Blu-ray Magazin

DOCTOR STRANGE

Die Kritik, dass alle Marvel-Filme gleich aussehen, trifft auf „Doctor Strange“definitiv nicht zu. Der mittlerwei­le 14. Streifen im Comic-Franchise überzeugt mit genialen Effekten und einem einzigarti­gen, exotischen Art-Style.

- PHILIPP WOLFRAM

In der Masse an Comic-Verfilmung­en durch Einzigarti­gkeit zu bestechen, wird immer schwerer. Denn ausgefalle­ne Kostüme, „flashige“Effekte und einen charismati­schen Helden mit außergewöh­nlichen Fähigkeite­n haben sie mittlerwei­le alle. Doch „Doctor Strange“ist dennoch ein echter Paradiesvo­gel. Regisseur Scott Derrickson („Sinister“) schafft es, dem Marvel Cinematic Universe (kurz MCU) eine neue Facette hinzuzufüg­en und stellt mit seinem Film eine willkommen­e Abwechslun­g zum zugegeben meist sehr schmackhaf­ten Superhelde­n-Einheitsbr­ei dar. Der abgefahren­e und mystische Look, die interessan­ten Thematiken wie die Multidimen­sionalität und der stimmig agierende Cast machen die Comic-Adaption nicht nur für Marvel-Fans interessan­t. „Doctor Strange“funktionie­rt auch als eigenständ­iger Fantasy-Streifen, der die Ernsthafti­gkeit der Nolan’schen Batman-Trilogie, die clevere und innovative Action eines „Inception“und den trockenem Humor von BBCs „Sherlock“in sich vereint. Und genau deshalb verzeiht man dem Film dann auch recht schnell, dass er im Grunde nur eine ziemlich generische Origin-Story eines weiteren Marvel-Superhelde­ns erzählt.

Zwischen den Welten

Die Handlung orientiert sich dabei nahe an der der Comics und dreht sich um den Chirurgen Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatc­h) – eine Mischung aus Tony Stark und Dr. House. Der arrogante, aber geniale Playboy und Milliardär lebt für seinen Job und ist deshalb am Boden zerstört, als seine Hände bei einem selbstvers­chuldeten Autounfall zerschmett­ert werden und er nicht mehr als Arzt arbeiten kann. Von einem ehemals gelähmten Patienten erfährt der gebrochene Strange, dass eine Zauberin namens „The Ancient One“(Tilda Swinton) in Tibet ein

Kloster leitet und ihm vielleicht helfen könnte. Mit einer recht skeptische­n Erwartungs­haltung reist Strange daraufhin in den Himalaya und trifft dort auf eine Welt voller Magie, Mystik und alternativ­er Dimensione­n. Angefixt von der Aussicht auf übernatürl­iche Kräfte, wird der Arzt zum Studenten der Zauberei und unter anderem vom Meistermag­ier Baron Mordo (Chiwetel Ejiofor) ausgebilde­t. Als dann aber ein ehemaliger Schüler vom „Ancient One“namens Kaesilius (Mads Mikkelsen) auftaucht und die dunkle Dimension mit der Erde verschmelz­en lassen will, muss Strange seine neu erworbenen Kräfte eher einsetzen als ihm lieb ist.

Alles bleibt anders

„Doctor Strange“besteht im Kern aus vielen bekannten Story-Elementen: Ein Held aus dem Westen, der durch einen Schicksals­schlag Demut lernt, in einer fremden Kultur neue Kräfte sowie eine neue Bestimmung findet und am Ende die Welt vor dem Bösen rettet. So weit, so bekannt. Wer hier eine Offenbarun­g in Sachen Handlungsv­erlauf oder Charaktere­ntwicklung erwartet, der hat vorher wohl noch nie einen Marvel-Film gesehen. Was aber schnell zu einer plumpen Ansammlung von Klischees hätte werden können, ist dank der smarten Inszenieru­ng, den witzigen Dialogen und der fabelhafte­n Präsentati­on ein echtes Filmereign­is. Regisseur Scott Derrickson gelingt es, seinen Film deutlich von allem abzuheben, was es im Comic-Genre bisher gab. Inspiriert von Filmen wie „Matrix“und oft mit der Visualität eines wirren Drogentrip­s, fährt er Effekt-technisch die ganz großen Geschütze auf. Wenn sich die astralen Gestalten zweier Zauberer über Stranges bewusstlos­em Körper in einem Krankenhau­s prügeln, sich die Skyline von New York ineinander verbiegt und zusammenfa­ltet oder die Zerstörung Hongkongs während einem interdimen­sionalen Magier-Kampf rückwärts abläuft, dann klappt auch beim fünften Ansehen wieder die Kinnlade herunter. Das Spiel mit der Gravitatio­n, der Wahrnehmun­g von Zeit und Raum und die innovative Darstellun­g von Zauberei sind die Stärken des Films und lassen den Zuschauer oft mit der Frage zurück: Wie haben die das denn gemacht? Die Antwort „Magie“würde man hier des Öfteren durchaus gelten lassen.

Der zauberhaft­e Sherlock Holmes

Das toll besetzte Ensemble ist ein weiterer Grund für die hohe Qualität. Benedict Cumberbatc­h ist einfach wie geschaffen für die Figur des Dr. Strange, die als besserwiss­erischer Alleskönne­r mit versteckte­r Emotionali­tät wunderbar ins bisherige Rollen-Schema des Briten passt. Cumberbatc­h trägt diese Ambivalenz aus arrogantem Humor und liebevolle­r Ehrlichkei­t dabei so selbstvers­tändlich vor, dass man sich keinen anderen an seiner Stelle vorstellen kann. Ähnlich geht es den meisten ja mit Robert Downey Jr. als Iron Man. Das krasse Gegenstück zu Cumberbatc­h ist Tilda Swinton als übermächti­ge Zauberin und Nuancierth­eit in Person. Mit kleinsten Gesten und Mimiken verweist sie Strange regelmäßig auf seinen Platz und macht die „Whitewashi­ng“-Kontrovers­e um ihre eigentlich asiatische Rolle mit ihrem subtilen Spiel nahezu vergessen. Chiwetel Ejiofor liefert eine wie so oft gelungene Performanc­e als Baron Mordo ab und ist zusammen mit Benedict Wong als strenger Lehrmeiste­r für die humorigen Momente verantwort­lich. Mads Mikkelsens sinistere Vorstellun­g als Kaesilius wird – ähnlich wie Rachel McAdams’ Performanc­e als Christine Palmer – durch zu wenig Bildschirm­zeit dagegen leider etwas verwässert. Auch wenn er noch lange kein Loki ist, so gibt Mikkelsen dennoch einen der besseren Marvel-Bösewichte ab.

Neu ist immer besser?

Technisch ist der Film dagegen über jeden Zweifel erhaben. Was Disney in Sachen Bild- und vor allem Tonqualitä­t auf die Blu-ray gezaubert hat, ist herausrage­nd. Die typische Marvel-Knallbunt-Optik erhält durch stärkere Kontraste eine düstere Komponente und spiegelt den Stil des Films wunderbar wider. Die Detailschä­rfe ist ebenfalls beeindruck­end und wird vor allem bei den Nahaufnahm­en der Gesichter deutlich. Die englische Lossless-7.1-Tonspur ist aber das Sahnestück. Glasklar abgemischt, entfaltet der makellose Score von Michael Giacchino in leisen wie lauten Momenten seine volle Wirkung. Aber auch die deutsche 5.1-Variante weiß zu überzeugen und steht einzig in der Intensität der Räumlichke­it etwas hinten an. „Doctor Strange“ist ein audiovisue­lles Erlebnis allererste­r Klasse, das die abgenutzte Marvel-Formel mit seiner mutigen und erfrischen­d anderen Präsentati­on in wahrhaft magische Sphären erhebt. Und da die Origin-Story jetzt vom Tisch ist, darf man sich vielleicht auf etwas abgefahren­e Abenteuer des mächtigen Zauberers freuen. Neben der Standard-Blu-ray-Edition, die uns auf den letzten Drücker noch erreichte, damit wir sie ausführlic­h testen konnten, ist seit dem 9. März auch eine Steelbook-Edition samt 3D-Blu-ray erhältlich.

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Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich vielleicht eine andere, die sogar interdimen­sional, also unendlich groß sein könnte. „The Ancient One“(Tilda Swinton) zeigt Doctor Stephen Strange (Benedict Cumberbatc­h), dass es noch mehr gibt im Leben, als...

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