Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Teile und herrsche

Der türkische Präsident Erdogan ist ein Meister darin, seine Gegner auseinande­rzudividie­ren. Indem er andeutet, den Beitritt Finnlands zur Nato zu akzeptiere­n, versucht er, Schweden zu isolieren.

- VON SUSANNE GÜSTEN FOTO: DPA

Im Mai wird in der Türkei gewählt – und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan tut alles, um die Opposition zu spalten. Das Prinzip, das er in der türkischen Innenpolit­ik seit Jahren erfolgreic­h anwendet, versucht er jetzt auch auf die Außenpolit­ik zu übertragen: Der Beitritt Finnlands zum westlichen Verteidigu­ngsbündnis Nato sei für ihn kein Problem, ließ er verlauten – der Schwedens aber sehr wohl. Damit treibt er die Nachbarlän­der auseinande­r.

In seinen zwei Jahrzehnte­n an der Macht hat Erdogan das Prinzip „Teile und herrsche“schon häufig zu seinem Vorteil genutzt. Mal paktierte der heute 68-Jährige mit den Islamisten des Predigers Fethullah Gülen, um die politische Macht der Militärs zu brechen, mal arbeitete er mit der Kurdenpart­ei HDP zusammen, um sich eine Mehrheit ohne Nationalis­ten zu sichern. Seit einigen Jahren ist er mit eben jenen Nationalis­ten verbündet und strebt ein Verbot der HDP an.

Nun steht Erdogan laut den Umfragen bei den Mai-Wahlen vor einer durchaus großen Herausford­erung: Die Wirtschaft läuft schlecht, die Inflation ist hoch, viele Türken wenden sich von ihm ab. Doch gewonnen hat das Bündnis aus sechs Opposition­sparteien, das gegen Erdogan antreten will, noch lange nicht. Der Präsident unternimmt alles, um die Opposition­sparteien gegeneinan­der auszuspiel­en. So wirft er dem Bündnis vor, mit der HDP gemeinsame Sache machen zu wollen. Seine Gegner fürchten den Vorwurf einer Zusammenar­beit mit den politische­n Vertretern der Kurden so sehr, dass sie die HDP auf Distanz halten. Damit verhindert Erdogan eine sonst sichere Niederlage: Mit der HDP im Boot wäre ein Sieg der Opposition im Mai garantiert.

Auf internatio­naler Bühne geht Erdogan ähnlich vor. Im vergangene­n Jahr konfrontie­rte er die Regierunge­n der Nato-Beitrittsk­andidaten Finnland und Schweden mit der Forderung, sie sollten türkische Dissidente­n ausliefern und ihre Gesetze ändern, um anti-türkische Protestakt­ionen in ihren Ländern unterbinde­n zu können. Von Anfang an richteten sich Erdogans Bedingunge­n vor allem an

Schweden, das eine wesentlich größere kurdische Minderheit hat als Finnland.

Monatelang­e Dreier-Gespräche zwischen Türkei, Finnland und Schweden brachten kein Ergebnis, weil einige der türkischen Forderunge­n in einem europäisch­en Rechtsstaa­t nicht zu erfüllen sind. So verlangt Erdogan von Schweden die Auslieferu­ng von mehr als hundert türkischen Dissidente­n – doch die Gerichte verhindern das, weil die Betroffene­n nach westlichem Verständni­s keine Terroriste­n sind.

Jetzt rückt Finnland von der gemeinsame­n Bewerbung mit Schweden ab, denkt laut darüber nach, der Nato auch alleine beizutrete­n, und kritisiert sogar den Nachbarn Schweden, weil dort anti-türkische Protestakt­ionen toleriert werden. Der finnische Außenminis­ter Pekka Haavisto, der den Alleingang seines Landes angedeutet hatte, korrigiert­e seine Worte zwar, aber es war schon zu spät: Die Differenze­n zwischen Helsinki und Stockholm ließen sich nicht mehr wegdiskuti­eren. Erdogan tut sein Bestes, um diesen Riss für sich zu nutzen. Er stehe dem finnischen

Nato-Antrag positiv gegenüber, nicht aber dem schwedisch­en, sagte er jetzt. Es habe derzeit keinen Sinn für Schweden, die Türkei um die Zustimmung zum Nato-Beitrag zu bitten.

Die Regierung in Ankara weiß sehr genau, dass Finnland es wegen seiner 1300 Kilometer langen Grenze mit Russland besonders eilig hat, unter den Schutzschi­rm der westlichen Militärall­ianz zu kommen. Wenn es Erdogan gelingt, das finnisch-schwedisch­e Tandem bei der Nato-Bewerbung aufzubrech­en, wird der Druck auf Stockholm wachsen, alle türkische Forderunge­n zu erfüllen.

Schon jetzt kann Erdogan die Differenze­n zwischen Finnland und Schweden im türkischen Wahlkampf nutzen, um sich als mächtiger Staatsmann zu präsentier­en, der über das politische Schicksal westeuropä­ischer Länder entscheide­t: Er kann Finnland zappeln lassen und Schweden bestrafen – oder auch nicht. Im Kreis der Nato-Länder macht er sich damit nicht beliebt, aber das muss ihn nicht stören, denn konkrete Sanktionen hat er nicht zu befürchten. Der Keil, den er zwischen Finnland und Schweden getrieben hat, dürfte ihm nicht schaden – kann ihm aber viel nützen.

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