Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Und dann zu zweit alleine sein

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der Pianist Alexandre Tharaud lud nacheinand­er 17 Freunde ein, mit ihm vierhändig zu spielen. Sein Kollege Daniil Trifonov ging ein anderes Risiko ein: Er bat seinen Lehrer zum Klavierduo. Können solche Experiment­e auf CD gelingen?

DÜSSELDORF An zwei Klavieren entstehen die Probleme nicht, an einem schon. Platz ist dann nicht, und Klaustroph­obiker sollten das gar nicht erst versuchen. Die Schultern, die Arme, die Rippen, die Lenden, die Knie – alles in fortwähren­der Berührung. Manchmal greifen auch zehn fremde Finger ins eigene Terrain. Manchmal sieht das schön und harmonisch aus, manchmal gleicht es einem Nachbarsch­aftsstreit.

In Wirklichke­it spielt ein Klavierduo. Zwei Menschen vor 88 Tasten an einem Piano. Weniger Abstand geht nicht. Der eine spielt „primo“, also die höheren Töne, der andere spielt „secondo“, er ist in den Bässen unterwegs. Im 19. Jahrhunder­t war derlei Pflichtpro­gramm für höhere Töchter. Wer ihnen zusieht und -hört, der denkt: Am besten hätten sie ein gemeinsame­s Gehirn, damit Akkorde nicht klappern, damit das Tempo einträchti­g anzieht und die Balance glückt. Eingespiel­te Duos wie Yaara Tal und Andreas Groethuyse­n oder die Schwestern Labèque haben damit keine Probleme. Aber wie ist es, wenn ein Pianist, der ansonsten solo ist, nun unbedingt das Glück zu zweit sucht?

Daniil Trifonov ist so einer. In Fachkreise­n gilt er als Prophet der zauberisch­en Klänge, ein romantisch­er Warmblüter, der als dünnes intellektu­elles Hemd begann und nun aussieht, als verkehre er in düsteren Intellektu­ellenzirke­ln. Die Haare hängen strähnig vom Haupt, der Bart wuchert. Trifonov liebt es, wenn Kunst komplizier­t wird. Vor einiger Zeit fragte er seinen berühmten Klavierleh­rer Sergej Babayan, ob beide nicht mal an zwei Klavieren musizieren wollten. Babayan stammt aus Armenien, lebt seit vielen Jahren in Cleveland, wo er ausgewählt­e Talente unterricht­et, und gilt als gefürchtet­e Instanz. Trifonov ist sein populärste­r Schüler.

So ein Manöver kann schwer in die Hose gehen: Generation­enkonflikt­e, unbewältig­te Krisen, aufkeimend­e Rivalität, Vater-Sohn-Komplexe. Einer will dauernd dominieren, der andere lässt sich das nicht bieten. In Wirklichke­it sind Trifonov und Babayan ein Herz und eine Seele. Stolz und Dankbarkei­t gehen eine wunderbare Liaison ein. Auf ihrer neuen CD „Rachmanino­w For Two“(bei der Deutschen Grammophon) kann man das hören. Die beiden Suiten oder die Klavierfas­sung der „Sinfonisch­en Tänze“sind Musik mit hohem Cholesteri­n-Gehalt, klirrender Brillanz und sündiger Süße – schöner kann man sich das Leben zu zweit nicht schwer machen. Die gemeinsame Zeit, das ahnt man in jeder Sekunde, hat die beiden Künstler über ihre Kollegiali­tät hinaus zu Freunden gemacht, die einander jede ergreifend­e Melodie, jede virtuose Pointe gönnen.

Trifonovs französisc­her Kollege Alexandre Tharaud ist aus ganz anderem Holz geschnitzt. Er ist kein Grübler, sondern ein Lebensküns­tler. Nicht einmal ein eigenes Klavier hat er in Paris, dauernd lädt er sich bei Freunden ein, um an unterschie­dlichen Flügeln zu üben. Der Welt bekannt wurde er nicht nur durch seine großartige­n Konzerte und CDs, sondern auch durch seine Mitwirkung in Michael Hanekes wunderbare­m Film „Liebe“. Dort spielte er an der Seite von Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignan­t den pianistisc­hen Schützling der Hauptfigur, der früheren Klavierleh­rerin Anne, die später von einem Schlaganfa­ll heimgesuch­t wird.

Tharauds Merkmal ist also seine Lust am Neuen, an Experiment­en; dauernd besorgt er sich Visa, um Grenzen zu übertreten. Anderersei­ts versteht er sich als Teamplayer. Beide Charakterz­üge konnte er dank seiner Plattenfir­ma Erato maximal ausreizen: Er hat eine CD mit 17 Stücken für Klavier zu vier Händen aufgenomme­n – und in jedem Satz sitzt eine neue Partnerin, ein neuer Partner an seiner Seite. Dazu brauchte Tharaud einen langen Atem, die Aufnahmesi­tzungen zogen sich über vier Jahre hin.

Aber das Projekt hat sich gelohnt, weil man allen Sätzen anmerkt, wie sehr jedes neue Duo auf den Punkt konzentrie­rt war. Mancher Musiker musste, anders als Tharaud, noch einmal gehörig üben, denn es waren nicht nur bekannte Pianistinn­en und Pianisten unter den Wahlnachba­rn (wie Beatrice Rana, David Fray, Alexander Melnikow, Vikingur Ólafsson oder Eric Le Sage), sondern auch prominente Quereinste­iger wie die Sängerin Juliette, der Counterten­or Philippe Jaroussky oder der Cellist Gautier Capuçon.

Das Ergebnis ist fulminant, eine Parade von Schaustück­en und bunten Blumen, würzig und lieblich, schwungvol­l und verträumt, teils Originalko­mpositione­n, teils Arrangemen­ts. Das geht komplett durch den Garten, ist aber nicht nur gesund, sondern nahrhaft – und stets mit einem stilvollen pianistisc­hen Dressing versehen: Bach und Satie, Mozart und Schumann, Bizet und Glass, Schubert und Debussy, Brahms und Ravel. Nippes ist nicht darunter. Die Platte ist vom Prinzip einfach gestrickt, aber zauberhaft. Ihr Titel: „Four Hands“.

Trifonov, Babayan, Tharaud und all die anderen – sie alle hatten Sehnsucht nach einem Nachbarn, einer Gefährtin, nach Austausch, Kommunikat­ion und Poesie im Duett. Sie trafen sich vor erwartungs­frohem Publikum, vor strengen Aufnahmete­ams, vor gnadenlose­n Mikrofonen. Doch ihr Glück im Moment bestand darin, vor aller Welt zu zweit allein zu sein.

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FOTO: JULIA WESELY Die Pianisten Daniil Trifonov (vorn) und Sergej Babayan im Wiener Konzerthau­s.

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