DOCTOR STRANGE
Die Kritik, dass alle Marvel-Filme gleich aussehen, trifft auf „Doctor Strange“definitiv nicht zu. Der mittlerweile 14. Streifen im Comic-Franchise überzeugt mit genialen Effekten und einem einzigartigen, exotischen Art-Style.
In der Masse an Comic-Verfilmungen durch Einzigartigkeit zu bestechen, wird immer schwerer. Denn ausgefallene Kostüme, „flashige“Effekte und einen charismatischen Helden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten haben sie mittlerweile alle. Doch „Doctor Strange“ist dennoch ein echter Paradiesvogel. Regisseur Scott Derrickson („Sinister“) schafft es, dem Marvel Cinematic Universe (kurz MCU) eine neue Facette hinzuzufügen und stellt mit seinem Film eine willkommene Abwechslung zum zugegeben meist sehr schmackhaften Superhelden-Einheitsbrei dar. Der abgefahrene und mystische Look, die interessanten Thematiken wie die Multidimensionalität und der stimmig agierende Cast machen die Comic-Adaption nicht nur für Marvel-Fans interessant. „Doctor Strange“funktioniert auch als eigenständiger Fantasy-Streifen, der die Ernsthaftigkeit der Nolan’schen Batman-Trilogie, die clevere und innovative Action eines „Inception“und den trockenem Humor von BBCs „Sherlock“in sich vereint. Und genau deshalb verzeiht man dem Film dann auch recht schnell, dass er im Grunde nur eine ziemlich generische Origin-Story eines weiteren Marvel-Superheldens erzählt.
Zwischen den Welten
Die Handlung orientiert sich dabei nahe an der der Comics und dreht sich um den Chirurgen Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) – eine Mischung aus Tony Stark und Dr. House. Der arrogante, aber geniale Playboy und Milliardär lebt für seinen Job und ist deshalb am Boden zerstört, als seine Hände bei einem selbstverschuldeten Autounfall zerschmettert werden und er nicht mehr als Arzt arbeiten kann. Von einem ehemals gelähmten Patienten erfährt der gebrochene Strange, dass eine Zauberin namens „The Ancient One“(Tilda Swinton) in Tibet ein
Kloster leitet und ihm vielleicht helfen könnte. Mit einer recht skeptischen Erwartungshaltung reist Strange daraufhin in den Himalaya und trifft dort auf eine Welt voller Magie, Mystik und alternativer Dimensionen. Angefixt von der Aussicht auf übernatürliche Kräfte, wird der Arzt zum Studenten der Zauberei und unter anderem vom Meistermagier Baron Mordo (Chiwetel Ejiofor) ausgebildet. Als dann aber ein ehemaliger Schüler vom „Ancient One“namens Kaesilius (Mads Mikkelsen) auftaucht und die dunkle Dimension mit der Erde verschmelzen lassen will, muss Strange seine neu erworbenen Kräfte eher einsetzen als ihm lieb ist.
Alles bleibt anders
„Doctor Strange“besteht im Kern aus vielen bekannten Story-Elementen: Ein Held aus dem Westen, der durch einen Schicksalsschlag Demut lernt, in einer fremden Kultur neue Kräfte sowie eine neue Bestimmung findet und am Ende die Welt vor dem Bösen rettet. So weit, so bekannt. Wer hier eine Offenbarung in Sachen Handlungsverlauf oder Charakterentwicklung erwartet, der hat vorher wohl noch nie einen Marvel-Film gesehen. Was aber schnell zu einer plumpen Ansammlung von Klischees hätte werden können, ist dank der smarten Inszenierung, den witzigen Dialogen und der fabelhaften Präsentation ein echtes Filmereignis. Regisseur Scott Derrickson gelingt es, seinen Film deutlich von allem abzuheben, was es im Comic-Genre bisher gab. Inspiriert von Filmen wie „Matrix“und oft mit der Visualität eines wirren Drogentrips, fährt er Effekt-technisch die ganz großen Geschütze auf. Wenn sich die astralen Gestalten zweier Zauberer über Stranges bewusstlosem Körper in einem Krankenhaus prügeln, sich die Skyline von New York ineinander verbiegt und zusammenfaltet oder die Zerstörung Hongkongs während einem interdimensionalen Magier-Kampf rückwärts abläuft, dann klappt auch beim fünften Ansehen wieder die Kinnlade herunter. Das Spiel mit der Gravitation, der Wahrnehmung von Zeit und Raum und die innovative Darstellung von Zauberei sind die Stärken des Films und lassen den Zuschauer oft mit der Frage zurück: Wie haben die das denn gemacht? Die Antwort „Magie“würde man hier des Öfteren durchaus gelten lassen.
Der zauberhafte Sherlock Holmes
Das toll besetzte Ensemble ist ein weiterer Grund für die hohe Qualität. Benedict Cumberbatch ist einfach wie geschaffen für die Figur des Dr. Strange, die als besserwisserischer Alleskönner mit versteckter Emotionalität wunderbar ins bisherige Rollen-Schema des Briten passt. Cumberbatch trägt diese Ambivalenz aus arrogantem Humor und liebevoller Ehrlichkeit dabei so selbstverständlich vor, dass man sich keinen anderen an seiner Stelle vorstellen kann. Ähnlich geht es den meisten ja mit Robert Downey Jr. als Iron Man. Das krasse Gegenstück zu Cumberbatch ist Tilda Swinton als übermächtige Zauberin und Nuanciertheit in Person. Mit kleinsten Gesten und Mimiken verweist sie Strange regelmäßig auf seinen Platz und macht die „Whitewashing“-Kontroverse um ihre eigentlich asiatische Rolle mit ihrem subtilen Spiel nahezu vergessen. Chiwetel Ejiofor liefert eine wie so oft gelungene Performance als Baron Mordo ab und ist zusammen mit Benedict Wong als strenger Lehrmeister für die humorigen Momente verantwortlich. Mads Mikkelsens sinistere Vorstellung als Kaesilius wird – ähnlich wie Rachel McAdams’ Performance als Christine Palmer – durch zu wenig Bildschirmzeit dagegen leider etwas verwässert. Auch wenn er noch lange kein Loki ist, so gibt Mikkelsen dennoch einen der besseren Marvel-Bösewichte ab.
Neu ist immer besser?
Technisch ist der Film dagegen über jeden Zweifel erhaben. Was Disney in Sachen Bild- und vor allem Tonqualität auf die Blu-ray gezaubert hat, ist herausragend. Die typische Marvel-Knallbunt-Optik erhält durch stärkere Kontraste eine düstere Komponente und spiegelt den Stil des Films wunderbar wider. Die Detailschärfe ist ebenfalls beeindruckend und wird vor allem bei den Nahaufnahmen der Gesichter deutlich. Die englische Lossless-7.1-Tonspur ist aber das Sahnestück. Glasklar abgemischt, entfaltet der makellose Score von Michael Giacchino in leisen wie lauten Momenten seine volle Wirkung. Aber auch die deutsche 5.1-Variante weiß zu überzeugen und steht einzig in der Intensität der Räumlichkeit etwas hinten an. „Doctor Strange“ist ein audiovisuelles Erlebnis allererster Klasse, das die abgenutzte Marvel-Formel mit seiner mutigen und erfrischend anderen Präsentation in wahrhaft magische Sphären erhebt. Und da die Origin-Story jetzt vom Tisch ist, darf man sich vielleicht auf etwas abgefahrene Abenteuer des mächtigen Zauberers freuen. Neben der Standard-Blu-ray-Edition, die uns auf den letzten Drücker noch erreichte, damit wir sie ausführlich testen konnten, ist seit dem 9. März auch eine Steelbook-Edition samt 3D-Blu-ray erhältlich.