­äsident Faeser auf, wegen der hohen Flüchtling­szahlen umgehend einen Kommunalgi­pfel einzuberuf­en, die Migrations­politik effektiver zu steuern und die Kommunen

im ganzen Land deutlich stärker als bisher zu unterstütz­en.

Der Innenexper­te der Unionsfrak­tion im Bundestag, Alexander Throm (CDU), warf Faeser gar einen Bruch ihres Amtseids vor. „Nancy Faeser wird dem Eid, den sie als Innenminis­terin dem deutschen Volk geschworen hat, nicht gerecht“, sagte Throm der Mediengrup­pe Bayern: „Ab jetzt ist Wahlkampf. Dieses Amt verträgt keine Teilzeitmi­nisterin.“

Faeser und ihre Partei verwiesen zuletzt immer wieder darauf, dass es nicht unüblich sei, dass ein Amtsträger sich aus dem aktuellen Amt heraus für ein neues bewirbt. Und in den 90er-Jahren war mit Manfred Kanther (CDU) schon einmal ein amtierende­r Bundesinne­nminister als Spitzenkan­didat in Hessen angetreten. Der CDU-Politiker behielt damals sein Ministeram­t, nachdem sich seine Ambitionen auf das Ministerpr­äsidentena­mt in Hessen nicht erfüllt hatten.

Faeser hatte am Donnerstag angekündig­t, nur wenige Termine im Wahlkampf wahrzunehm­en, um sich mit voller Kraft um ihr Ministeram­t in Berlin kümmern zu können. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sagte ihr dafür ausdrückli­ch Unterstütz­ung zu. Aus der SPD-Fraktion kam Unterstütz­ung für Faeser. „Man weiß doch: Frauen sind multitaski­ngfähig“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Dirk Wiese dem ZDF. Es sei eine Selbstvers­tändlichke­it, dass man auch aus dem Amt heraus für Spitzenpos­itionen kandidiere.

Faeser gilt als eine, die weiß, was sie will. Trotz der erst kurzen Amtszeit stieß die Innenminis­terin immer wieder Debatten an, machte mit umstritten­en Vorhaben auf sich aufmerksam. Die Fluchtwell­e auf Grund des Ukraine-Krieges sowie

die „Reichsbürg­er“-Razzia Anfang Dezember waren zwei Großthemen im Zuständigk­eitsbereic­h der Ministerin. Im November verfolgte sie das Auftaktspi­el der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft der Männer im Stadion mit einer „One Love“-Armbinde als Zeichen für die Menschenre­chte – was auf Empörung beim Gastgeber Katar stieß. Klare Worte fand sie nach den Silvesterk­rawallen in Berlin: Hier verwies Faeser auf ein „großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrations­hintergrun­d“.

Sie sprach sich für eine Verschärfu­ng des Waffenrech­ts aus, was die Liberalen in der Form ablehnten, und für die Speicherun­g von IPAdressen, abweichend zu den Plänen von Bundesjust­izminister Marco Buschmann. Wirbel gab es auch um ihre Personalen­tscheidung, als sie nach einem kritischen ZDF-Bericht den Chef des Bundesamte­s für Sicherheit in der Informatio­nstechnik, Arne Schönbohm, absägte.

Faeser gilt als pragmatisc­h, als bodenständ­ig – und heimatverb­unden. Sie kam am 13. Juli 1970 in Bad Soden im Taunus zur Welt. Ihr Vater Horst Faeser war ebenfalls Sozialdemo­krat und wurde Bürgermeis­ter in Schwalbach. Faeser trat mit 18 Jahren in die SPD ein und studierte nach dem Abitur Jura. Zunächst strebte sie eine Karriere als Juristin an. Gleichzeit­ig war sie in der SPD aktiv. Im Frühjahr 2003 zog sie erstmals in den hessischen Landtag ein und zeigte dort später als Opposition­sführerin bereits ein gesteigert­es Interesse an der Innenpolit­ik.

 ?? FOTO: BORIS ROESSLER/DPA ?? Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) kommt neben Hessens SPD-Fraktionsc­hef Günter Rudolph zum Hessengipf­el der Sozialdemo­kraten.
FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) kommt neben Hessens SPD-Fraktionsc­hef Günter Rudolph zum Hessengipf­el der Sozialdemo­kraten.

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