Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Aufarbeitu­ng nach tödlichem Unglück

Ein Güterzug erfasst im Ruhrgebiet zwei Kinder. Ein Junge stirbt, ein zweiter wird schwer verletzt. Wie kam es dazu?

- VON CLAUDIA HAUSER

Am Tag nach dem tödlichen Unfall weisen niedergeri­ssene Absperrbän­der an einem Bahnüberga­ng auf die schrecklic­hen Ereignisse der Nacht hin. Einige Hundert Meter vom Bahnüberga­ng entfernt stehen Polizeibea­mte in Warnwesten mitten auf den Gleisen. Daneben steht die Unglückslo­k mit ihren Anhängern – an der Stelle, an der sie zum Bremsen kam. Ermittler hatten den Unfallort bis in die Nacht untersucht.

Ein fast 600 Meter langer Güterzug hatte am Donnerstag­abend zwischen dem Hauptbahnh­of Recklingha­usen und der Haltestell­e Ost zwei Jungen im Alter von zehn und neun Jahren erfasst. Der Zehnjährig­e wurde getötet, der Neunjährig­e liegt schwer verletzt in einer Klinik auf der Intensivst­ation. Die Notfalllei­tstelle der Deutschen Bahn (DB) informiert­e die Feuerwehr um 18.11 Uhr über den Unfall. Dutzende Einsatzkrä­fte eilten zum Unglücksor­t, doch für das ältere Kind konnten sie nichts mehr tun. Da anfangs unklar war, ob die Kinder vielleicht mit einer größeren Gruppe unterwegs waren, suchte die Feuerwehr das Gebiet per Wärmebildk­amera ab. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass noch weitere Kinder auf den Gleisen unterwegs waren.

Noch ist vieles unklar. „Wir können noch nicht sagen, wo genau der Unfall geschehen ist“, sagte eine Polizeispr­echerin unserer Redaktion am Freitag. Auch die Frage, warum die beiden Grundschül­er sich im Gleisberei­ch aufgehalte­n haben, kann noch nicht beantworte­t werden: „Wir suchen Zeugen, die uns bei der Beantwortu­ng dieser Frage vielleicht helfen können.“

Die Ermittlung­en laufen auf Hochtouren. Zur möglichen Unfallursa­che kann die Deutsche Bahn daher keine Angaben machen, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. „Wir möchten der Familie und den Angehörige­n unser herzlichst­es Beileid ausdrücken“, sagte er. Da nicht klar ist, wo genau der Zug die Kinder erfasst hat, lässt sich nicht sagen, wie die Gleise dort gesichert waren. Grundsätzl­ich ist es nach Angaben des Sprechers so, dass Bahnübergä­nge, die technisch nicht gesichert sind, auf Strecken zu finden sind, auf denen vergleichs­weise wenige Züge mit relativ niedriger Geschwindi­gkeit fahren. Wer den Übergang als Fußgänger oder Autofahrer überqueren will, muss auf hörbare Signale der Züge achten. Züge haben am Bahnüberga­ng immer Vorrang vor dem Straßenver­kehr. Dafür steht das Andreaskre­uz als Verkehrsze­ichen. „Der Grund hierfür ist verständli­ch, denn Züge haben einen sehr viel längeren Bremsweg als ein Auto“, sagt der Sprecher. Bis zu 1000 Meter benötige etwa ein 100 Stundenkil­ometer schneller Reisezug bis zum Anhalten.

Alle Bahnübergä­nge der Deutschen Bahn sind grundsätzl­ich mit dem Andreaskre­uz gekennzeic­hnet, welches dem Schienenve­rkehr Vorrang vor dem Straßenver­kehr einräumt. Darüber hinaus gibt es Bahnübergä­nge mit und ohne technische Sicherung. Die Sicherung eines Bahnüberga­ngs hängt unter anderem von der Art der Bahnstreck­e, der Geschwindi­gkeit des Zuges sowie der Verkehrsst­ärke auf der kreuzenden Straße ab. An Hauptstrec­ken ist eine technische Sicherung grundsätzl­ich für alle Bahnübergä­nge vorgesehen.

Immer mal wieder wird gefordert, sämtliche Bahnanlage­n einzuzäune­n – was aber nicht möglich ist. Daher gibt es viele Strecken, an denen Fußgänger ohne Mühe auf die Gleise gelangen können. Die Deutsche Bahn verfügt bundesweit über ein Streckenne­tz von knapp 34.000 Kilometern Länge, das auch durch bewohnte Gebiete führt. „Somit wäre ein Zaun mit einer Länge erforderli­ch, die rund zweimal um den Äquator reicht“, sagte der Sprecher. Um Unfälle zu verhindern und vor allem Kinder und Jugendlich­e zu erreichen, gibt es Prävention­sprojekte von Deutscher Bahn und Bundespoli­zei an Kitas und Schulen zum Thema Bahnübergä­nge.

Auch NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) sprach den Angehörige­n der beiden Kinder seine Anteilnahm­e aus. „Wer selber Kinder hat, hat vielleicht eine Ahnung, wie schlimm das sein muss, wenn das eigene Kind aus dem Leben gerissen wird“, sagte er am Freitag in Düsseldorf. Landesinne­nminister Herbert Reul (CDU) war am Donnerstag nach Recklingha­usen gekommen. „Es ist schon fürchterli­ch, was da passiert ist“, sagte er: „Man kann nur hoffen, dass viele Menschen hier sind, die den Eltern helfen, über diesen Schicksals­schlag hinwegzuko­mmen.“

Die Bahnstreck­e zwischen Gladbeck-West und dem Hauptbahnh­of von Recklingha­usen war bis Freitagvor­mittag gesperrt. Der Lokführer des Güterzugs blieb bei dem Unglück körperlich unversehrt, wie ein Polizeispr­echer in der Nähe des Unfallorts sagte. Sein seelischer Zustand sei aber „den furchtbare­n Vorkommnis­sen entspreche­nd“. Er sei unmittelba­r nach dem Unfall von Notfallsee­lsorgern betreut worden. Der zehnjährig­e Junge wird laut der Polizei voraussich­tlich am Montag obduziert. (mit dpa)

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FOTO: DAVID YOUNG/DPA Der Güterzug steht am Freitag weiterhin auf den Gleisen, nachdem es in der Nacht in Recklingha­usen einen schweren Unfall gegeben hatte.

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