Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Aufarbeitung nach tödlichem Unglück
Ein Güterzug erfasst im Ruhrgebiet zwei Kinder. Ein Junge stirbt, ein zweiter wird schwer verletzt. Wie kam es dazu?
Am Tag nach dem tödlichen Unfall weisen niedergerissene Absperrbänder an einem Bahnübergang auf die schrecklichen Ereignisse der Nacht hin. Einige Hundert Meter vom Bahnübergang entfernt stehen Polizeibeamte in Warnwesten mitten auf den Gleisen. Daneben steht die Unglückslok mit ihren Anhängern – an der Stelle, an der sie zum Bremsen kam. Ermittler hatten den Unfallort bis in die Nacht untersucht.
Ein fast 600 Meter langer Güterzug hatte am Donnerstagabend zwischen dem Hauptbahnhof Recklinghausen und der Haltestelle Ost zwei Jungen im Alter von zehn und neun Jahren erfasst. Der Zehnjährige wurde getötet, der Neunjährige liegt schwer verletzt in einer Klinik auf der Intensivstation. Die Notfallleitstelle der Deutschen Bahn (DB) informierte die Feuerwehr um 18.11 Uhr über den Unfall. Dutzende Einsatzkräfte eilten zum Unglücksort, doch für das ältere Kind konnten sie nichts mehr tun. Da anfangs unklar war, ob die Kinder vielleicht mit einer größeren Gruppe unterwegs waren, suchte die Feuerwehr das Gebiet per Wärmebildkamera ab. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass noch weitere Kinder auf den Gleisen unterwegs waren.
Noch ist vieles unklar. „Wir können noch nicht sagen, wo genau der Unfall geschehen ist“, sagte eine Polizeisprecherin unserer Redaktion am Freitag. Auch die Frage, warum die beiden Grundschüler sich im Gleisbereich aufgehalten haben, kann noch nicht beantwortet werden: „Wir suchen Zeugen, die uns bei der Beantwortung dieser Frage vielleicht helfen können.“
Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Zur möglichen Unfallursache kann die Deutsche Bahn daher keine Angaben machen, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. „Wir möchten der Familie und den Angehörigen unser herzlichstes Beileid ausdrücken“, sagte er. Da nicht klar ist, wo genau der Zug die Kinder erfasst hat, lässt sich nicht sagen, wie die Gleise dort gesichert waren. Grundsätzlich ist es nach Angaben des Sprechers so, dass Bahnübergänge, die technisch nicht gesichert sind, auf Strecken zu finden sind, auf denen vergleichsweise wenige Züge mit relativ niedriger Geschwindigkeit fahren. Wer den Übergang als Fußgänger oder Autofahrer überqueren will, muss auf hörbare Signale der Züge achten. Züge haben am Bahnübergang immer Vorrang vor dem Straßenverkehr. Dafür steht das Andreaskreuz als Verkehrszeichen. „Der Grund hierfür ist verständlich, denn Züge haben einen sehr viel längeren Bremsweg als ein Auto“, sagt der Sprecher. Bis zu 1000 Meter benötige etwa ein 100 Stundenkilometer schneller Reisezug bis zum Anhalten.
Alle Bahnübergänge der Deutschen Bahn sind grundsätzlich mit dem Andreaskreuz gekennzeichnet, welches dem Schienenverkehr Vorrang vor dem Straßenverkehr einräumt. Darüber hinaus gibt es Bahnübergänge mit und ohne technische Sicherung. Die Sicherung eines Bahnübergangs hängt unter anderem von der Art der Bahnstrecke, der Geschwindigkeit des Zuges sowie der Verkehrsstärke auf der kreuzenden Straße ab. An Hauptstrecken ist eine technische Sicherung grundsätzlich für alle Bahnübergänge vorgesehen.
Immer mal wieder wird gefordert, sämtliche Bahnanlagen einzuzäunen – was aber nicht möglich ist. Daher gibt es viele Strecken, an denen Fußgänger ohne Mühe auf die Gleise gelangen können. Die Deutsche Bahn verfügt bundesweit über ein Streckennetz von knapp 34.000 Kilometern Länge, das auch durch bewohnte Gebiete führt. „Somit wäre ein Zaun mit einer Länge erforderlich, die rund zweimal um den Äquator reicht“, sagte der Sprecher. Um Unfälle zu verhindern und vor allem Kinder und Jugendliche zu erreichen, gibt es Präventionsprojekte von Deutscher Bahn und Bundespolizei an Kitas und Schulen zum Thema Bahnübergänge.
Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach den Angehörigen der beiden Kinder seine Anteilnahme aus. „Wer selber Kinder hat, hat vielleicht eine Ahnung, wie schlimm das sein muss, wenn das eigene Kind aus dem Leben gerissen wird“, sagte er am Freitag in Düsseldorf. Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) war am Donnerstag nach Recklinghausen gekommen. „Es ist schon fürchterlich, was da passiert ist“, sagte er: „Man kann nur hoffen, dass viele Menschen hier sind, die den Eltern helfen, über diesen Schicksalsschlag hinwegzukommen.“
Die Bahnstrecke zwischen Gladbeck-West und dem Hauptbahnhof von Recklinghausen war bis Freitagvormittag gesperrt. Der Lokführer des Güterzugs blieb bei dem Unglück körperlich unversehrt, wie ein Polizeisprecher in der Nähe des Unfallorts sagte. Sein seelischer Zustand sei aber „den furchtbaren Vorkommnissen entsprechend“. Er sei unmittelbar nach dem Unfall von Notfallseelsorgern betreut worden. Der zehnjährige Junge wird laut der Polizei voraussichtlich am Montag obduziert. (mit dpa)