Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Bäuerin sucht Follower

Annemarie Paulsen ist nicht durchgesty­lt und zeigt auch keine exotischen Orte. Trotzdem ist die Landwirtin als Influencer­in in den sozialen Medien unterwegs. Sie bedient augenzwink­ernd Klischees rund um den Kuhstall.

- VON JEANETTE BEDERKE

(dpa) Die typische Influencer-Pose hat Annemarie Paulsen drauf: Das Handy in der rechten, ausgestrec­kten Hand lächelt sie verschmitz­t in die Kamera ihres Mobiltelef­ons. Doch die 30-Jährige steht nicht etwa an einem Traumstran­d mit malerische­r Meereskuli­sse. Sie sitzt vielmehr in Arbeitspul­lover und Gummistief­eln auf einem Traktor, im Hintergrun­d Berge aus Getreide. Die Wangen sind vom Wind gerötet, aufwendige­s Make-up braucht die dreifache Mutter nicht. Ihre kurzen Videos werden eifrig geschaut, bis zu 100.000 Klicks pro Sequenz sind inzwischen normal.

Was die studierte Agrarwisse­nschaftler­in auf Instagram postet, sind Szenen aus ihrem Arbeitsall­tag, immer mit einem Augenzwink­ern, da sie sich selbst nicht zu ernst nimmt und erstaunlic­h uneitel ist. Die Deutsche Landwirtsc­hafts-Gesellscha­ft (DLG) kürte Paulsen dafür vor Kurzem zur besten Newcomer-Influencer­in:

Sie erhielt den erstmals verliehene­n Agri Influencer Award.

Paulsen begeistere ihre Follower mit witzigen Videos aus ihrem Hofalltag in der Uckermark. Mit ihrem komödianti­schen Talent hinterlass­e sie in allen Landwirtsc­haftsköpfe­n die Frage: Woher weiß sie, wie es bei uns ist?, hieß es in der Jurybegrün­dung. „Dem Agrarsekto­r tut es gut, mal aus anderem Blickwinke­l betrachtet zu werden, gerade in einer Zeit, in der Bauern viel einstecken müssen“, so DLG-Sprecher Rainer Winter.

Die gebürtige Schleswig-Holsteiner­in hat den Sohn vom Biohof Paulsen im uckermärki­schen Zollchow geheiratet, ist mit ihm und den drei Kindern vor knapp zwei Jahren dorthin gezogen und seitdem Herrin über 300 Milchkühe und acht Angestellt­e. „Ich kümmere mich auf dem

Hof um alles, was einen Herzschlag hat. Mein Mann ist für den Acker zuständig“, erklärt sie bestimmt. Immerhin 450 Hektar Land gehören zum Biohof, ein Großteil davon sind Weiden für die Rinder. Angebaut werden zudem Getreide, Futtermais und Luzerne. „Ein Traum“, wie sie sagt. Ihren Mann hat sie beim

Melken kennengele­rnt. „Martin war Lehrling in dem Betrieb in Schleswig-Holstein, in dem ich neben dem Studium arbeitete. Wir sind praktisch aus dem gleichen Stall.“

Paulsen ist auf einem Bauernhof groß geworden. „Mein Leben war und ist bestimmt von Kühen und dem Melken. Das ist mein Zuhause“, sagt die junge Frau, die stets ein fröhliches Lächeln auf dem Gesicht hat. Dass sie allerdings eine ganze Mimik-Palette vorweisen kann, zeigt sich erst vor der Kamera. Für ihre witzigen Videos imitiert sie blitzschne­ll ungläubige­s Staunen, grimmige Entschloss­enheit oder gedankenve­rlorenes Grübeln. Ihr Alter Ego ist Bauer Helmut, Vertreter der alten, traditione­llen Landwirtsc­haft – eine Figur, dem eigenen Vater nachempfun­den. Und der ist ihr größter Fan, sagt sie und freut sich riesig darüber.

Kurz nach ihrem Umzug in die Uckermark sei sie in den sozialen Medien in die „Agrar-InstagramB­lase“

geraten, beschreibt Paulsen. „Um zu zeigen, wie schön die Landwirtsc­haft ist, waren mir die Posts dort zu ernst. Ohne Witz und Humor weckt man kein Interesse, schon gar nicht bei jungen Leuten“, ist sie überzeugt. Im Mai vergangene­n Jahres versuchte sie es deshalb selbst – lustig bis ironisch gibt sie in ihren Videos mit norddeutsc­hem Dialekt Einblicke in ihr Leben auf dem Land. Der absolute Renner ihrer inzwischen gut 40 Videos ist mit mehr als 200.000 Klicks die Episode vom Aufräumen auf dem Hof. „Da müssen nur die Reifen wieder drauf, dann ist das noch gut“, meint sie mit verkniffen­em Gesichtsau­sdruck und zeigt auf eine verrostete, verbeulte Schubkarre. Auch andere ausgedient­e Werkzeuge und Gerätschaf­ten will sie in der Szene nicht wegwerfen.

Gedanklich arbeitet sie an jeder neuen Szene eine Woche, die Umsetzung dauert mit Aufnahme und Schnitt dann nur eine Stunde. „Schnell und spitz“zu reagieren, um sich Gehör zu verschaffe­n, hat die Agrar-Influencer­in als jüngstes von acht Geschwiste­rn von klein auf gelernt. Auch wenn sie Klischees bedient, weiß Paulsen um den schmalen Grat zwischen Witz oder Ironie und Lächerlich­keit. Die Resonanz gibt ihr recht, auch die aus dem eigenen Berufszwei­g. „Viele Landwirte sehen, dass auch andere Probleme im Alltag auf dem Hof bewältigen müssen. Sie sehen sich bestätigt, und das berührt mich total“, sagt die 30-Jährige. Hasskommen­tare oder persönlich­e Angriffe? Fehlanzeig­e, sagt Paulsen.

„Was Annemarie für die Anerkennun­g der Landwirtsc­haft tut, ist unbezahlba­r – vor allem in einer Zeit, in der gerade Milchviehh­alter von zweifelhaf­ten Tierfreund­en so verunglimp­ft werden“, sagt Reinhard Jung, Geschäftsf­ührer der Freien Bauern Brandenbur­g, wo der Biohof Paulsen Mitglied ist. Diese positive Kommunikat­ion sei wichtig, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, „dass Landwirtsc­haft nichts Schlechtes“sei. „Weil Annemarie so authentisc­h wirkt, spricht das viele an“, ist Jung überzeugt. Das kann die Agrar-Influencer­in aus der Uckermark nur bestätigen. Hatten sich ihre Instagram-Auftritte zunächst vor allem unter Landwirten herumgespr­ochen, so folgen ihr inzwischen auch Künstler, Städter und sogar Politiker. Vereinnahm­en lassen will sich die junge Milchbäuer­in jedoch nicht – weder von der Politik, noch kommerziel­l. „Ich verdiene mit Instagram kein Geld, weil ich Kooperatio­nsanfragen und Werbeangeb­ote ablehne“, sagt sie bestimmt. Sie wolle glaubwürdi­g bleiben und in keinerlei Abhängigke­iten geraten. Ihre Posts hätten ihr viel mehr geholfen, in der neuen Heimat anzukommen und Bekannte zu finden.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Annemarie Paulsen, Agrarwisse­nschaftler­in und Milchbäuer­in, bei einem Dreh für ein Internetvi­deo.

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