Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
NRW-Ministerin verärgert Hausbesitzer
Durch den Wegfall einer Frist erhalten die Kommunen wieder mehr zeitlichen Spielraum, Erschließungsbeiträge von den Eigentümern zu verlangen. Der Branchenverband und die Opposition halten das Vorgehen für falsch.
Eine geplante Gesetzesänderung zu den Erschließungsbeiträgen in NRW sorgt für Ärger. Die Beiträge werden von den Kommunen bei der erstmaligen Herstellung einer Straße erhoben. Sie sind zu 90 Prozent von den Anwohnern zu tragen und summieren sich laut Branchenexperten üblicherweise auf 10.000 bis 20.000 Euro, sind aber nach oben nicht begrenzt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2021 verlangt, dass diese Beiträge nicht auf unbestimmte Zeit zurückgefordert werden dürfen (Az.: 1 BvL 1/19). Das Land NRW hatte im April 2022 mit einer Änderung des Ausführungsgesetzes zum Baugesetzbuch reagiert. Seit dem vergangenen Juni gelten in NRW Fristen für Kommunen. Dabei zeigte sich die Landesregierung zunächst bürgerfreundlich: Die Kommunen haben zehn Jahre nach „Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage“, also der
Fertigstellung der Straße, Zeit, um die Beiträge einzutreiben. Für Altfälle gilt eine Regelung von 20 Jahren.
Hinzu kam aber eine Besonderheit: Weil der Zeitpunkt, ab dem die Straße endgültig fertiggestellt ist, durchaus strittig sein kann, fordern Eigentümerverbände schon länger, dass es eine Frist ab dem Baubeginn geben solle. Dem kam die Landesregierung nach und legte fest, dass Erschließungsbeiträge nur noch maximal 25 Jahre nach Baubeginn verlangt werden können.
Kaum ein halbes Jahr später will das Land die Praxis nun erneut ändern, die Frist ab Baubeginn wird genauso gekippt wie die strengen zehn Jahre ab Fertigstellung, es bleiben lediglich die 20 Jahre. Die kommunalen Spitzenverbände hatten zuvor massive Bedenken geäußert.
Jan Koch, Politik-Referent beim Verband Wohneigentum NRW, sagte unserer Redaktion: „Der Baubeginn ist ein für den Bürger transparenter, nachvollziehbarer und klar abzugrenzender Zeitpunkt.“Der „Eintritt der Vorteilslage“sei das nicht. „Wenn es eine Kommune in 25 Jahren nicht schafft, eine Straße fertigzustellen und die anfallenden Gebühren abzurechnen, ist sie selbst schuld“, sagt er: „Wir reden hier über einen Zeitraum, in dem üblicherweise eine gekaufte Immobilie abgezahlt wird und in dem auch nicht selten Eigentümerwechsel stattfinden.“ Die Landesregierung mache nun die Rolle rückwärts. „Ihr neuer Vorschlag ist für die Bürger eine Minimallösung, für die Kommunen ist es das Maximum.“
Ein Sprecher von Kommunalund Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) erklärte auf Anfrage, bei der im Juni in Kraft getretenen Regelung habe es sich im Wesentlichen um eine auf Erschließungsbeiträge beschränkte und deshalb unvollständige Reaktion auf das Urteil gehandelt. Mit der künftigen Regelung im Kommunalabgabengesetz seien dann auch unter anderem Kanalanschluss- und Straßenbaubeiträge sowie sanierungsrechtliche Ausgleichsbeträge mit abgedeckt. Der Sprecher verwies zudem darauf, dass an der Verfassungsmäßigkeit der 25-Jahres-Frist Zweifel bestünden und verweist auf eine Einschätzung des ehemaligen Bundesrichters Hans-Joachim Driehaus. „Wir begrüßen natürlich, dass die Landesregierung die Fristen auch auf andere kommunale Abgaben ausweiten will. Wenn sie dabei aber die erst im April eingeführten bürgerfreundlichen Fristen wieder einkassiert und sich mit einer kommunalfreundlichen Minimallösung zufriedengibt, ist das ein vergiftetes Geschenk“, sagt Koch.
Justus Moor, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, übte ebenfalls Kritik am Land: „Das hat bei Frau Scharrenbach offenbar Methode. Vor der Wahl hat die CDU den Anliegern noch etwas ganz Anderes versprochen. Nach der Wahl scheint es ihr völlig egal zu sein. Die Vorbereitungen zum Wahlbetrug laufen – wie auch schon bei den Straßenausbaubeiträgen – scheinbar auf Hochtouren.“Dabei räume die Ministerin sogar selbst ein, dass ihr Gesetz verfassungswidrig sein könnte. „Wer so regiert, disqualifiziert sich selbst. Von Glaubwürdigkeit braucht die CDU jedenfalls nicht mehr sprechen“, sagte Moor.